Lockerungen trotz hoher Fallzahlen: Die FDP bestimmt die Corona-Politik der Regierung
Der Bundestag verhandelt in der neuen Woche über ein neues Infektionsschutzgesetz und eine Impfpflicht. Bei beiden Themen ist sich die Ampel nicht einig.
Karl Lauterbach klingt alarmiert: „Deutschland hat jetzt höchste Corona-Inzidenz in Europa. Tendenz steigt, viele Tote“, schreibt der SPD-Politiker am Sonntag auf Twitter. Schon am Vortag hatte er über sein Lieblingsmedium gewarnt. „Zu viele denken, Pandemie sei vorbei, weil Omicron harmlos sei. Das ist falsch.“ Und weiter: „Daher kann es keinen Freedom Day geben.“
Lauterbach klingt in diesen Tagen wie der Mahner vom Seitenrand. Dass er als Gesundheitsminister eigentlich der oberste Pandemie-Bekämpfer ist, merkt man kaum.
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Wenn in dieser Woche der Bundestag zusammenkommt, wird es darum gehen, wie Deutschland ins dritte Jahr der Pandemie startet. Am Mittwoch soll sich das Hohe Haus mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschäftigen, das am Wochenende ausläuft. Am Donnerstag soll dann erstmals über die verschiedenen Gesetzesentwürfe rund um eine mögliche Impfpflicht debattiert werden. Wichtige Entscheidungen, doch in beiden Fragen ist sich die Ampel uneins.
Vor allem der weitreichende Wegfall der Corona-Schutzmaßnahmen sorgt für Unmut bei SPD und Grünen. Die Inzidenz steigt wieder, in der vergangenen Woche zählte das RKI so viele Corona-Infektionen wie noch nie in dieser Pandemie. Und ausgerechnet jetzt sollen zentrale Maßnahmen zur Eindämmung des Virus gekippt werden.
Auf Druck der FDP soll die Maskenpflicht in der Gastronomie, Schulen und im Einzelhandel fallen, nur in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen sollen weiter Masken getragen werden. Nur in lokalen Hotspots und bei steigenden Fallzahlen sollen die Landesparlamente in Zukunft noch strengere Schutzmaßnahmen wie Testpflichten oder 2G-Regelungen einführen.
Der Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetzes ist jedoch vage formuliert. Hotspots werden nicht definiert, auch die steigenden Fallzahlen werden nicht näher eingegrenzt. Gesundheitsminister Lauterbach scheint seine Hoffnungen nun auf die Länder zu legen. „Damit kein Flickenteppich entsteht, könnten die Länder sich auf eine gemeinsame Anwendung des geplanten neuen Infektionsschutzgesetz verständigen. Dabei helfe ich gerne“, schrieb er.
Doch ihm sind die Hände gebunden. Die FDP bestimmt den Corona-Kurs der Regierung. Schon im vergangenen Jahr haben die Liberalen den 20. März zum „Freedom Day“ erklärt, nun will man davon nicht abweichen. In der FDP feiert man sich für den sogenannten Kompromiss. „Endlich! Am 20. März kehren wir zur Normalität zurück“, schrieb der FDP-Abgeordnete Olaf in der Beek auf Twitter. Es mache eben doch einen Unterschied, ob die FDP in der Regierung sei.
Ein Kompromiss, der nach Erpressung klingt
Lauterbach und die Grünen halten das für verantwortungslos, doch öffentlich beschweren sie sich nicht. Die FDP kann ihre Partner unter Druck setzen. Einigt man sich in der Koalition nicht, laufen alle Maßnahmen mit dem 19. März aus. Es ist ein Kompromiss, der nach Erpressung klingt.
Scharfe Kritik kommt von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Er sieht Deutschland neuen Virus-Varianten schutzlos ausgesetzt. „Im Grunde gibt es keine echten Schutzmaßnahmen mehr. Damit stehen wir im Herbst neuen Mutationen schutz- und wehrlos gegenüber. So ist das weitgehende Weglassen der Maske verfrüht und kann zum Beispiel in der Schule rasch zu einer sogenannten Durchseuchung führen“, sagte Söder der „Bild am Sonntag“.
Söder kritisierte insbesondere Lauterbach: „Der Bundesgesundheitsminister rechnet mit neuen Wellen, und die Ampel schafft gleichzeitig alle Maßnahmen ab.“
Bei den Grünen hofft man, die Optionen der Länder klarer zu formulieren. „Die Interpretationen sollten nicht so groß sein, sonst kommt es zu Rechtsunsicherheiten. Die Länderchefs warten auf klare Leitlinien des Bundes“, sagt Nina Stahr.
Die Berliner Grünen-Abgeordnete befürchtet, dass die Lockerungsdebatte Einfluss auf die Einführung einer Impfpflicht haben könnte. Stahr unterstützt den Antrag für eine Impfpflicht ab 18 Jahren. Nur damit erreiche man die notwendige Impfquote, um besser durch den Winter zu kommen. „In der Abwägung der Freiheitseinschränkung ist für mich eine Impfpflicht ab 18 Jahren der geringere Eingriff, als wenn Krebs-Patienten wegen Bettenmangels wieder auf ihre Behandlung warten müssen.“