Lockere neue Corona-Regeln: Lauterbach kommt der FDP entgegen – doch steht nun in der Kritik
Kaum noch Maskenpflichten, erboste Ministerpräsidenten. Der Lockerungsplan der Ampel-Koalition fällt in eine Zeit mit einem Rekord an Corona-Neuinfektionen.
Karl Lauterbach will es nicht, aber es wirkt so, als hätte der Bundesgesundheitsminister das „Team Vorsicht“ verlassen Ausgerechnet in einer Phase, in der die Corona-Neuinfektionen so hoch sind wie nie zuvor. Bis in die Führungsetage des Kanzleramts gibt es Corona-Fälle, auch Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) hat es erwischt. Ausgerechnet in diesen kritischen Kriegstagen muss er von zu Hause arbeiten.
Am Donnerstag vermeldete das Robert- Koch-Institut (RKI) mit 262 752 Neuinfektionen einen Rekord. Eine Konstante in der Pandemie ist der Ruf nach Öffnung, wenn es besser zu werden scheint.
Es nähert sich der 20. März, der Tag, den die FDP in Person ihres heutigen Justizministers Marco Buschmann schon im vergangenen Herbst zum deutschem Freedom Day auserkoren hatte.
So gestalteten sich die Verhandlungen zwischen Lauterbach (SPD) und Buschmann (FDP) über einen „Basisschutz“ nach Auslaufen der bisherigen Regelungen zäh bis schwierig. Die Grünen wie auch SPD-Länder sind alles andere als erfreut über die Ergebnisse.
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Ein Unterstützer Lauterbachs ist enttäuscht
Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen ist einer der größten Unterstützer Lauterbachs. Doch mit dem Kompromiss für den Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetzes (IFSG) ist er gar nicht zufrieden, es verdient aus Sicht vieler Experten seinen Namen eigentlich gar nicht mehr. „Eine Hospitalisierungsinzidenz auf Rekordniveau sowie steigende Fall- und Todeszahlen zeigen, dass wir noch nicht überm Berg sind“, twitterte Dahmen. „Es ist wenig konsistent, Maskenpflicht im ÖPNV, aber nicht im Einkaufsgedränge zu erhalten.“
Das ist einer der größten Kritikpunkte. Eine Maskenpflicht soll ab dem 20. März nur noch in Einrichtungen mit vulnerablen Menschen, also etwa in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sowie dem Öffentlichen Personennahverkehr nötig sein – nicht aber in Supermärkten, im Einzelhandel, in Schulen oder der Gastronomie.
In Kraft würde die partielle Maskenpflicht auch nur dann treten, wenn das zuvor von den Landesregierungen beschlossen wird. Das Gleiche gilt für Corona-Testpflichten, die ebenfalls in den genannten Einrichtungen sowie in Schulen und unter anderem in Justizvollzugsanstalten angeordnet werden können.
Nur die FDP scheint zufrieden
Das trägt die FDP-Handschrift, nicht die von Lauterbach. Allerdings, und das betont nun Lauterbach, gebe es noch die Option auf weitergehende Regelungen für sogenannte Corona-Hotspots. Geregelt werden diese im neuen Absatz 8 des Paragrafen 28a im IFSG. Genannt werden darin als mögliche Maßnahmen Maskenpflichten und Abstandsgebote für den öffentlichen Raum, die Erstellung von Hygienekonzepten in Einrichtungen und Betrieben; außerdem Verpflichtungen zur Vorlage von Test-, Impf- oder Genesenennachweisen.
Das heißt: Wenn sich die Lage verschlechtert, sind auch wieder Personenzahl-Beschränkungen und 2G, 2G-Plus und 3G-Regelungen möglich. Aber die Landesparlamente müssten erst das „Vorliegen der konkreten Gefahr“ beschließen, und zwar für eine konkrete „Gebietskörperschaft“ – also etwa Landkreise, aber auch Städte. Die Definition für eine konkrete Gefahr ist im Entwurf im Ungefähren gehalten und nicht quantifiziert.
Das könnten neue Virusvarianten, hohe Neuinfektionen oder eine hohe Belegung der Krankenhausbetten sein. Man habe absichtlich keine Zahlen ins Gesetz schreiben wollen, sagt Lauterbach. „Der Bund lässt die Länder im Regen stehen“, sagte dazu der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Das Gesetz soll bis zum Herbst gelten.
Lauterbach bekam 90 Tage Genesenen-Status - und gab bei den Maskenregeln nach
Offensichtlich ist das Ganze auch ein Zugeständnis Lauterbachs, weil er sich an anderer Stelle durchsetzen konnte. Er pochte darauf, dass der Corona-Genesenenstatus auf 90 Tage verkürzt bleibt, auch um mehr Menschen zum Impfen zu bewegen. Die FDP wollte ein halbes Jahr, also 180 Tage. Erst auf den letzten Drücker wurde der Entwurf fertig und dem Kabinett vorgelegt.
Der Entwurf für eine Formulierungshilfe soll kommende Woche ins Parlament eingebracht und am Freitag, dem 18. März, verabschiedet werden. Ohne neues Gesetz gäbe es ab dem 20. März keinerlei Corona- Schutzmaßnahmen mehr. Wie eilig das Verfahren über die Bühne ging, zeigte die Anhörung der Verbände, die ihren Namen kaum verdient. Um 1:08 Uhr in der Nacht zum Mittwoch wurde der Entwurf für die IfSG-Neufassung an die Verbände geschickt, mit der Bitte, bis 10 Uhr des gleichen Morgens die Stellungnahmen zurückzusenden.
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Wohl ohne Zustimmung des Bundesrats
Mit Spannung wird nun erwartet, ob es im Bundestag eine Mehrheit für die von Lauterbach und Kanzler Olaf Scholz (SPD) angestrebte allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren geben wird, die Entwürfe werden kommende Woche im Bundestag beraten. Österreich hat die dort seit Anfang Februar geltende Impfpflicht für alle Erwachsenen ausgesetzt. Sie sei angesichts der derzeit vorherrschenden Omikron-Variante des Coronavirus nicht verhältnismäßig, hieß es in Wien. In SPD-Kreisen wurde betont, man halte am Entwurf für die Impfpflicht ab18 fest.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält es für „grob fahrlässig, wenn die Bundesregierung ohne Not wirksame Instrumente für den Notfall aus der Hand gibt“. Das verspricht noch Diskussionen für die nächste Bund-Länder-Runde am 17. März. Sein niedersächsischer Kollege Stephan Weil (SPD) betonte: „Man wirft doch den Feuerlöscher nicht weg, wenn es noch brennt.“ Er kritisiert, dass den Ländern wichtige Instrumente, wie eine Maskenpflicht etwa für Großveranstaltungen in Innenräumen, genommen würden.
"Da ist noch viel Musik drin", heißt es in Länderkreisen, aber das Ganze ist so ausgestaltet worden, dass der Bundesrat gar nicht zustimmen soll. Lauterbach wird hier vorgeworfen, dass er sich von der FDP überrumpeln ließ und schlecht verhandelt habe. Auch Lauterbach selbst scheint nicht ganz glücklich zu sein. Er kritisiert bei Twitter die Debatte, dass es doch wegen der milden Verläufe praktisch kaum noch Maßnahmen brauche: „Die ,milden Verläufe’ kosten 200-300 Menschen pro Tag das Leben. Das wollen wir nicht.“