Wladimir Putin: Die Fäden fest in der Hand
Nachdem Platzhalter Medwedew Putin für das Präsidentenamt vorgeschlagen hat, könnte Putin Russland bei einem Wahlsieg bis 2024 regieren. "Der Kommandeur" wäre dann erneut Russlands Nummer 1.
Mit einer einzigen herrischen Handbewegung ließ Wladimir Putin die herbeieilenden Techniker erstarren. Beim Wahlparteitag von „Einiges Russland“ wollten sie auf die Bühne eilen, um ein kaputtes Mikrofon auszutauschen. „Ich kann lauter reden. Der Kommandeur“, sagte Putin und meinte sich selbst, „hat seine Stimme nicht verloren“. Die Techniker hätten ihm das Bild kaputtgemacht, das der Nachwelt von seiner Rückkehr an die Macht in Erinnerung bleiben soll.
Unter Berufung auf die Verfassung, die Präsidenten verbietet, dreimal hintereinander zu kandidieren, hatte Putin bei den Wahlen 2008 verzichtet. Als Premier, den das Grundgesetz eigentlich nur zu einer Art Chefadministrator und Willensvollstrecker des Präsidenten macht, zog er dennoch weiter im Hintergrund die Fäden für alle Entscheidungen, die für Russland wirklich wichtig waren. Oder Putin wichtig schienen. Sein Platzhalter Dmitri Medwedew verkündete sie lediglich, steuerte mehr oder minder verzichtbare Details dazu bei oder glättete allzu scharfe Kanten, damit Russland im westlichen Ausland besser wegkommt.
Den Russen selbst fiel daher partout nichts ein, als staatsnahe Meinungsforscher sie Anfang September zu den größten Erfolgen Medwedews befragten. Passen mussten sie auch zu der Frage nach seinen größten Misserfolgen. Nun dürfte Putin das postkommunistische Russland definitiv nach seinem Bilde formen – für mindestens zwölf weitere Jahre. Denn die Amtszeit des Präsidenten beträgt vier, künftig sechs Jahre.
Ausländische Staatschefs, so Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“, hätten es dadurch künftig leichter bei Verhandlungen mit dem Kreml. Kritische Beobachter fragen sich indes, was Putin bewogen hat, sich die Bürde des Amtes ein zweites Mal aufzuhalsen. Zumal der einstige Tschekist langfristig denkt und vor jeder Entscheidung alle möglichen Szenarios durchspielen lässt. Noch aber steht nicht fest, welche Mehrheiten Putins Hausmacht in der neuen Duma haben wird und wie sich die neue Runde der Weltwirtschaftskrise auf Russland auswirkt. Denn Moskau finanziert den Löwenanteil seines Haushalts aus den Erlösen von Rohstoffexporten, und die kennen zurzeit nur einen Trend: steil abwärts.
Die liberale Opposition hat eine Version der Ereignisse, die der Wahrheit womöglich ziemlich nahekommt. Demzufolge haben nicht Putin und Medwedew entschieden, wer künftig Koch und wer Kellner ist, sondern die Nomenklatura – die Beamten der höheren Ebene, in Russlands politischem System traditionell eine Konstante, auf die schon Zaren und KP-Generalsekretäre Rücksicht nehmen mussten. Medwedew, dem es nie gelang, eine eigene Hausmacht aufzubauen, verlor demzufolge den Kampf. Seine Kapitulation sei jedoch keine bedingungslose gewesen. In Putins Wahlprogramm finden sich in der Tat Elemente, die bisher alleiniges Markenzeichen Medwedews waren.
Elke Windisch