Das versäumte Nachdenken: Die Extremisten kommen heim
Europäischen IS-Kämpfern droht die Abschiebung. Versuche, das Problem abzuwälzen, werden nicht funktionieren. Es braucht einen gemeinsamen Plan. Ein Kommentar.
Für Europa rückt die Heimkehr von Mitgliedern des Islamischen Staates aus dem Nahen Osten näher. Die Türkei will an diesem Montag mit der Abschiebung inhaftierter Extremisten beginnen, und die bis zu 1200 europäischen Häftlinge in kurdischen IS-Internierungslagern in Syrien und Irak werden auch nicht auf ewig dort bleiben. Versuche, das Problem durch die Ausbürgerung der IS-Mitglieder oder durch Sondergerichte im Irak auf andere Schultern abzuwälzen, werden nicht funktionieren. Je schneller in Deutschland und anderswo Konzepte für den Umgang mit den Heimkehrern erarbeitet werden, desto besser.
Die bevorstehenden Abschiebungen räumen endgültig mit der Wunschvorstellung auf, dass die Gewalt des IS auf andere Weltgegenden begrenzt werden kann. Anders als die USA sind die Europäer nicht durch einen weiten Ozean von dem ehemaligen „Kalifat“ der Dschihadisten getrennt. Von allen schlechten Optionen, die Europa hat, ist die geordnete Rückkehr noch die beste. Wenn IS-Leute heimlich nach Deutschland heimkehren und untertauchen, bilden sie eine größere Gefahr, als wenn sie von den Behörden in Empfang genommen und vor Gericht gestellt oder beobachtet werden können.
Unter den Rückkehrern gibt es auch Unverbesserliche
Einige der Rückkehrer werden echte Reue empfinden und bei einer Wiedereingliederung in die Gesellschaft gerne mitmachen. Doch es gibt auch Unverbesserliche, von denen auf Dauer eine erhebliche Gefahr ausgehen wird. Bisher gibt es weder in Deutschland noch in anderen Ländern einen vernünftigen Plan dafür, wie man mit diesem harten Kern umgehen soll. Haftstrafen von fast 180 Jahren, wie sie der deutsch-chinesische IS-Kämpfer Benjamin Xu in der Türkei erhielt, gibt es im europäischen System nicht.
Es wird also schwierig. Auf die Türkei zu schimpfen, hilft jetzt aber ganz bestimmt nicht. Zwar geht die Führung in Ankara recht rabiat vor, indem sie die Europäer vor vollendete Tatsachen stellt – man hätte das Thema auch in Zusammenarbeit mit der EU behandeln können. Aber das sind letzten Endes nur Stilfragen; die kernigen Worte sollen den Europäern den Ernst der Lage verdeutlichen und das eigene Publikum in der Türkei beeindrucken. In der Sache hat die Türkei recht: Es geht um europäische IS-Extremisten, nicht um türkische. Die Europäer können sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen, indem sie den Kopf in den Sand stecken und darauf hoffen, dass jemand anders das Problem löst, oder indem sie europäische IS-Mitglieder kurzerhand ausbürgern.
Deshalb ist es an der Zeit, dass sich Deutschland und Europa einen Plan zurechtlegen. Gesetzesverschärfungen und mehr Geld und Personal für Polizei, Justiz und Geheimdienste dürften in den kommenden Wochen und Monaten diskutiert werden. Gleichzeitig sollte das bisher größtenteils versäumte Nachdenken darüber beginnen, was Bürger Deutschlands, Frankreichs oder Großbritanniens überhaupt dazu treibt, sich einem Todeskult anzuschließen.
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