Wann hört Angela Merkel auf?: Die Europawahl erzwingt Wechsel im Kabinett
In der Regierung zeichnet sich ein Umbruch ab: Annegret Kramp-Karrenbauer ist bereit, aber sie drängt nicht. Viele Posten stehen zur Debatte.
Der Ausgang der Europawahlen im Mai wird in der CDU zum Prüfstein der Zusammenarbeit zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer. In der Führung wie in den wichtigsten Gliederungen der CDU wird erwartet, dass sich danach offen zeigt, ob die Arbeitsteilung zwischen beiden Bestand hat.
Derweil wächst der Druck zur Veränderung. Nach Tagesspiegel-Informationen geht er nicht offensiv von Kramp-Karrenbauer aus, obwohl intern kein Zweifel daran besteht, dass sie auf alle Eventualitäten vorbereitet ist. Auch das jüngste Zusammentreffen mit ihrem bisherigen innerparteilichen Konkurrenten Friedrich Merz in dessen Heimat, im Sauerland, weist in diese Richtung. Ihr Gesprächsverhältnis wird von beiden Seiten als gut und durchaus vertrauensvoll beschrieben. Merz hat jetzt öffentlich ausgesprochen, dass er alles tun werde, damit die neue Parteivorsitzende Erfolg habe.
Dass Kramp-Karrenbauer ihre Vorgängerin Merkel bedränge, nun auch das Amt der Bundeskanzlerin an sie abzugeben, wird einhellig bestritten. Vielmehr wird damit gerechnet, dass nach der Europawahl und vor den Wahlen in den drei ostdeutschen Ländern der Druck auf die Kanzlerin entsprechend steigt.
Über Wahlkampfeinsätze von Merkel dort ist noch nicht entschieden. Sollte die Kanzlerin auftreten wollen, werde sie nicht versteckt, hat Thüringens Spitzenkandidat Mike Mohring dem Tagesspiegel erklärt. Allerdings hatte Merkel bereits im Präsidium erläutert, dass sie mit Rücksicht auf die neue Vorsitzende keine Wahlkampftermine der CDU mehr wahrnehmen wolle. Das gilt im Übrigen auch für die Europawahl. Der Auftritt bei der CSU in München soll die Ausnahme bleiben, weil dort auch Staats- und Regierungschefs erwartet werden. Ansonsten hat die CDU-Spitze die Sprachregelung herausgegeben, dass gute Regierungsarbeit die beste Wahlkampfhilfe sei.
Wachsender Druck auf Merkel wird dennoch erwartet, da nach der Europawahl in jedem Fall ein Wechsel im Kabinett ansteht. Justizministerin Katarina Barley (SPD) zieht ins EU-Parlament ein. Sie könnte nicht die einzige sein, die ausscheidet. In der SPD wird die Prüfung der Doktorarbeit von Franziska Giffey entscheiden, ob sie Familienministerin bleiben kann.
In der CDU laufen aber auch schon teils heftige Diskussionen um Ursula von der Leyen (Verteidigung), Peter Altmaier (Wirtschaft) und Anja Karliczek (Bildung), in der CSU um Horst Seehofer (Inneres) und Gerd Müller (Entwicklung). Im Fall offener Debatten ist dann im Sommer auch mit einer um die Spitze, ums Kanzleramt, zu rechnen.
Würde die SPD eine Wahl von AKK wirklich ablehnen?
Über Kramp-Karrenbauer heißt es in diesem Zusammenhang, sie sei für alles gerüstet. Ob die SPD- Spitze ihre Wahl zur Kanzlerin wirklich ablehnen würde, hängt nach Aussagen aus ihren Reihen auch mit dem Ausgang der Europawahl und nicht zuletzt der Landtagswahl in Bremen zusammen. Dort regieren die Sozialdemokraten seit 70 Jahren ununterbrochen. Führende Sozialdemokraten befürchten nachhaltige Auswirkungen eines Machtverlusts dort auch auf das gegenwärtige Duo Andrea Nahles und Olaf Scholz.
Grundsätzlich will die SPD-Spitze die laufende Legislaturperiode mit Merkel zu Ende bringen. Sollte die aber als Kanzlerin ausscheiden und aus der SPD die Forderung nach einer Neuwahl erhoben werden, könnte dies die Partei allerdings angesichts sehr schlechter Umfragewerte ebenfalls in eine Zerreißprobe führen. Die Union hingegen dürfte damit rechnen, wieder die Kanzlerin zu stellen, die dann Kramp-Karrenbauer hieße.
Altmaier könnte sich nach Brüssel retten
Als neuer Wirtschaftsminister war zwischenzeitlich der für den Haushalt zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger im Gespräch, im Tausch mit Altmaier nach der Europawahl. Ein Posten in Brüssel gilt als Gesichtswahrung für Altmaier. Oettinger war zuvor Regierungschef in Baden-Württemberg. Der dortige CDU-Verband ist neben dem in Nordrhein-Westfalen der wichtigste der Partei. Das gilt auch für Erfolgsaussichten bei etwaigen Neuwahlen im Bund.
In diesem Fall könnte Merz das Verteidigungsministerium in einem ersten Kabinett Kramp-Karrenbauer angeboten werden. Das Wehrressort ist auch ein Investitions- und Industrieministerium, Merz außerdem Fachmann für Transatlantisches. Demnächst gibt er das Amt als Chef der „Atlantik- Brücke“ ab, was damit nicht mehr einem Regierungsposten im Wege stünde. Oettinger wiederum soll allerdings nach einem Abschied aus Brüssel eher eine Verwendung in der freien Wirtschaft anstreben.