Gestern Klinsmann, heute Merz: Die dunkle Sehnsucht nach Lichtgestalten
Ob im Fußball oder in der Politik: Wird die Lage brenzlig und kompliziert, wünscht man sich schnelle Rettung herbei. Warum das keine Lösung ist. Ein Kommentar.
Ausgangslage: Die Gruppe hat etwas verbockt, politisch, sportlich, wirtschaftlich. Oder die Gruppe hatte schlicht Pech. Oder beides. Nun sucht sie nach einer Lichtgestalt, die es richten soll. Jürgen Klinsmann, zum Beispiel, sollte als Trainer glücklose Fußballer in die höhere Liga hieven. Alle Beine rennen schneller, ruft einer wie der vom Spielfeldrand. Friedrich Merz, zum Beispiel, soll Tore für die CDU schießen, gewinnen soll das Kalkül des coolen Brokers, der Tagediebe am Wegrand liegen lässt. Alle Loser berappeln sich, steigt einer wie der aus seiner Limousine.
Also gut, ganz so malen sich Gruppen das nicht aus. Doch ohnehin kommt es mit den Lichtgestalten selten wie erhofft. Ein gefeierter Trainer kann hinwerfen, ein idolisierter Politiker scheitern. Dann kippt die Stimmung, das Denken setzt ein. Oder? Nicht unbedingt. Leider rückt die Suche oft einfach eins weiter, gefahndet wird dann nach dem nächsten Erlöser, denn die Sehnsucht nach wegweisenden Leitfiguren ist so alt ist wie die menschliche Gesellschaft.
Es kommt auf die Gesellschaft an
Messianische und mythische Erzählungen leben von solcher Sehnsucht, in der Gegenwart zehren Populistinnen und Populisten von ihr. Deren Anhängerschaft zeigt nicht zufällig bei Reden ihrer Retter ähnlich heftige Emotionen wie Fußballfans - Jubel, Wut, Triumph. Die Lust, an der Macht der Macher teilzuhaben reicht vom Bolzplatz bis Bolsonaro, vom Spiel bis zum Ernstfall, dem politischen Unfall.
Wie unbekömmlich Heilserwartungen an einzelne, glorifizierte Individuen sind, belegen genügend Beispiele. Reife, demokratische Prozesse sind generell nicht kompatibel mit Fixierungen auf Lichtgestalten. Besonders befähigte Leute können Veränderungen dynamisieren, doch auf die Bedingungen kommt es an, auf die Gesellschaft. Reformen gelingen, wo politischer Wille für die notwendige Fusion aus Sinn, Pragmatismus und Ethik mobilisiert werden kann, was breite, politische Bildung voraussetzt, an der es in Teilen der Bevölkerung gefährlich mangelt.
Das Gute an der aktuellen Situation nach dem fatalen Debakel in Thüringen ist, so paradox es klingt, die frisch entfachte Debatte um Demokratie, die neue Lernphase zwischen Ost und West. Nicht nur Rechtsradikale erfahren, dass der Missbrauch parlamentarischer Demokratie und ihrer Institutionen nichts zu tun hat mit seriöser Demokratie.
"Yes we can" - nicht "Yes I can"
Kein Zweifel, große Persönlichkeiten prägen Demokratien mit. Barack Obama war und ist ein Paradebeispiel für die starke Ausstrahlung eines überzeugten Demokraten. Seine Reden driften nicht ins Dramatische, vielmehr vermitteln seine Reflexion und sein Ethos eine Haltung. Aus ihr lässt sich kein Idol basteln, sondern sie ermuntert zum Selberdenken. Obama verband das Prinzip Zuversicht – „Yes we can!“ – mit konstruktiven Vorhaben, und seine Betonung lag auf dem Wir, adressiert an die gesamte Gesellschaft. Es hieß nicht „Yes I can!“ und schon gar nicht „I am the best!“, wie in Donald Trumps kindlicher Superlativsprache. Die Schamfreiheit, mit der Trump sich vom eigenen Ego forttragen lässt, könnte fast anrührend wirken, säße der Mann nicht im Weißen Haus an allerhand Hebeln.
Egoshooter wie er eignen sich am wenigsten als Vorbild. Und nur um die Vorbildfunktion kann es gehen, wo besondere Individuen demokratischen Großgruppen voranstehen. Lichtgestalten entpuppen sich meist als Schattenfiguren des kollektiven Unbewussten. Dem Licht der Aufklärung aber geht es um das Gegenteil, um helles, waches Bewusstsein für gesellschaftliche Verantwortung.