Bedrohlicher Einfluss der Wirtschaft auf US-Wahlen: Die demokratische Legitimation der Regierung wird immer schwächer
US-Unternehmen dürfen unbegrenzt an Parteien spenden und die Einstellung von Ex-Politikern lohnt sich bei Regierungsaufträgen. Ein Gastbeitrag.
Jörg Rocholl ist Präsident der internationalen Wirtschaftshochschule ESMT Berlin
Derzeit rätselt alle Welt, ob US-Präsident Donald Trump im Duell mit dem demokratischen Herausforderer Joe Biden von der Bekämpfung der Corona-Krise profitieren wird oder nicht.
Von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, breitet sich jedoch unterhalb der schlagzeilenträchtigen Corona-Oberfläche ein ganz anderes „Virus“ aus: die immer stärkere Beeinflussung der Wahlentscheidung durch das amerikanische Big Business und seine Lobbyisten.
Wie konnte dieses „Virus“ seinen Siegeszug antreten und was bedeutet das für die Zukunft der westlichen Führungsmacht?
Der letzte amerikanische Präsidentschaftswahlkampf kostete 6,5 Milliarden Dollar – und übertraf damit die Ausgaben für den deutschen Bundestagswahlkampf 2017 um fast das Hundertfache. Es zeichnet sich ab, dass die bevorstehende US-Wahlschlacht noch teurer wird als vor vier Jahren.
Allein der Milliardär Michael Bloomberg gab für seine Kandidatur gut 500 Millionen Dollar aus. Immerhin zeigt Bloombergs Scheitern, dass in den USA nicht nur tatsächliche oder vermeintliche Milliardäre Präsident werden können.
Das Nettovermögen von Trumps Gegner Biden wird auf vergleichsweise bescheidene neun Millionen Dollar geschätzt. Dennoch ist bei den atemberaubenden Ausgaben in amerikanischen Wahlkämpfen und deren fulminanten Anstiegen kein Ende in Sicht.
Warum können US-Spendenkönige und Lobbyisten politische Entscheidungen zunehmend beeinflussen?
Offenbar geht es dabei nicht um hehre politische Ideale, sondern um handfeste wirtschaftliche Interessen. Denn der Ausgang einer Präsidentschaftswahl hat unmittelbare Auswirkungen auf die Aktienkurse von Unternehmen.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Unternehmen, die vor der Wahl einen ehemaligen Politiker in den Vorstand geholt haben, legen in ihrem Aktienwert zu, wenn die Partei des Ex-Politikers die Wahl gewinnt – und zwar unabhängig von der Branche. Selbst die Höhe der Spenden, die das Unternehmen vor der Wahl geleistet hat, ist zweitrangig.
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Spenden werden offensichtlich als nichts Dauerhaftes wahrgenommen. Erst mit dem Vorstandsposten für einen früheren Politiker – Demokrat oder Republikaner – legt sich das Unternehmen politisch fest.
Im Umkehrschluss heißt das allerdings auch, dass nach der Präsidentschaftswahl die Aktienkurse von Unternehmen sinken, die einen ehemaligen Politiker aufs Schild gehoben haben, dessen Partei bei der Wahl unterlegen war. Grundsätzlich aber begrüßen die US-Aktienmärkte Berufungen ehemaliger Politiker in Vorstände, besonders wenn der Ex-Politiker zum ersten Mal in der Wirtschaft anheuert.
Beim Eintritt in ein weiteres Unternehmen ist der Effekt immer noch positiv, aber deutlich schwächer – das Ganze gleicht gewissermaßen einem Teebeutel, der an Aroma verliert, je häufiger man ihn nutzt.
Ex-Regierungsmitglieder in Unternehmen sichern Aufträge
Die Bedeutung ehemaliger Politiker und ihrer Netzwerke für die US-Wirtschaft ist auch deshalb so groß, weil in den Vereinigten Staaten jedes Jahr lukrative Regierungsaufträge über mehrere Hundert Milliarden Dollar ausgeschrieben und an Unternehmen vergeben werden. Konzerne, gerade im Rüstungsbereich, die besonders von Regierungsaufträgen profitieren, haben sicherheitshalber oft ehemalige Politiker sowohl der Demokraten als auch der Republikaner in ihren Reihen.
Empirische Studien belegen, dass Unternehmen, bei denen frühere Politiker der jeweiligen Mehrheitspartei in Senat und Repräsentantenhaus Vorstandsposten bekleiden, deutlich mehr Regierungsaufträge bekommen als Unternehmen mit fehlenden oder „falschen“ politischen Verbindungen.
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Über die Regierungsaufträge hinaus engagieren sich Ex-Politiker für ihr Unternehmen aber auch allgemein bei der Pflege der politischen Landschaft – ob es um die Lockerung von Umweltschutzauflagen geht oder um steuerpolitische Initiativen.
Die Milliardengelder der Spendenkönige wiederum werden in US-Wahlkämpfen auf wenige Landstriche konzentriert, um Wählerinnen und Wähler vom jeweiligen Kandidaten zu überzeugen. Entscheidend für den Ausgang der Präsidentschaftswahlen sind letztlich nur einige „Swing States“.
Denn die siegreiche Partei in einem Bundesstaat erhält alle Wahlleute, unabhängig davon, wie hoch sie diesen Staat gewonnen hat. Mit der einfachen Mehrheit in einem Staat gilt: „The winner takes it all.“
Da etwa Kalifornien oder New York traditionell an die Demokraten und andere Staaten wie Nebraska oder Oklahoma an die Republikaner fallen, findet Wahlkampf dort kaum statt. Die Geldströme fließen massiv in Staaten wie Florida und Ohio, die am Ende den Ausschlag geben.
Unternehmen dürfen unbegrenzt an Parteien spenden
Die wachsende Bedeutung des Big Business und seiner Lobbyisten für den Ausgang von Präsidentschaftswahlen wurde durch ein Urteil des Supreme Court entscheidend gefördert. Im Jahr 2010 befasste der Oberste Gerichtshof der USA sich in dem Verfahren „Citizens United“ vordergründig mit der Frage nach dem Recht auf freie Meinungsäußerung von Unternehmen. Doch faktisch ging es darum, ob Unternehmen unbegrenzt an Parteien und deren Kandidaten spenden können.
Die Richter entschieden, das müsse möglich sein. Der damalige Präsident Barack Obama erklärte, durch diese Entscheidung erhielten Lobbyisten deutlich mehr Macht in Washington.
Obama sah die Gefahr heraufziehen, dass Wahlen letztlich nicht mehr vom amerikanischen Volk, sondern von mächtigen Interessengruppen entschieden würden. Die Entwicklung der Parteispenden in den Jahren nach dem Urteil gibt ihm Recht, sie sind nochmals deutlich angestiegen.
Für die westliche Führungsmacht stellt dieses „Virus“ die demokratische Legitimität mehr und mehr auf den Prüfstand, weil das Big Business den Grundsatz „One man, one vote“ unterminieren kann. Dennoch bedroht diese Entwicklung zumindest solange nicht die starke Position Amerikas auf der Weltbühne, wie die Rivalen Russland und China autokratisch beziehungsweise diktatorisch regiert werden.
Gleichzeitig zeigen die nicht enden wollenden Spekulationen um den russischen Einfluss auf die US-Präsidentschaftswahl 2016 die Bedeutung der Wahl für andere Global Player.
Vor allem Moskaus und Pekings Interessen bei Handel und Investitionen dürften massiv von der Antwort auf die Frage beeinflusst werden, ob der nächste amerikanische Präsident Donald Trump oder Joe Biden heißt.
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Jörg Rocholl