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Nachwuchssuche: Die Charme-Offensive der Bundeswehr

Ab Juli fällt die Wehrpflicht weg, dann kommt keiner mehr, weil es Pflicht ist, und die Bundeswehr muss geeigneten Nachwuchs selbst finden – wie andere Betriebe auch. Aber womit soll sie werben?

Von Katja Demirci

Es ist ein Freitag im Juni, etwa halb acht Uhr am frühen Morgen, als Oberleutnant Birger Gädt vor der General-Steinhoff-Kaserne in Berlin-Spandau noch schnell eine Zigarette raucht. Zwei Dinge gibt es, die gegen ihn, und das, was er will, sprechen an diesem Morgen.

Das eine ist die Nachrichtenlage: Eine Woche zuvor ist in Afghanistan der vierte deutsche Soldat innerhalb von neun Tagen ums Leben gekommen. Das andere ist die Uhrzeit.

Oberleutnant Gädt wird gleich einen Vortrag halten über Berufschancen bei der Bundeswehr. Er ist Wehrdienstberatungsoffizier und vor ihm in einem der vielen langen eintönigen Kasernengebäude mit ihren hohen Fenstern und ihren roten Dächern, wird eine Gruppe junger Männer aus Görlitz sitzen, alles Schüler eines beruflichen Gymnasiums für Maschinenbautechnik. Eine Woche lang arbeiten die gerade als Praktikanten in dem Luftwaffenmuseum, das in der Kaserne untergebracht ist, putzen herum an alten Flugzeugen, die in Werkshallen stehen. Und jetzt gerade sind sie vor allem müde, gestern waren sie feiern.

Aber es gibt auch Dinge, die bei diesen Vorträgen für Birger Gädt sprechen. Das eine ist seine Laune. Der Mann ist ein Kumpeltyp, groß, schlank, millimeterkurzes Haar, Bärtchen. Das andere ist seine fröhliche Liebe zum Beruf. Den Jungs, die vor seinem gebügelten Hemd schlaff auf den Stühlen hängen, zeigt er erst mal ein Foto von sich von früher und in abenteuerlustiger Camouflage, das Gesicht dunkel eingeschmiert, Gras auf dem Helm. Das wirkt. Die Jungs zeigen Reaktionen, wachen auf – und finden auch das nächste Bild von Gädts Powerpoint-Präsentation irgendwie lustig: eine Deutschlandkarte mit Punkten. Blaue für die Orte, an denen er seit 1993 fest stationiert war, rote für Orte, an denen er Lehrgänge absolvierte. „Bundeswehr heißt bundesweit“, sagt Gädt, und seine Zuhörer nicken zustimmend. Es ist ein ziemliches Punktegewusel auf der Karte, dabei ist Birger Gädt, wenn auch doppelt so alt wie die Schüler, erst 35 Jahre alt.

Fast 150 Vorträge dieser Art hält Gädt im Jahr, leicht abgewandelt je nach Bildungsstand seiner Zuhörer, je nachdem, welche Schule ihn eingeladen hat. Er macht das schon seit einiger Zeit, und vor ihm haben es andere getan. Doch nie zuvor war diese Werbung für die Bundeswehr so wichtig wie jetzt. Ab dem 1. Juli wird die Wehrpflicht ausgesetzt, dann kommt niemand mehr, weil er muss.

Ein Schritt, der Teil der großen Bundeswehrreform ist, angestoßen von Karl-Theodor zu Guttenberg, ausgetüftelt vom neuen Verteidigungsminister Thomas de Maizière, der wünscht, dass diese Armee in den kommenden Jahren nicht nur kleiner, sondern auch zu einer der Freiwilligen werden solle. Höchstens 185 000 statt etwa 250 000 Soldaten soll es künftig geben. Berufssoldaten, Zeitsoldaten und FWDler, Freiwillig Wehrdienstleistende. Von Letzteren braucht es etwa 5000, gerne mehr. „Kein Problem“, sagen sie bei der Bundeswehr, genügend FWDler seien vorerst gewonnen. Doch wie wird es weitergehen? Zwei Drittel der Zeit- und Berufssoldaten rekrutierten sich bislang über fünf Zentren für Nachwuchsgewinnung, ein Drittel über den Grundwehrdienst. Der Nachwuchs muss also irgendwo aufgetrieben werden. Wofür unter anderem Oberleutnant Gädt zuständig ist.

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Deshalb sitzen die Schüler also in einem Besprechungszimmer der Kaserne, das nicht viel anders aussieht als ein Klassenraum. Ein Pflichttermin. An den Wänden hängen Fotos von Flugzeugen, kaputten und reparierten, schwarz-weiß und bunt. Die Fenster sind geöffnet, draußen scheint die Sonne, die Vögel zwitschern. Oberleutnant Gädt erzählt vom Leben und Arbeiten in Uniform. Von Toten im Auslandseinsatz – die Schüler nicken betroffen. Vom Studieren an der Bundeswehruni in Hamburg – einer reibt sich versonnen das Kinn. Vom guten Gehalt, das die Bundeswehr zahlt – zwei in karierten Hosen stoßen ihre Knie aneinander, grinsen. Davon, dass aber Geld und Ausbildung nicht die Motivation sein sollten, sich zu bewerben. „Die sollte ,Soldat’ sein.“ Die Jungs gucken und schweigen.

Was sollen sie davon halten?

Einerseits preist man den Soldatenberuf als normal an, und dann heißt es wieder, so normal sei er nun auch wieder nicht. Dann wird vom guten Geld gesprochen, das aber kein Argument sein soll. Soldat ist wohl eher doch kein Beruf wie jeder andere, und wenn es nur deswegen ist, weil die Politik die Marschrichtung bestimmt. Oder weil „kämpfen“ inzwischen dazugehört. In Gefahrensituationen wird nicht nach dem „Warum“ gefragt, da wird funktioniert. So wie ein Soldat keine Arbeit hat, sondern eine „Verwendung“. Es ist ein Ton, ein Vokabular, eine Lebenseinstellung. Das muss man mögen.

Die Schüler, die vor Gädt sitzen, gehen in die elfte Klasse, noch zwei Jahre bis zum Abitur. Eine Ewigkeit! Ob sie sich vorstellen können, zur Bundeswehr zu gehen? Klar. Genauso wie sie sich alles andere vorstellen können.

Konzerne, Firmen und Universitäten buhlen ebenfalls um die Schulabgänger aus den Jahrgängen, die immer weniger Geburten verzeichnen. Diese Konkurrenz gab es schon immer, sagen Oberleutnant Gädt und seine Kollegen. Und trotzdem ist ihr Job etwas anders. Sie werben für einen Arbeitgeber, der potenziell lebensgefährlich ist. Das leugnet auch niemand. Das ist eben so.

Bei Youtube sind Dutzende Werbevideos der Bundeswehr abzurufen, mit Musik und netten, aufgeräumten Protagonisten, die mit gebotener Zurückhaltung von ihrer Arbeit schwärmen. Ein Bäcker einer Fregatte im Meer vor Somalia, der die Kameradschaft lobt. Ein Pilot im Kampfjet, der die Geschwindigkeit liebt. „Sind Sie deutscher Staatsbürger, körperlich und geistig fit?“, fragt ein Sprecher. Flugzeuge fliegen – und über den Wolken scheint immer die Sonne. Es gibt auch Videos der US Navy oder der britischen Armee, die seit Jahrzehnten aus Freiwilligen besteht. Sie locken mit Ehre und Elite und erzählen davon, dem Land zu dienen.

Auch Bundeswehrsoldaten dienen einem Land, sie sollen Deutschland schützen und bei Hochwasser Sandsäcke stapeln, sie sollen im Ausland Brunnen bauen und noch öfter als ohnehin schon kämpfen. Im Werbedeutsch heißt das dann „staatsbürgerliche Verantwortung“ übernehmen, die Wehrdienstberater werden zu Berufsberatern, das Kreiswehrersatzamt zum „Berufsberatungszentrum Bundeswehr“. In Treptow-Köpenick ist das ein fader Bau an der Oberspreestraße, im Eingangsbereich riecht es nach Putzmittel, der Boden des Fahrstuhls ist schockierend grellgrün.

Eine junge Frau, 20 Jahre alt, mit kurzem orangefarbenen Haar betritt ein Büro, ein Piercing im rechten Mundwinkel, lange künstliche Fingernägel, höflich, bestimmt. Eine, die ganz genau weiß, was sie nicht will. Freiwilliges Soziales Jahr etwa – abgebrochen. Ihre Ausbildung zur Mechatronikerin – unbefriedigend. Der neue Trainer beim Jiu-Jitsu – kann ihr nichts mehr beibringen. Sie hat sich etwas überlegt: Sie will zu den Feldjägern, Feldwebel werden, sich auf zwölf Jahre verpflichten.

Okay, sagt der Mann, der neben ihr sitzt, der seit 26 Jahren Soldat ist, er war in Somalia, im Kosovo, Minenkampf, Sprengmittel, alles. Die Ausbildung, sagt er ihr, würde sich verkürzen, wäre intensiver, das Gehalt dafür ordentlich, 1530 Euro zum Einstieg. Fragen? „Nö“, sagt sie, „klingt gut alles.“

Einen Haufen Formulare steckt sie ein, wird sich bewerben, wird dann irgendwann einziehen im Zentrum für Nachwuchsgewinnung Ost in Grünau, wo sie zwei Tage lang getestet werden wird: ärztliche Untersuchung, Sporttest, computerassistierter Intelligenztest, Bewerbungsgespräch. Am Ende der zwei Tage wird man ihr sagen können: Hier wirst du eingesetzt werden. Es ist eine verlockende Vorstellung für jemanden, der die eigenen Aussichten auf dem freien Arbeitsmarkt als eher dürftig einschätzt.

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Das Zentrum für Nachwuchsgewinnung Ost in Grünau liegt idyllisch, ein Sprung über die Straße, schon steht man am Wasser. Die Gebäude sind flach geduckt, fast zurückhaltend, hellgelb gestrichen. Gleich nach der Wende hat die Bundeswehr sie von der Volksarmee übernommen, eine kleine Turnhalle mit hölzernem Boden gehört auch dazu. Drinnen schwitzen Bewerber auf Fitnessrädern, Handtücher baumeln rhythmisch um ihre Hälse. 152 Bewerber pro Woche werden im Zentrum getestet.

In engen Fluren sitzen junge Menschen, viele Männer, wenige Frauen. Sie halten Papiere in den Händen und warten oder laufen hinter Männern in Uniform her, die schnellen Schrittes vorangehen. Manche wirken ein bisschen unbeholfen, andere kindlich. Sie sind jene, die sich verpflichten lassen, Zeit- oder sogar Berufssoldat werden möchten. Hier warten möglicherweise künftige Soldaten. Die meisten tragen Turnschuhe, Jeans und Pullover.

Eine Prekariatsarmee werde die Bundeswehr in Zukunft sein, weil sie jeden nehme, der auf der Suche nach einer Beschäftigung sei. Es ist ein Vorwurf, der dieser Reform vorausging und der sie begleiten wird: die Unterstellung, alle zu verpflichten, die sich anbieten.

Im Wartezimmer sitzt auch einer, der es leid war, als ausgebildeter Heizungsmechaniker keinen Job zu finden. Der war schon mal beim Bund, der weiß, was ihn erwartet. Und die Bundeswehr weiß, was von ihm erwartet werden kann. Er heißt Patrick und ist 29 Jahre alt. Die Kameradschaft habe viel Spaß gemacht, sagt er, dass er „ein Naturmensch“ sei und im Übrigen eine kleine Familie zu versorgen habe. Es hört sich nicht so an, als sei Soldat sein Traumberuf. Aber Heizungsmechaniker war es auch nicht gerade. Und wer kann es sich schon leisten, berufliche Träume zu verfolgen?

Vielleicht ist ja die Bundeswehr schon ziemlich nah dran an dem, was sie sein will: nur eine berufliche Alternative.

Im psychologischen Gespräch, in den Zimmern entlang des dunklen Flures, achten sie deswegen darauf, dass diejenigen, die vor ihnen sitzen auch sicher wissen: Ich werde hier Soldat. „Zweifelsfrei“ wollen sie Eignung feststellen – und ein Psychologe ist stets dabei. Der sagt aber auch: „Wir sind hier kein Zentrum für Verhinderung.“ Und wer ist sich nicht sicher, dass er vom Zehn-Meter-Brett springen wird? Bis er dann oben steht.

Oberleutnant Birger Gädt war sich damals jedenfalls sicher, dass er zur Kriminalpolizei wollte. Bis ihn ein Freund mit in eine Kaserne nahm. Dann änderte sich seine Meinung. Zum bisher letzten Mal. Auf dem Gelände der General-Steinhoff-Kaserne in Spandau, die ausgestellten Flugzeuge im Rücken, die Sonne im Gesicht, sagt Birger Gädt an diesem Junimorgen, dass er gern Soldat sei, dass er sich als „Staatsbürger in Uniform“ verstehe, ein bisschen auch als gutes Vorbild vielleicht, in jedem Fall aber als „Teil der Gesellschaft“ – die immer wieder heftig darüber diskutiert, ob sie diesen Teil haben möchte.

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