Cameron und die EU: "Die britische Regierung muss realistisch bleiben"
Nach der Ansicht des Chefs der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, darf der britische Regierungschef David Cameron die Verhandlungen mit den EU-Partnern nicht mit unerfüllbaren Forderungen überfrachten. Eine Diskriminierung von EU-Bürgern in Großbritannien wäre eine "rote Linie", sagt der CSU-Politiker im Interview mit dem Tagesspiegel.
Der britische Regierungschef David Cameron ist nicht glücklich mit dem Status quo der EU und strebt deshalb eine Änderung des EU-Vertrages an. Halten Sie eine solche Vertragsreform für möglich?
Ob es jetzt wirklich eine Vertragsänderung braucht, wird man dann beurteilen können, wenn die Briten ihre Wünsche auf den Tisch gelegt haben. Der Ball liegt zunächst in London. Dort muss definiert werden, was man ändern will. Es gibt Themenfelder, bei denen Reformen unterhalb der Vertragsänderung möglich sind. Bei anderen Neuerungen bedürfte es einer Änderung des EU-Vertrages.
Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande wollen nun ihrerseits die Zusammenarbeit in der Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik in der Euro-Zone vertiefen– aber ohne eine Vertragsänderung. Wie soll das mit den britischen Wünschen zusammengehen?
Wir kommen jetzt in eine Situation, in der wir über die Grundlagen der Europäischen Union wieder neu diskutieren müssen. Wir wissen, dass wir in der Währungsunion eine Vertiefung brauchen, damit sie dauerhaft wetterfest gemacht wird. Andererseits will Großbritannien über die Beziehungen zur EU neu verhandeln. Es ergibt Sinn, dass wir gemeinsam diskutieren, wo die Grundlagen Europas verändert werden müssen. Wir sollten mit den Punkten beginnen, die wir im bestehenden Vertragswerk anpacken können. Mittelfristig darf eine Debatte über eine Vertragsänderung aber kein Tabu sein.
Cameron will offenbar einige Sozialleistungen für nicht-britische EU-Bürger erst nach vier Jahren verfügbar machen. Verdient er dabei Unterstützung?
Wenn die Briten EU-Bürger und britische Staatsangehörige unterschiedlich behandeln, dann ist das mit den bestehenden Verträgen nicht zu machen. Das wäre eine rote Linie, die überschritten wird. Die britische Regierung muss realistisch bleiben – sie darf keine Forderungen stellen, welche die europäischen Partner nicht erfüllen können. Aber andererseits muss Großbritannien auch spüren, dass Europa insgesamt bereit ist, eine Menge Brücken zu bauen. Viele der britischen Forderungen sind nicht nur als Problem, sondern auch als Chance zu sehen.
Zum Beispiel?
Europa muss sich um die großen Herausforderungen kümmern und ein bürokratisches Klein-klein vermeiden. Die Briten haben Recht mit ihrer Forderung, dass die Einmischung in Detailfragen des Alltags ein Ende haben muss. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker arbeitet bereits an dieser Agenda. Das zweite große Thema ist die Migration. Es kann in der Tat nicht sein, dass die Freizügigkeit in der EU genutzt wird, um einen Missbrauch von Sozialleistungen zu begünstigen. Wir brauchen eine rechtliche Klärung in der EU, weil es zur Auslegung der Freizügigkeit unterschiedliche Gerichtsurteile in Europa gibt. Aus der Sicht der Europäischen Volkspartei ist das britische Drängen auf eine Klärung willkommen.
Was halten Sie von symbolischen Forderungen, über die in London berichtet wird – etwa auf den Verzicht der Formulierung der „immer engeren Union“ im EU-Vertrag?
Bei meinen Gesprächen in London am Donnerstag und Freitag werde ich versuchen zu erläutern, was wir unter der „immer engeren Union“ verstehen. Damit geben wir ein Bekenntnis ab nach den schlimmen Jahrhunderten der Kriege in Europa: Die Menschen in Europa fühlen sich als Einheit und wirken immer enger zusammen. Diese Formulierung schreibt nicht fest, dass immer mehr Kompetenzen nach Europa abwandern müssen. Das britische Parlament kann jede Vertiefung auch in Zukunft verhindern.
Möglicherweise will Cameron auch verlangen, dass die Bezeichnung der „einheitlichen Währung der EU“ für den Euro künftig gestrichen wird.
Beim Euro hat Großbritannien ein vertraglich gesichertes Opt-out. Deshalb sind aus britischer Sicht die Fakten jetzt schon klar.
Cameron strebt ein frühes Referendum an, möglicherweise findet es schon 2016 statt. Was halten Sie davon?
Je schneller wir die Frage der britischen Mitgliedschaft klären können, umso besser. Wir können uns jetzt keine jahrelange Hängepartie leisten, bei der sich Europa nur um die Frage kümmert, ob Großbritannien dabei bleibt oder nicht.
Besteht die Gefahr, dass die Briten beim Referendum „Nein“ zur EU sagen, weil Cameron bei ihnen zu hohe Erwartungen an eine Neugestaltung der Beziehungen zur Europäischen Union geweckt hat?
Premierminister Cameron ist gestärkt aus der Unterhauswahl hervorgegangen. Er kann jetzt führen. Er muss für sich auch ein Bild entwickeln, wie er Großbritannien in den nächsten Jahrzehnten sieht. Im Inneren steht ja eine Föderalisierung an. Und im Äußeren steht die Frage an, ob man Teil Europas bleibt. Und diese Grundsatzfrage, wo sich Großbritannien sieht, muss Cameron für sich und sein Land beantworten und dann die Wähler mit seinem Vorschlag überzeugen. Ich hoffe, dass sich die Kampagne vor dem Referendum nicht nur auf Einzelaspekte wie die Migration beschränkt, sondern das große Ganze im Blick behält.