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Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil im Landtagswahlkampf
© dpa/Matthias Bein

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil: "Die Basis hängt an Martin Schulz"

Niedersachsens sozialdemokratischer Ministerpräsident Stephan Weil spricht im Interview über die Zukunft von Parteichef Martin Schulz und die Fehler der SPD im Bundestagswahlkampf.

Herr Weil, die SPD ist bei der Bundestagswahl mit 20,5 Prozent schwer abgestraft worden. Wie führt man da einen Landtagswahlkampf, ohne in Depressionen zu verfallen?

Ach, da gilt für mich Heinrich Heine: „Schlage die Trommel und fürchte Dich nicht.“ Niedersachsen ist nicht der Bund. Die SPD und ich haben hier gerade einen richtig guten Lauf. Wir haben in kürzester Zeit neun Prozentpunkte aufgeholt und liegen jetzt gleichauf mit der Union. Ich bin guten Mutes, dass wir als Erste ins Ziel gehen werden.

Sie müssen am 15. Oktober in Niedersachsen eine der letzten SPD-Bastionen verteidigen. Wie wichtig wäre ein Erfolg in Niedersachsen für das Seelenheil der deutschen Sozialdemokratie?
Bisher war das Jahr 2017 für die SPD miserabel, das kann man nicht anders sagen. Ein Sieg in Niedersachsen würde der Partei in dieser Lage Mut machen und ihr Hoffnung geben auf dem schwierigen Weg der Erneuerung, der vor ihr liegt. Das motiviert uns zusätzlich.

Hängt die Zukunft von Martin Schulz als SPD-Chef vom Ausgang der Niedersachsen-Wahl ab?
Nein. Wenn die Niedersachsen-SPD aber dazu beitragen kann, dass auch die SPD im Bund wieder stärker nach vorne blickt, dann soll es mir recht sein.

Glauben Sie, dass Schulz noch über die notwendige Autorität verfügt, um den Erneuerungsprozess der SPD im Bund zu steuern und zu gestalten?
Ja, denn eines wird in Berlin häufig unterschätzt: Viele SPD-Mitglieder und SPD-Wähler sind ihm emotional stark verbunden. Die Basis hängt an Martin Schulz. Er hat auch meine Unterstützung.

Ist in der Politik eine gewisse Härte vonnöten – auch gegen sich selbst?
Ohne Härte gegen sich selbst geht es nicht in der Politik, das ist nach meiner Erfahrung so.

Wie man jetzt im „Spiegel“ lesen kann, war Martin Schulz bereits nach den ersten Monaten seiner Kanzlerkandidatur stark verunsichert, später sogar regelrecht verzweifelt. Auch hatte er offenbar große Schwierigkeiten, seine eigene Linie im Wahlkampf gegen die eigenen Berater durchzusetzen. Ist Schulz hart genug für die erste Reihe der Politik?
Jeder Politiker, der sich in einer solchen Situation wiederfindet, kennt Momente des Zweifels, auch des Selbstzweifels. Kein Politiker, der ehrlich mit sich selbst ist, kann behaupten, ihm seien solche Gefühle und Gedanken ganz fremd. Sogar Angela Merkel dürfte solche Phasen haben.

Das heißt, nicht nur Martin Schulz, auch Stephan Weil denkt manchmal: Ich bin vielleicht der Falsche.
Nein, diesen Gedanken hatte ich Gott sei Dank noch nie! Im Übrigen herrscht in der Bundespolitik noch einmal ein ganz anderer Druck als auf Landesebene.

Welche Impulse erwarten Sie von Schulz für die Erneuerung und den Wiederaufbau der Sozialdemokratie?
Eine Diskussion über den Spitzenkandidaten greift viel zu kurz. Wir haben am Sonntag vergangener Woche die dritte und zugleich schlimmste Wahlniederlage im Bund in Folge erlitten. Das zeigt: Wir haben es mit einem grundsätzlichen Profilverlust der Sozialdemokratie zu tun. Und deshalb sollte sich auch niemand Illusionen über ein leichtes Comeback machen. Wir werden hart arbeiten müssen, bevor wir wieder eine Bundesregierung führen werden.

Schulz sieht die SPD in ihrer Existenz bedroht. Was sind die tieferen Ursachen für die Krise?
Das ist die Hunderttausenddollarfrage. Einen wichtigen Teil der Antwort glaube ich aber zu kennen. Kurz gesagt: Wir dürfen unser Politikangebot nicht auf Gerechtigkeit beschränken.

Was heißt das?
Die SPD muss immer zwei Pole gleichzeitig vertreten, wenn sie Erfolg haben will. Natürlich sind wir die Partei der Gerechtigkeit. Aber wenn wir nicht zugleich auch die Partei der Zukunft sind, dann sind wir eben nicht mehrheitsfähig. Und an dieser Stelle, bei Zukunftskonzepten und Wirtschaftskompetenz, haben wir seit etlichen Jahren Defizite – zumindest in der Vermittlung. Wir müssen alle Anstrengungen darauf richten, wieder die Partei zu werden, die erkennbar die Hand am Puls der Zeit hat. Denn am Ende ist die Kompetenz, für gute und sichere Arbeitsplätze zu sorgen, wesentlich dafür, ob die Leute einer Partei in der Wahlkabine am Ende das Land anvertrauen oder nicht.

Braucht die SPD ein neues Grundsatzprogramm?
Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Wir sollten uns Zeit für eine grundlegende programmatische Erneuerung nehmen. In den letzten zehn Jahren haben wir tiefgreifende Veränderungen erlebt. Ich habe schon vor zwei Jahren dazu geraten, Prioritäten und Schwerpunkte der SPD zu definieren, die wir den Mitgliedern und Wählern dann beharrlich und verständlich nahebringen können. Das ist nicht geschehen. Vielleicht haben wir damals die Weichen für die Wahlniederlage 2017 gestellt.

Warum?
Damals hatte die SPD ihre Projekte und ihren programmatischen Vorrat aus der Bundestagswahl 2013 aufgebraucht: Mindestlohn, Rente nach 45 Versicherungsjahren, Mietpreisbremse. Wir hätten uns also auf neue, uns besonders wichtige Ziele verständigen müssen, etwa auf eine grundlegende Reform der Pflege. Dass wir dieses Thema in diesem Bundestagswahlkampf nicht in den Mittelpunkt gestellt haben, obwohl uns in der Gesundheitspolitik große Kompetenz zugeschrieben wird, war sicher falsch. Der Pflegenotstand in Krankenhäusern und Altenheimen brennt Millionen von Menschen unter den Nägeln, darum muss sich die SPD kümmern. Das gilt auch für die nächsten Jahre.

Ihr Wahlkampf in Niedersachsen wird auch durch die Debatte um den Einstieg von Gerhard Schröder beim russischen Energiekonzern Rosneft erschwert. Kann ein Altkanzler für sich in Anspruch nehmen, dass eine solche Entscheidung seine Privatsache sei? Immerhin gilt Rosneft als Machtinstrument des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
In Niedersachsen sind die Verdienste von Gerhard Schröder als Ministerpräsident unvergessen. Es war eine herausragend gute Zeit für unser Bundesland. Jetzt ist er seit zwölf Jahren aus allen öffentlichen Ämtern ausgeschieden. Und ich sehe es in der Tat als seine Privatangelegenheit an, für wen er arbeitet. Ich kann jedenfalls keine öffentlichen Belange erkennen, die seiner Entscheidung entgegenstünden. Ob es klug war, diese Entscheidung so zu treffen, das steht auf einem ganz anderen Blatt.

Schröder hat Zweifel an der Entscheidung der SPD geäußert, in die Opposition zu gehen. Was halten Sie ihm entgegen?
Ich schätze Gerhard Schröder sehr, aber das heißt nicht, dass wir immer einer Meinung wären. Nach der dritten herben Niederlage im Bund braucht die SPD dringend Zeit, um sich neu aufzustellen. Die Wähler haben ihr alles andere als einen Regierungsauftrag erteilt. Bei einer Fortsetzung der großen Koalition hätte es auch heftige Reaktionen vieler SPD-Mitglieder gegeben. Es war also die richtige Entscheidung.

Wird die SPD ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht, wenn sie sich von vornherein weigert, zu regieren?
Die SPD nimmt ihre staatspolitische Verantwortung auch wahr , wenn sie in die Opposition geht. Ich möchte nicht erleben, dass ein Herr Gauland und seine Spießgesellen sich als die Alternative zu einem Block von Union und SPD gerieren.

Es kann aber sein, dass Jamaika im Bund nicht zustande kommt und es Neuwahlen gibt. Tritt die SPD dann noch einmal mit Martin Schulz als Kanzlerkandidat an?
Sie haben es geschafft, in einer Frage zwei Spekulationen miteinander zu verbinden. Ich würde schon bei der ersten widersprechen. Ich bin ganz sicher, dass Jamaika zustande kommt. Dass Frau Merkel und die Union aber erst die Landtagswahl in Niedersachsen abwarten, bis sie mit den Sondierungen beginnen, ist ein Ausdruck politischer Feigheit. Was haben sie zu verbergen?

Welche Rolle wollen Sie in der Bundes-SPD in Zukunft spielen, sollten Sie in Niedersachsen gewinnen?
Ich bin mit Leib und Seele Ministerpräsident, mein Arbeitsplatz ist und bleibt Hannover. Ich werde mich aber sehr engagiert in die programmatische Erneuerung der SPD einschalten.

In welcher Konstellation wollen Sie in Hannover weiterregieren?
Wie bisher mit Rot-Grün. Genau das wünschen sich die meisten Niedersachsen ausweislich der Umfragen ja auch.

Diese Umfragen sehen für Rot-Grün trotzdem keine Mehrheit.
Warten Sie’s ab! Die Umfragen zeigen, dass diese Regierung und diese Koalition einen großen Rückhalt in der Bevölkerung haben.

Ist Rot-Rot-Grün für Sie tabu?
Ich leide nicht unter der derzeit in der niedersächsischen Landespolitik grassierenden Ausschließeritis. Mein Ziel ist es, die Linke aus dem Landtag zu halten – also das Gegenteil von Rot-Rot-Grün.

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