"Pegida"-Bewegung: Die Angst vor dem Fremden
Sie malen eine Islamisierung Europas an die Wand und warnen vor Überfremdung. Und sie haben immer mehr Zulauf. Wie gefährlich ist die Bewegung „Pegida“?
Diesmal waren es noch mehr als bisher: Rund 10.000 Anhänger der Bewegung „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) haben am Montagabend in Dresden demonstriert. Und erstmals formierte sich auch ein fast ebenso großer Block der Kritiker dieser Bewegung. Dass die Aufmärsche mit den populistischen Parolen so großen Zulauf verzeichnen, verunsichert zunehmend Politik und Gesellschaft.
Wie ist die Bewegung zustande gekommen?
Die „Pegida“-Bewegung wurde im Herbst 2014 von dem Dresdner Lutz Bachmann gegründet. Zusammenstöße zwischen kurdischen Jugendlichen und Salafisten wegen des Angriffs von IS-Kämpfern auf die syrische Stadt Kobane hätten ihm Sorgen gemacht. Er habe Angst vor „Glaubenskriegen auf deutschem Boden“. Die erste Demonstration fand am 20. Oktober in Dresden statt. Einige hundert Personen nahmen teil. Aufwind bekam die Bewegung durch die „Hooligans gegen Salafisten“, die eine Woche später in Köln aufmarschierten. Rund 5000 Menschen, mehrheitlich aus dem rechten Spektrum, kamen in der Domstadt zusammen. Seitdem schnellen auch die Teilnehmerzahlen der „Pegida“ in die Höhe.
Wie weit hat sich „Pegida“ verbreitet?
Die Bewegung ist in Dresden am stärksten. Sie hat sich aber auch in anderen Städten formiert, darunter Düsseldorf, Würzburg, Rostock, Bochum, München, Kassel, Bonn und Ostfriesland. In Düsseldorf marschieren die Islamgegner etwa unter der Bezeichnung „Dügida“, in Leipzig nennen sie sich „Legida“. Außerhalb Dresdens sind die Teilnehmerzahlen allerdings deutlich geringer. In Düsseldorf kamen am Montag nur knapp 500 Leute zusammen, die Zahl der Gegendemonstranten war doppelt so hoch. Auch in Kassel blieb die Teilnehmerzahl unter den Erwartungen. Wie erfolgreich die Bewegung in anderen Städten sein wird, ist noch nicht abzusehen. Eines immerhin hat „Pegida“ geschafft: Sie bestimmt derzeit die innenpolitische Debatte.
Welche Ziele verfolgt sie?
Angeblich geht es den Teilnehmern darum, eine „Islamisierung des Abendlandes“ zu verhindern. Diese führe zu „Religionskriegen“ in Deutschland. Angereichert wird dies mit einer breiten Palette weiterer rechtspopulistischer bis rechtsradikaler Forderungen, die mit dem Ursprungsthema „Islamisierung“ nur noch wenig bis nichts zu tun haben. Auf den Demonstrationen wird zum Beispiel gegen die „Lügenpresse“ gehetzt, auch gegen „Asylmissbrauch“, die „Frühsexualisierung“ von Kindern und eine angeblich russlandfeindliche Politik. Auch die Bewahrung der „deutschen Identität“ ist ein zentrales Anliegen. Als Feindbild halten auch Linke her. Gegendemonstranten werden in Anlehnung an den Nationalsozialismus pauschal als „SAntifa“ bezeichnet.
Johannes Kiess, Sozialwissenschaftler und Extremismusforscher an der Universität Siegen, sagte dem Tagesspiegel, „Pegida“ spreche offenbar bestimmte Ängste an. „Zum einen eine diffuse Angst vor dem Fremden, dem Unbekannten und den ,Anderen‘, gerade in Dresden sind Muslime und der Islam ja eher unbekannt. Zum anderen aber auch eine eher sozial und wirtschaftlich gelagerte Angst: Deutschland ist zwar ein reiches Land, nicht alle aber profitieren davon und es kann auch schnell wieder vorbei sein mit der Insellage, die wir wirtschaftlich in Europa gerade erleben.“ Es gehe auch um Verteilungskämpfe. Offensichtlich sei die Angst vor sozialem Abstieg auch in der Mittelschicht verbreitet und das biete Konfliktpotenzial. „Dass dieses sich auf die Schwachen wie Flüchtlinge und auf Minderheiten entlädt, ist typisch für rechtspopulistische Strategien“, sagte Kiess.
Wie sind die Überschneidungen zur rechten Szene?
Trotz der islam- und ausländerfeindlichen Agenda von „Pegida“ spielen Rechtsextremisten bei den Demonstrationen und Kundgebungen bislang kaum eine Rolle. „Der Anteil ist sehr gering“, heißt es in Sicherheitskreisen, „eine Vereinnahmung gibt es nicht.“ Die NPD mobilisiere für die „Pegida“-Veranstaltungen und es kämen auch hochrangige Funktionäre dorthin. „Doch die Partei ist betrübt, dass ihr Hauptthema nun von Strömungen besetzt wird, die der NPD nicht folgen“, sagt ein Experte. Es sei nicht zu erkennen, dass für die rechtsextreme Partei nach der schweren Niederlage bei der sächsischen Landtagswahl im August, als sie den Wiedereinzug ins Parlament verpasste, nun wieder ein Aufschwung beginne.
Die „Pegida“-Demonstranten seien klassische Wutbürger, sagt ein Sicherheitsexperte. „Das ist eine bunte Mischung, vom Mittdreißiger bis zum Rentner ist alles dabei.“ Es gingen allerdings vorwiegend Männer zu den Aufmärschen. Die Protestierer hätten „hauptsächlich Verlustängste“. Zu erkennen sei die Sorge, der eigene Wohlstand werde geschmälert „und andere bekommen etwas“. Ein Vergleich mit den brachialen ausländerfeindlichen Protesten, die Anfang der 1990er Jahre Hoyerswerda, Rostock und weitere ostdeutsche Städte erschütterten, sei allerdings „zu stark“, da die „Pegida“ auf Gewalt verzichte.
Die Schnittmengen zu rechten Hooligans halten Sicherheitskreise ebenfalls für gering. Anfangs seien bei den zunächst kleinen Veranstaltungen in Dresden Anhänger der Hooligan-Truppe „Faust des Ostens“ zu sehen gewesen, einer Gruppierung brachialer Fans von Dynamo Dresden. Doch jetzt fielen Hooligans kaum noch in der Masse der Demonstranten auf, sagt ein Experte. Er sieht auch keine Hinweise für eine Verbindung der „Pegida“ mit der Vereinigung „Hooligans gegen Salafisten“. Strukturen seien bei „Pegida“ nicht zu erkennen.
Gibt es eine Verbindung zur AfD?
Zumindest distanziert sich die AfD nicht eindeutig von „Pegida“. Der Düsseldorfer „Pegida“-Ableger „Dügida“ wird sogar von einem örtlichen AfD-Mitglied organisiert, dem Rechtsanwalt Alexander Heumann. Er war vor kurzem auch bei einer der Demonstrationen „Hooligans gegen Salafismus“ (Hogesa) in Hannover aufgetaucht. Heumann gehört der „Patriotischen Plattform“ an, die den rechten Flügel der AfD bildet. Wie so oft aber spricht die Partei auch bei diesem Thema mit unterschiedlichen Stimmen. So findet Parteichef Bernd Lucke die Demonstrationen der Protestbewegung gut. Die Demos zeigten, dass sich diese Menschen in ihren Sorgen von den Politikern nicht verstanden fühlten. Die Sorgen über eine Ausbreitung von radikalem islamistischen Gedankengut seien berechtigt.
Auch AfD-Sprecherin Frauke Petry lässt Sympathie mit den Demonstranten erkennen. Diese forderten „eindeutige Maßnahmen gegen religiösen Extremismus und politische Lösungen für rasant steigende Asyl- und Einwanderungsbegehren“. Es sei das „gute Recht eines jeden Bürgers, zu demonstrieren und friedlich sein Anliegen öffentlich zu machen“.
Vize-Parteichef Hans-Olaf Henkel hingegen riet Mitgliedern seiner Partei von einer Teilnahme an „Pegida“-Aufmärschen ab. „Ich hielte es für einen Fehler, wenn sich die AfD als Partei diesen Demonstrationen anschließen würde“, sagte er dem Tagesspiegel. Es sei nicht auszuschließen, dass die „Pegida“-Proteste einen „ausländerfeindlichen oder gar rassistischen Beigeschmack bekommen“. Statt sich an „Pegida“-Demonstrationen zu beteiligen, wäre es besser, „sich individuell zu engagieren, indem man zum Beispiel Amnesty International beitritt oder in seiner Nachbarschaft bei entsprechenden islamischen Familien für Aufklärung sorgt“.
Wie reagiert die Politik?
Die Innenminister von Bund und Ländern wollen sich auf ihrem Treffen Ende der Woche mit dem Thema befassen. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Ralf Jäger (SPD) aus Nordrhein-Westfalen, kündigte eine Untersuchung zur Zusammensetzung und Motivation von Gruppen wie „Pegida“ und „Hooligans gegen Salafisten“ an. Die Initiatoren von „Pegida“ schürten „mit ausländerfeindlicher Hetze und islamfeindlicher Agitation Vorurteile und Ängste“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kritisierte „Pegida“ scharf. Deren Titel sei „eine Unverschämtheit“, sagte er dem TV-Sender Phoenix. Seine Partei brauche im Hinblick auf den Einsatz für Europa keinen Nachhilfeunterricht. „Die führenden Vertreter zeichnen sich nicht gerade durch Patriotismus und Rechtstreue aus“, erklärte der CDU-Politiker weiter. Er verstehe die Sorgen vieler Menschen. „Aber diejenigen, die diese Demonstrationen veranstalten, sind die allerschlechtesten Ratgeber für diejenigen, die diese Sorgen formulieren.“
Nach Ansicht des Sozialwissenschaftlers Kiess hat die Bundespolitik „sehr lange versucht, das Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik auszulagern. Das funktioniert nun nicht mehr.“ Wenn die Politik nicht reagiere, „werden wir immer wieder diese Proteste haben – wie auch schon seit über einem Jahr gegen Flüchtlingsheime. Sprich: Wir haben schon eine zunehmende Verstetigung dieser Art von Protesten.“
Was sagen die Muslimenverbände?
Ali Kizilkaya, der Vorsitzende des Islamrats, zeigte sich am Dienstag „besorgt und erschreckt, dass sich so viele Menschen finden, wenn es gegen den Islam geht“. Islamhass habe „offenbar die Ränder verlassen und ist auf dem Weg in die Mitte“, sagte Kizilkaya dem Tagesspiegel. Als „ersten wichtigen Schritt“ forderte er von der Politik, aus der Debatte um den Islam „den Unterton von Generalverdacht“ zu nehmen und sie „mit mehr Respekt und Vertrauen“ zu führen. „Wenn auch Volksparteien populistisch auftreten, fühlen sich die Ränder in guter Gesellschaft.“ Von der Islamisierung, die „Pegida“ behaupte, könne im Übrigen keine Rede sein: „In Dresden haben wir Mühe, unsere Gemeinden überhaupt zu erhalten.“
Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, erklärte am Dienstag in Dresden, er erwarte von der Politik, aber auch von Kirchen und Medien jetzt eine klare Positionierung. Dass sie bisher nicht ausreichend klar sei, sei „auch ein Grund, warum Islamfeindlichkeit heute salonfähig geworden ist“, sagte Mazyek. Weder der Mord an der ägyptischen Muslima Marwa el-Sherbini in Dresden 2009 noch die Aufdeckung der NSU-Morde habe anscheinend genügt, „einen Ruck durch die Gesellschaft“ auszulösen.