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Krisentreffen von Vertretern Saudi-Arabiens und Kuwaits
© AFP/Handout/Saudi Royal Palace

Iran, Katar, Saudi-Arabien: Die Alternative zur Despotie heißt Chaos

Katar bildet eine Art Scharnier zwischen sunnitischer und schiitischer Welt, zwischen Orient und Okzident. Jedes unbedachte Wort, jeder gedankenlose Tweet kann eine unkontrollierbare Dynamik entfalten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Da blickt keiner mehr durch. Oder, etwas ratloser: Ach, diese Widersprüche! So fallen die Reaktionen aus, wenn die Menschen im Nahen und Mittleren Osten von Terror, Krieg und Bürgerkrieg geplagt werden. Wer sind die Guten, wer die Bösen? Ist der Iran der größte staatliche Sponsor des Terrorismus oder dessen Erzfeind Saudi-Arabien? In beiden Ländern werden Frauen unterdrückt, manchmal gesteinigt, Schwule verfolgt, Dissidenten gefoltert oder ermordet. Zu wem soll der Westen engere Beziehungen unterhalten? Jeder Versuch, das Knäuel zu entwirren, gleicht einer Sinngebung des Sinnlosen.

Es beginnt mit der nackten Nachricht. Die jüngste müsste lauten: Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) hat in Teheran, der Hauptstadt des Terror-Unterstützerstaates Iran, einen Terroranschlag verübt. Kurz zuvor hatte der Terror-Unterstützerstaat Saudi-Arabien, gemeinsam mit Ägypten und drei Golf-Staaten, die diplomatischen Beziehungen zum Emirat Katar aufgekündigt, dem vorgeworfen wird, sowohl den IS zu unterstützen als auch freundschaftliche Kontakte zum Iran zu pflegen.

Dieser Vorwurf wiederum soll von einer Falschmeldung ausgelöst worden sein, die russische Hacker lanciert hatten. Auf diese Falschmeldung fiel offenbar auch US-Präsident Donald Trump herein, der zuerst die dramatischen Entwicklungen als Erfolg seiner Reise in die Region lobte, dann aber – via Außenminister – den Streit eilends zu schlichten versuchte. Unterdessen wurde bekannt, dass Trumps angeblich mit Saudi-Arabien abgeschlossener 110 Milliarden Dollar schwerer Rüstungsdeal aus ein paar Absichtserklärungen besteht, die auf die Amtszeit von Barack Obama zurückgehen. Wer da noch bei Verstand bleibt, hatte nie einen.

In Richtung Hamas und Muslimbrüder fließt viel Geld

Doch so verführerisch die halb belustigte, halb zynische Zuschauerpose ist, so töricht wäre es, angesichts der hoch explosiven Lage in ihr zu verharren. Die Despotenregime am Golf sind äußerst fragil, der Ölpreis sinkt, Bildung, Wissenschaft und Industrie wurden weder gefördert noch aufgebaut. Der Export eines salafistischen und wahhabitischen radikalen Islam gilt stets vor allem der eigenen Machtkonsolidierung.

Katar hatte versucht, auf mehreren Hochzeiten zu tanzen: In Richtung Hamas und Muslimbrüder fließt viel Geld, mit dem Iran teilt sich das Land das weltweit größte Erdgasfeld, was gewisse gemeinsame Interessen begründet, die USA haben auf dem Al-Udeid Luftwaffenstützpunkt ihren Central Command mit 10.000 Soldaten, andererseits werden syrische Rebellen unterstützt, die gegen Syriens Präsidenten Baschar al-Assad kämpfen, dem wiederum Teheran hilft, außerdem ist mit „Al Jazeera“ ein zumindest semi-unabhängiges arabisches Satellitenfernsehen in Doha beheimatet. Katar bildete bislang eine Art Scharnier zwischen sunnitischer und schiitischer Welt, zwischen Orient und Okzident.

Diese Funktion bleibt wichtig, zumal in einer politischen Großwetterlage, in der auf Stürme in aller Regel Orkane folgen. Syrien und Libyen gibt es als Staaten faktisch nicht mehr. Der arabische Frühling ist nahtlos in eine neue Eiszeit umgeschlagen. Die Rivalität zwischen Iran und Saudi-Arabien nimmt an Vehemenz zu. Jedes unbedachte Wort, jeder gedankenlose Tweet kann eine unkontrollierbare Dynamik entfalten. Die Alternative zur Despotie heißt im Nahen Osten derzeit nicht Demokratie sondern Chaos.

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