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Mehr als 140 Soldaten starben bei dem Taliban-Überfall.
© Reuters

Terror in Afghanistan: Die alarmierende Machtdemonstration der Taliban

Der Anschlag in Masar-i-Scharif zeigt die Probleme der afghanischen Armee. Dort bilden deutsche Soldaten Sicherheitskräfte aus.

„Zielt auf die Köpfe“, schrien die Angreifer, als sie den Speisesaal des Armee-Hauptquartiers stürmten. „Sie töteten viele meiner Freunde“, erzählt der 19-jährige Überlebende Mohammed Kurban. Der junge Rekrut konnte sich mit einem Sprung aus dem Fenster retten. Andere hatten weniger Glück. Mehr als 140 Soldaten starben bei dem Anschlag der Taliban auf das afghanische Corps 209, das in Masar-i-Scharif stationiert ist und mit der Bundeswehr zusammenarbeitet, die unweit im Camp Marmal noch einige Hundert Kräfte stationiert hat.

Der militärische Großverband der afghanischen Armee mit 30 000 Angehörigen ist für die Sicherheit großer Teile Nord-Afghanistans zuständig. Der einst ruhige Teil des Landes hat sich zu einem zwischen den Taliban und der Armee schwer umkämpften Gebiet entwickelt. Ende 2016 griffen die Aufständischen das deutsche Konsulat in Masar-i-Scharif an. Die etwa 150 Kilometer entfernt gelegene Stadt Kundus wurde bereits zweimal von den Taliban überrannt.

Terror in Nord-Afghanistan ist inzwischen an der Tagesordnung, doch der Anschlag auf die Kaserne in Masar zeigt eine neue Dimension der Brutalität in dem inzwischen 16 Jahre dauernden Krieg zwischen der Regierung in Kabul und den Aufständischen. Es ist eines der schlimmsten Attentate seit dem Sturz der Taliban 2001.

Überlebende berichteten, die zehn Angreifer hätten ihre Opfer aus nächster Nähe im Stil einer Hinrichtung erschossen. Die meisten der getöteten Soldaten befanden sich unbewaffnet in der Moschee der Militärbasis, wo sie dem traditionelle Freitagsgebet beiwohnten, als die Attentäter das Feuer auf sie eröffneten. Nach Angaben eines Mitglieds der Provinzregierung gab es in Masar nicht einmal genug Särge für die vielen Toten.

Die Taliban brüsteten sich damit, dass mehrere Deserteure unter den Angreifern waren, so dass die Attentäter unbehelligt in das Innere des Lagers vordringen konnten. Die Islamisten veröffentlichten auch ein Foto der mutmaßlichen Täter, gekleidet in Armee-Uniformen.

Der grausame Anschlag wirft ein Schlaglicht auf den desolaten Zustand der afghanischen Armee. Finanziell gestützt durch den Westen sind die Afghanen nach dem Ende der Nato-Kampfmission gegen die Taliban weitgehend auf sich gestellt. Die Verluste der afghanischen Armee sind so hoch, dass sie die militärische Handlungsfähigkeit beeinträchtigen . Allein im vergangenen Jahr kamen mehr als 6700 afghanische Soldaten ums Leben. Beunruhigend ist zudem die hohe Zahl der Deserteure. Afghanistans Armee verliert jeden Monat 5000 Soldaten durch Fahnenflucht und Tod. Hingegen werden jeden Monat nur 3000 neue Soldaten rekrutiert.

Vor gut einer Woche hatte die USA im Osten Afghanistans die größte konventionelle Bombe der Welt auf einen vermuteten Unterschlupf der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ abgeworfen, doch der Anschlag auf die afghanische Armee in Masar zeigt, dass die Taliban weiterhin die größte Bedrohung für die Sicherheit am Hindukusch sind. Gleichzeitig mehren sich die Hinweise drauf, dass die USA ihre Truppen in Afghanistan wieder aktiv am Kampf gegen die Taliban beteiligen will.
Russland hat sich dagegen in den vergangenen Monaten den Taliban angenähert.

Der Westen sieht das neue Engagement Russlands in Afghanistan kritisch und hat eine Einladung Moskaus zu Friedensgesprächen in Afghanistan ausgeschlagen. Afghanistan könnte so bald erneut zu einem Stellvertreter-Kriegsschauplatz zwischen den USA und Russland werden.

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