Christentum in Deutschland: Die AfD und der Kulturkampf in den Kirchen
Das Christentum verpflichte dazu, Flüchtlinge aufzunehmen, sagen die Bischöfe. Doch nicht alle Christen denken so. Der Kampf um Identität und Sicherheit hat auch die Kirchen erreicht.
Wenn es um die Flüchtlinge geht, stehen die beiden großen Kirchen fest hinter Angela Merkels Willkommenskurs von 2015. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kardinal Reinhard Marx und Bischof Heinrich Bedford-Strohm, begrüßten die Flüchtlinge persönlich am Münchner Hauptbahnhof. Sie predigen entschieden über christliche Nächsten- und Fernstenliebe und zeigen „klare Kante“ (Bedford-Strohm) gegen die AfD, gegen „völkisches Gedankengut“ und „rechtsextremistische Kampfrhetorik“ .
„Die Kirche lehnt die politische Programmatik des Rechtspopulismus ab, bestimmten rechtspopulistischen Positionen und Kampagnen widerspricht sie entschieden und ächtet sie“, schreibt der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki in dem gerade erschienenen Buch „AfD, Pegida und Co – Angriff auf die Religion?“ (Herder). Die Kirche trete ein für die ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt. „Denn Christen unterscheiden nicht nach Herkunft, Kultur oder Religion, sondern erkennen in jedem Menschen das Abbild Gottes.“
Auch "Bibelfreunde" sympathisieren mit AfD
Doch das sehen bei Weitem nicht alle Kirchenmitglieder so. Etliche finden es falsch, dass die Bischöfe so dezidiert auftreten und sich politisch so klar positionieren (siehe Interview). Auch fromme Christen fürchten, die Flüchtlinge könnten das Land verändern und sorgen sich um die Identität Deutschlands. Dass sich in manchen Gemeinden die Abläufe ändern, um die neu Dazugekommenen besser zu integrieren, empfinden sie nicht als Bereicherung, sondern als Zumutung.
Auch Bibelfreunde sympathisieren mit der AfD und beziehen die Nächstenliebe nur auf die Angehörigen der eigenen Familie, der eigenen Nation und der eigenen Religion. „Was mich besonders empört, ist die Äußerung von Kirchenvertretern, man wolle bei der Aufnahme von Flüchtlingen keinen Unterschied zwischen den Religionen und Konfessionen machen. Sind wir schon so weit, dass wir aus Gründen der Political Correctness die Mahnung des heiligen Apostels Paulus vergessen haben: ,Helft zuerst Euren Brüdern’?“, schreibt ein katholischer Philosophieprofessor auf der AfD-nahen, sich christlich gebenden Online-Plattform „Charismatismus.wordpress.com“. Viele Autoren auch der rechtskatholischen Plattform „kath.net“ fühlen sich, wenn es um das rückwärtsgewandte Familienbild, den Lebensschutz oder gegen den Islam geht, bei den neuen Rechten mehr zu Hause als in ihrer Kirche. Zugleich suggerieren die „Christen in der AfD“, sie seien die eigentlichen „Retter des christlichen Abendlandes“.
Bischöfe beobachten mit Sorge eine wachsende Kluft zwischen Kirchenleitung und Kirchenvolk. Und so wird in Kirchenleitungssitzungen, in katholischen und evangelischen Akademien und Gemeindekirchenräten gegrübelt, wie man umgehen soll mit den Andersdenkenden in den eigenen Reihen. Soll man Brücken bauen zu den Rechtspopulisten, um verlorene Schäfchen zurückzugewinnen, oder Verbindungen kappen, um sich vor bedrohlichen Einflüssen zu schützen? Und was heißt es eigentlich, Christ zu sein? Der Kulturkampf um Identität, Sicherheit und Werte, der die politischen Wahlkämpfe dieses Jahr bestimmen wird, hat auch die Kirchen erreicht.
21,5 Prozent der Katholiken ausländerfeindlich
Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2016 wählten laut Infratest/dimap 15 Prozent der Protestanten und 13 Prozent der Katholiken AfD. In Rheinland-Pfalz sah es ähnlich aus. Den Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer hat das nicht überrascht. In seiner repräsentativen Langzeituntersuchung „Deutsche Zustände“ zeichnete sich ein stabiles Muster ab: Je religiöser sich die Befragten einschätzten, umso mehr werteten sie Homosexuelle ab, äußerten sich rassistisch, antisemitisch und sexistisch. „Religiosität, die den christlichen Wertvorstellungen der Nächstenliebe, der Gleichwertigkeit von Menschen und ihrer Wertschätzung folgen sollte, schützt nicht vor Menschenfeindlichkeit“, sagt Heitmeyer. Im Gegenteil: Die Kirchen hätten da ein besonderes Problem, weil so viele ältere Menschen Mitglied sind. Mit zunehmendem Alter steige die Zustimmung zu rechten Haltungen. Problematisch sei auch die große Homogenität in Kirchengemeinden. „Es braucht heterogene Gruppen, damit sich Meinungen überkreuzen und die Menschen sich nicht gegenseitig hochschaukeln“, sagt der Soziologe.
Die Leipziger Studie über die „enthemmte Mitte“ ergab 2014, dass 21,5 Prozent der Katholiken und 17,9 Prozent der Protestanten ausländerfeindlich eingestellt sind. 15,5 Prozent der Katholiken und 12,9 Prozent der Protestanten vertraten chauvinistische Positionen, 5,7 Prozent der Katholiken und 5,4 Prozent der Protestanten äußerten sich antisemitisch. Diese Positionen sind nicht automatisch identisch mit rechtspopulistischen Einstellungsmustern, aber es gibt große Überschneidungen. Die Konfessionslosen lagen bei diesen Punkten unter den Prozentzahlen der Christen. Die These, die Kirchenleitende gerne vortragen, wonach ein fester christlicher Glaube zu mehr Offenheit gegenüber Andersgläubigen führe, ist also bestenfalls die halbe Wahrheit.
Konservative lehren: Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil
Es ist ja auch noch nicht lange her, dass sich die Kirchen mit großer Mehrheit von autoritären, antidemokratischen Denkmustern distanziert haben. Erst nach 1945 kam dieser Prozess in Gang – und auch nur schwerfällig. Das hierarchische Organismusmodell der katholischen Kirche spreche Menschen an, die anfällig sind für autoritäres Denken, sagte die Theologin Saskia Wendel kürzlich auf einer Tagung der Katholischen Akademie in Berlin. Auch herrsche in rechtskatholischen Kreisen eine große Freiheitsskepsis. Glaube werde als Fähigkeit aufgefasst, sich der Autorität Gottes und der Kirche zu unterwerfen und zu gehorchen.
Konservative Theologen lehren, dass es „außerhalb der Kirche kein Heil“ gebe, was exklusive Wahrheitsansprüche gegenüber anderen Religionen befördert. Rechte Populisten könnten leicht daran anknüpfen – zumal wenn jemand Glauben und Wissen verwechsle und vergesse, dass Aussagen über die Wirklichkeit Gottes nur vorläufig sein könnten, sagte Wendel – und forderte eine „machtkritische Analyse vormoderner Elemente in der Theologie“.
Reaktionäre Katholiken und fundamentalistische Protestanten
Die Anfälligkeit von Protestanten für autoritäre Denkmuster zeigte sich zuletzt während des Nationalsozialismus. Die evangelische Kirche unterwarf sich Hitler bereitwillig und zu großen Teilen. Die katholische Kirche hielt größeren Abstand, doch auch unter Katholiken fand die nationalsozialistische Ideologie viele Anhänger.
Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Auch die Online-Foren, Blogs und Zeitschriften, über die sich reaktionäre Katholiken und fundamentalistische Protestanten austauschen, sind bekannt. „Doch bis vor Kurzem wurden sie als Phänomene an den Rändern abgetan“, sagt Andreas Lob-Hüdepohl, katholischer Theologe und Mitglied im Deutschen Ethikrat. „Die mit den fundamentalistischen Einstellungen, das waren immer die anderen, die Spinner und Kampfbeter.“ Manchmal habe man sich über sie geärgert, meistens habe man sie belächelt.
Beim Kirchentag sollen AfD-Vertreter nicht ausgeladen werden
Wie gering die Bereitschaft ist, auf Menschen mit abweichenden Meinungen zuzugehen, zeigte im November eine qualitative Studie, die die EKD beim Sozialforschungsinstitut Proval in Auftrag gegeben hatte. Die Forscher untersuchten, was die Basis in den Gemeinden über Homosexuelle, Muslime und Juden denkt. Sie stießen auf eine „intolerante Kultur der Toleranz“: Auch dort, wo die Kirche nach außen hin tolerant auftritt, gibt es nach innen die Tendenz zur Intoleranz gegenüber Andersdenkenden. Die Kirchenvorstände machen deutlich, was nach außen hin sagbar ist, sodass der offizielle Diskurs „über das Judentum, den Islam und die Homosexualität durch Verständnis und Offenheit geprägt ist“, heißt es in der Studie. Doch „dieselben Diskursprinzipien, die Offenheit und Toleranz nach außen sicherstellen sollen, grenzen nach innen die Kirchenmitglieder, die zu diesen Fragen eine weniger offene oder eine vorururteilsbehaftete Meinung vertreten, aus.“
Die Studie ist zwar nicht repräsentativ, doch Gespräche mit Kirchenmitgliedern zeigen, dass der Befund nicht untypisch ist. So bekam etwa ein Protestant in seiner niedersächsischen Gemeinde zu hören, so jemanden wie ihn „brauchen wir nicht“. Er hatte in einer internen Runde gesagt, dass zwei der fünf Flüchtlinge, die er betreue, „miese Kerle“ seien, weil sie versucht hätten, ihn zu beklauen.
Predigten und Apelle sind kontraproduktiv
Predigten und Appelle von oben zementieren bei denen, die eine andere Meinung vertreten, das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Deshalb hört man nun von Bischöfen und Pfarrern, man müsse neue Formen des Dialogs finden und mehr Räume für persönliche Begegnungen schaffen.
„Wenn wir die erreichen wollen, die auf der Kippe stehen, müssen wir in die Milieus reingehen und uns die Hände schmutzig machen. Wir müssen Zumutungen aushalten und argumentativ gut gerüstet sein“, sagt Prälat Karl Jüsten, der das Katholische Büro in Berlin leitet.
Beim evangelischen Kirchentag im Mai in Berlin sollen AfD-Vertreter nicht kategorisch ausgeladen werden wie vor einem Jahr beim Katholikentag in Leipzig. Ob jemand auf einem Podium mitdiskutieren darf, soll davon abhängig gemacht werden, ob sich die Person in der Vergangenheit rassistisch oder menschenverachtend geäußert hat. Berlins Landesbischof Markus Dröge will sogar öffentlich mit Anette Schultner, der Vorsitzenden der Bundesvereinigung „Christen in der AfD“, diskutieren, ob sich das Christsein mit dem Engagement in dieser Partei verträgt. Allerdings haben sich schon über 1000 Kirchentagsfreunde gegen Schultners Auftritt gewandt. Der Kirchentag solle einer Partei, „die sich nicht klar von nationalsozialistischem Gedankengut und antisemitischer Hetze abgrenzt“, kein Forum bieten, heißt es in der Online-Petition.