Parteitag in Augsburg: Die AfD sucht sich selbst
Gegen das System oder mittendrin? Auf ihrem Parteitag in Augsburg verhandelt die AfD darüber, was für eine Partei sie sein will.
Die Schlange am Saalmikrofon ist lang. „Unsere Glaubwürdigkeit wird heute verraten und verkauft!“, ruft ein AfD-Bundestagsabgeordneter aufgebracht. Ein anderer Delegierter pflichtet ihm bei: „Es gibt immer einen Punkt, da hört Prinzipientreue auf und da fängt Opportunismus an.“ Doch diejenigen, die in der Augsburger Messehalle eine parteinahe Stiftung mit künftigem Millionenbudget befürworten, sind in der Überzahl. „Wir können uns nicht einen Arm auf den Rücken binden, wenn wir diesen Kampf führen“, ruft einer von ihnen ins Mikrofon.
Der Bundesparteitag der AfD in Augsburg war keiner, bei dem ein dramatischer Showdown erwartet wurde, wie ihn etwa Ex-Parteichefin Frauke Petry beim Kölner Parteitag 2017 erleben musste. Doch für die Zukunft der AfD war die Zusammenkunft der mehr als 500 Delegierten an diesem Samstag und Sonntag umso wichtiger. In den teils hitzigen Debatten spiegelte sich nichts weniger wider als die Frage, welchen Kurs die Rechtspopulisten künftig verfolgen wollen. Wollen sie das System weiterhin ablehnen oder Teil davon werden? Wollen sie Kümmererpartei sein oder weiterhin bürgerlich-wirtschaftsliberal? Einig ist sich die Partei nur in ihrer Genugtuung über den Unionsstreit in der Asylpolitik.
Die Frage, ob die AfD einen Verein als parteinahe Stiftung anerkennt, steht für eine dieser Richtungsentscheidungen. Die AfD lehnt das das System der politischen Stiftungen in Deutschland eigentlich ab. Mehr als 500 Millionen Euro jährlich erhalten parteinahe Stiftungen in Deutschland vom Staat. Die AfD kritisiert gern, die Parteien machten sich den „Staat zur Beute“. Doch eine jährliche Summe in zweistelliger Millionen-Höhe könnte auch eine parteinahe Stiftung der AfD ab der nächsten Legislaturperiode erhalten. Und so musste die Partei in Augsburg entscheiden, ob sie jetzt auch im Establishment mitspielen will, um an dieses Geld zu kommen.
Die Stiftung soll sich mit Intellektuellen und konservativen Kreisen vernetzen
Die AfD hofft, mit der Stiftung nicht nur Bildungsarbeit etwa für AfD-Kommunalpolitiker zu machen. Die Stiftung soll sich mit Intellektuellen und konservativen Kreisen vernetzen. Sie soll in die Gesellschaft ausgreifen und das „Denken der Menschen verändern“, wie es auf dem Parteitag heißt.
Als Favorit für die Anerkennung als parteinahe Stiftung gilt schon zu Beginn des Parteitages die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) unter der Leitung der Ex-CDU-Politikerin Erika Steinbach. Die Parteilose hält am Samstag eine krawallige Rede, in der sie konstatiert, Deutschland sei eine „Republik der Reue“ und ein „Fall für den Psychiater“. Sie trifft den AfD-Sound, die Delegierten jubeln ihr begeistert zu. Trotz vieler Bedenken setzen sich die Stiftungsbefürworter durch. Sie argumentieren, man müsse „Waffengleichheit mit den Altparteien“ erreichen. Die AfD erkennt die DES als parteinah an – und macht damit einen Schritt ins System.
Zur zweiten großen Zukunftsfrage, der Sozialpolitik, wagt der umstrittene Thüringer AfD-Chef Björn Höcke schon früh auf dem Parteitag einen Stimmungstest. „Setzen wir dieses wichtige Zeichen. Zeigen wir, dass die AfD die Partei des solidarischen Patriotismus ist!“, ruft er. Höcke will, dass die Delegierten für seinen Antrag stimmen, im kommenden Jahr einen Parteitag zur Sozialpolitik abzuhalten.
Das Thema kristallisiert sich immer mehr als die große Bruchlinie in der AfD heraus. Wirtschaftsliberale wie Fraktionschefin Alice Weidel stehen denen gegenüber, die Nationalismus mit einer wirtschaftlich linken Politik verknüpfen möchten. Das sind vor allem die Anhänger des „Flügels“ um Höcke. Sie wollen soziale Gerechtigkeit – nur für Deutsche. Auch Bundesvorstandmitglieder wie Kay Gottschalk und Guido Reil, beide ehemalige SPD-Mitglieder, glauben, dass sich die Partei stärker in der Sozialpolitik profitieren muss, um endlich zur „Volkspartei“ zu werden. Vom „kleinen Mann“ ist bei den Rechtspopulisten nun häufig die Rede.
Höcke setzt sich mit seiner Forderung durch: Mehr als die Hälfte der Delegierten stimmt für einen Sozialpolitik-Parteitag. Auch Parteichef Jörg Meuthen schaltet sich in Augsburg in die Debatte ein. Um ihn war es in letzter Zeit auffällig still – in der Partei wurden Stimmen laut, Meuthen nehme seine Führungsrolle nicht wahr. Auf dem Parteitag will Meuthen mit einer Grundsatzrede zur Rentenpolitik punkten, die als eine der größten Lücken im AfD-Programm gilt. Der Professor plädiert für die Abschaffung der gesetzlichen Rente – die Menschen sollten frei wählen können, wie sie fürs Alter vorsorgen. Der Applaus ist dürftig.
Welche wirtschaftspolitischen Vorstellungen sich durchsetzen, wird sich 2019 zeigen. Das Kalkül des Höcke-Flügels ist, dass der Sozialpolitik-Parteitag im Hinblick auf die herannahenden Landtagswahlen im Osten den Wünschen der dortigen Landesverbände entgegenkommen wird. Aber die Wirtschaftsliberalen werden nicht kampflos aufgeben – für einige von ihnen wäre eine Wirtschaftspolitik, wie sie sich Höckes „Flügel“ vorstellt, ein Grund, aus der AfD auszutreten. Den Parteitag in Augsburg kann Höcke jedenfalls als Erfolg für sich verbuchen.