Talkshows: Alternativlos für Deutschland?
Vorwurf: Talks kennen nur die Themen „Flüchtlinge“ und „Islam“. Analyse: Die Themen haben zeitweise Konjunktur – wie andere auch.
Die Behauptung war steil und sie ging steil. Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, hatte Anfang Juni dekretiert: „Mehr als 100 Talkshows im Ersten und im ZDF haben uns seit 2015 über die Themen Flüchtlinge und Islam informiert und dabei geholfen, die AfD bundestagsfähig zu machen.“ Da mischten sich potenzielle Fakten – mehr als 100 Talkshows zum Thema – mit einer möglichen Schlussfolgerung – Talkshows und Thema hätten den Einzug der Alternative für Deutschland mitbewirkt. Die Partei kam bei der Bundestagswahl 2018 auf 12,6 Prozent.
Ob die Talkshows mit diesen ihren Lieblingsthemen diese Reaktion ausgelöst haben, ist nur sehr schwer, auf jeden Fall nur sehr aufwendig zu verifizieren. Schlussendlich müssten die Forscher in Wähler und Symphatisanten der AfD hineinschauen. Was aber möglich ist, das hat ein Team von Datenjournalisten von „Zeit Online“ möglich gemacht: Sie haben sich die Talkshows genauer angeschaut.
Der Analysezeitraum geht vom 1. Januar 2012 bis zum und 7. Juni 2018, erfasst wurden 901 Ausgaben der ARD-Talks „Anne Will“, „Hart aber fair“ und „Maischberger“ sowie der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“, das sind zwischen 136 und 146 Talkrunden pro Jahr. Die Talks wurden über zehn Themenkomplexe ausgewertet: 1. Internationale Beziehungen, 2. Parteipolitik/Wahlen, 3. Flüchtlinge/Integration, 4. Gesundheit/Pflege, 5. Europa, 6. Armut/Soziale Ungleichheit, 7. Wirtschaftliche Situation/Steuern, 8. Rechtspopulismus, 9. Innere Sicherheit/Islamistischer Terror, 10. Kriminalität /Verbrechen.
Überschrift sagt wenig über Gesprächsverlauf aus
Das Risiko, sich nur an den Überschriften zu orientieren und nicht zusätzlich am Verlauf der Sendungen, was ja das Ausweiten oder das Wechseln des Themas bedeuten kann, ist in die Analyse eingegangen. Danach befasste sich in den Jahren 2015 und 2016 – den Höhepunkten der Flüchtlingswelle – jede vierte Talkshow mit dem Komplex „Flüchtlinge/Integration“. In Zahlen: 33 von insgesamt 141 Sendungen im Jahr 2015, 31 von 134 Talks im Jahr 2016, 2017 waren es fünf von 136, bis 1. Juli 2018 waren es nach Tagesspiegel-Berechnungen sieben Talks mit dem genannten Thema.
Das wären bis heute nicht die vom Kulturrat behaupteten mehr als hundert Sendungen zu den Themen Flüchtlinge und Islam. Dann aber zählt die Analyse, sicher nicht zu Unrecht, die Talks dazu mit den Themenkomplexen „Innere Sicherheit/Islamistischer Terror“ und „Rechtspopulismus“, was den Pegel auf 117 Sendungen für 2015/2016 nach oben schiebt. Was auch stimmt: Seit Mai 2016, so die Auswertung von „ Zeit Online“, ist die Zahl der Sendungen mit den betreffenden Themen nachhaltig zurückgegangen.
Die Analyse weist damit nach, dass in den vier Talkshows Themenkonjunkturen herrschen, was ein Ansatzpunkt für die Kritik des Kulturrats-Geschäftsführers sein könnte. Verwundern kann das niemanden, die Sendungen sind gut beraten, die aktuellen Aufregerthemen, die in der (medialen) Öffentlichkeit heiß diskutiert werden, aufzunehmen; zugleich wichtige Themen wie zum Beispiel Schule oder Bildung dann fast nie eine Chance auf Debatte in den Talkrunden von ARD und ZDF haben.
Immergleiche Gäste, beklagen die Gäste
Was das Publikum dabei ärgern kann: Wenn gerade bei den drei Talkshows im Ersten die Konjunktur eines Themas zur Inflation – siehe die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten oder die Bundestagswahlen – gesteigert wird, weshalb, so ein weiterer Vorwurf, die immergleichen Gäste auf den Couchstühlen sitzen und durcheinander reden.Solche Aspekte nimmt die „Zeit-online“-Analyse nicht auf, also nicht die Varianz der Gäste und nicht die tatsächlichen Inhalte gemäß Gesprächsverlauf. Sie hat dafür einen zweiten Fokus: den Erfolg der Talks, gerechnet nach Marktanteilen. Da heißt es: „Interessant ist, dass Sendungen, die Flüchtlingsthemen behandelten, keine höheren Quoten erzielten als solche, die sich beispielsweise um Gesundheitsfragen drehten.“ Im Schnitt erzielte ein so kontierter Talk einen Marktanteil von 11.4 Prozent, dieser Wert liegt auf der Höhe anderer Talks mit anderen Themen (11,3 Prozent).
Überblickt man den Zeitraum der vergangenen sechseinhalb Jahre, dann liegt die „Maischberger“-Ausgabe vom 28. April 2015 („Zu Gast: Helmut Schmidt“) mit 29,4 Prozent Marktanteil vorne, es folgen „Anne Will“ vom 3. September 2017 („Nach dem TV-Duell“) mit 26,4 Prozent und die Ausgabe von „Hart aber fair“ vom 17. Oktober 2016 („Terror – Abstimmung, Urteil und Diskussion“).
Die Analyse von „Zeit Online“ zeigt sehr deutlich, dass die Wahrheit zum Talkshowfernsehen in den Zahlen des Formats liegt. Auch, aber nicht nur in den Zahlen, muss es richtigerweise heißen, denn kaum ein zweites TV-Genre, das derart emotionalisiert und polarisiert und zu Kritiken führt, die auf Eindrücken beruht. Was eine weitere Analyse provozieren sollte: Wie wirken Talks beim Zuschauer, was lösen sie aus?