Völkermord an den Herero und Nama: Deutschland will Verhandlungen mit Namibia über Wiedergutmachung abschließen
Im Streit um die Aufarbeitung deutscher Kolonialverbrechen im heutigen Namibia zeichnet sich eine Einigung ab. Die Nachfahren der Opfer bleiben skeptisch.
Farbbeutel auf Bismarck, umgestürzte Columbus-Statuen, vom Sockel gestoßene Kolonialdenkmäler – in den aktuellen Auseinandersetzungen um Rassismus in den USA und Europa richten Aktivisten ihren Unmut auch gegen die Symbole der Unterdrückung aus vergangener Zeit.
Damit rückt auch ein lang vergessenes Kapitel deutscher Geschichte stärker ins öffentliche Bewusstsein: die Kolonialverbrechen in Afrika, die Deutschland während der Kaiserzeit begangen hat – etwa den Völkermord an den Herero und Nama auf dem Gebiet des heutigen Namibia, dem rund 80 000 Männer, Frauen und Kinder zum Opfer fielen.
„Der heutige Rassismus in Deutschland hat mit der Kolonialgeschichte zu tun“, sagt der Berliner Herero-Aktivist Israel Kaunatjike. „Solange die nicht aktiv aufgearbeitet wird, wird sich auch das Rassismus-Problem nicht lösen lassen.“
Neues Kapitel in der deutschen Erinnerungskultur?
Nun könnte in der Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus bald ein neues Kapitel aufgeschlagen werden. Denn die seit fünf Jahren laufenden Verhandlungen mit Namibia über Wiedergutmachung und eine offizielle Entschuldigung für die einstigen Verbrechen stehen offenbar kurz vor einer Einigung.
Das sagte der deutsche Unterhändler, der ehemalige CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz, dem Tagesspiegel. „Die nächste Gesprächsrunde wird gerade vorbereitet. Unser Ziel ist es, beim nächsten Treffen möglichst zu einem Abschluss der Verhandlungen zu kommen.“
Anschließend werde Deutschland in Namibia offiziell um Entschuldigung bitten. „Das wird auf hochrangiger Ebene stattfinden sowie in einer angemessenen Form und einem würdigen Rahmen.“ Ein Datum für die letzte Verhandlungsrunde steht noch nicht fest.
Zwischen beiden Seiten bestehe in „vielen Bereichen Einigkeit“, sagte Polenz. Man habe einen neunseitigen Text als Grundlage für die Versöhnung der beiden Staaten ausgehandelt. „Dabei wird auch klar benannt, um was es geht: den Völkermord an den Herero und Nama.“
Deutscher Kolonialismus: Terrorismus und Grausamkeit
Gegen den Begriff „Völkermord“ hatte sich Deutschland – auch aus Angst vor Reparationsforderungen – lange gewehrt. Stattdessen sprach man in Berlin lieber von „Gräueltaten“, die bei der Niederschlagung eines „Herero-Aufstands“ begangen worden seien. In Wirklichkeit führte der deutsche General Lothar von Throtha in der damaligen Kolonie „Deutsch-Südwest“ ab 1904 einen gnadenlosen Vernichtungskrieg. „Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit“, nannte er das.
Offen ist bislang die Frage nach der finanziellen Wiedergutmachung. „Fest steht, dass die Bundesrepublik in den Gebieten der Herero und Nama ins Gesundheitswesen, in die Berufsausbildung und andere Projekte der Infrastruktur investieren will“, sagte Polenz. Auch soll eine „gemeinsame Erinnerungskultur“ entwickelt werden. Entschädigungszahlungen an die Nachfahren der Opfer lehnt die Bundesregierung ab.
Namibias Präsident Hage Geingob hatte kürzlich vor dem Parlament in Windhuk erklärt, er habe ein erstes deutsches Angebot von zehn Millionen Euro als „Beleidigung“ abgelehnt. Das Auswärtige Amt äußert sich nicht zu dem Vorwurf. „Die Gespräche verlaufen im gegenseitigen Vertrauen und konstruktiv“, sagt ein Sprecher. Auch Geingob, so erklärte er dem Parlament, rechnet mit dem baldigen Ende der Verhandlungen.
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Beide Regierungen stehen in der Sache unter Druck. Die Groko hat in ihrem Koalitionsvertrag die „Aufarbeitung des Kolonialismus“ versprochen, ist aber – abgesehen von kleinen Vorstößen in der Kulturpolitik – damit bislang nicht vorangekommen. Präsident Geingob braucht ebenfalls einen Erfolg. Im Herbst finden in Namibia Regionalwahlen statt, in der Coronakrise ist die Wirtschaft des Landes eingebrochen und seiner Regierung hängt seit 2019 ein schwerer Korruptionsskandal nach.
Herero-Vertreter Kaunatjike: „Vertröstet und hingehalten“
Doch ob eine Einigung bei den Regierungsgesprächen die gewünschte Versöhnung bringt, ist fraglich. Viele Nachfahren der Opfer haben nur wenig Vertrauen in die Verhandlungen, die hinter verschlossenen Türen stattfinden. „Bislang wurden wir nur vertröstet und hingehalten“, sagt Kaunatjike. Seit Jahren klagen Opferverbände über mangelnde Transparenz und versuchten sogar, vor Gericht einen Platz am Verhandlungstisch einzuklagen.
„Wir wollen in die Verhandlungen eingebunden werden“, sagt Kaunatjike. „Nur dann können wir das Ergebnis der Gespräche akzeptieren.“
Einen Mangel an Transparenz kritisiert auch der Grünen-Abgeordnete Ottmar von Holtz, der sich eine Resolution des Parlaments in der Sache wünscht. „Es ist schade, dass der Bundestag bislang überhaupt nicht in die Verhandlungen eingebunden ist“, sagt er. „Wir müssen jeder Information nachlaufen.“
Ob die Regierungsgespräche mit Namibia so zu einer gesellschaftlichen Aufarbeitung des Kolonialismus beitragen können?
Polenz zumindest hofft, dass sich daraus langfristig ein „neues Bewusstsein für die deutsche Geschichte“ entwickelt. Zunächst aber geht es ihm erst einmal um den Abschluss der Verhandlungen. „Vor allem die Herero und Nama sind die Zielgruppe unserer Bemühungen“, sagt er. „Ich hoffe, dass sie sich von einem guten Verhandlungsergebnis überzeugen lassen.“
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