zum Hauptinhalt
Benin-Bronze im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.
© picture alliance

Rückgabe afrikanischer Raubkunst: Wie die Soros-Stiftung die Bundesregierung übertrumpft

Die große Koalition will die deutsche Kolonialgeschichte aufarbeiten – doch viel Geld ist ihr das nicht wert. Von der Soros-Stiftung dagegen kommen Millionen.

Die Leichen im Keller der Deutschen zu erforschen, das hat sich die Bundesregierung fest vorgenommen. „Mit Nachdruck eine umfassende Provenienzforschung in Deutschland vorantreiben“ will die Groko laut Koalitionsvertrag.

Gemeint ist: Die Bundesregierung möchte Wissenschaftler dabei unterstützen, die Herkunft umstrittener Objekte in deutschen Museen und Archiven zu klären.

So sollen die zahllosen menschlichen Schädel, Knochenteile und Hautstücke, die einst zu rassistischen Forschungszwecken nach Deutschland gebracht wurden, untersucht werden. Auch kostbare Kunstwerke aus Afrika, die während der Kolonialzeit geraubt wurden, sollen geprüft werden.

Das alles dient einem bestimmten Zweck: der im Koalitionsvertrag versprochenen „Aufarbeitung des Kolonialismus“.

Die will die Groko vor allem auf dem Feld der Kulturpolitik erreichen. Denn außenpolitisch klappt das bislang nicht, etwa bei der Aussöhnung mit den Nachfahren der im Völkermord vor mehr als 100 Jahren im heutigen Namibia getöteten Herero und Nama. Nun soll die Aufarbeitung wenigstens wissenschaftlich vorankommen.

Vertreter der Herero und Nama fordern von Deutschland eine Entschuldigung für den Völkermord an ihren Vorfahren.
Vertreter der Herero und Nama fordern von Deutschland eine Entschuldigung für den Völkermord an ihren Vorfahren.
© picture alliance / Johannes Schm

Doch auf dem Weg zu diesem selbst gesteckten Ziel geht die Bundesregierung nur mit kleinen Schritten voran. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine aktuelle Grünen-Anfrage, die dem Tagesspiegel vorliegt.

„Die Provenienzforschung zu Kulturobjekten aus kolonialen Kontexten nimmt nur langsam an Fahrt auf“, kritisiert die Grünen-Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther.

„Von den geschätzten über 10.000 menschlichen Gebeinen und unzähligen Kulturobjekten, die sich in deutschen Museen und Sammlungen befinden, wird bisher nur ein kleiner Teil über die von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Mittel erforscht“, ergänzte die Grünen-Politikerin.

Die Bremer Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen.
Die Bremer Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen.
© imago images / photothek

Tatsächlich gibt das vom Bund geförderte „Deutsche Zentrum Kulturgutverluste“ (DZK) aktuell nur rund 700.000 Euro für insgesamt acht Einzelprojekte zur Erforschung „kolonialer Kontexte“ aus. Zu den Objekten, die untersucht werden, zählen auch die Überreste von 149 Personen – etwa im Übersee-Museum Bremen, das alleine 115 „Ahnen- und Trophäenschädel“ aus Neuguinea besitzt.

An der Humboldt-Universität sind es zwei menschliche „Kehlkopf-Trockenpräparate“. Für die Rückgabe oder die respektvolle Bestattung der menschlichen Überreste sieht sich die Bundesregierung nicht zuständig. Das „obliegt den sammlungsgutbewahrenden Einrichtungen in eigener Verantwortung“, heißt es.

Bisher erst 700.000 Euro ausgegeben

Für die Untersuchung der Körperteile sowie der kolonialen Raubkunst stehen im „Wirtschaftsplanentwurf“ für das DZK knapp 1,1 Millionen Euro für zur Verfügung, heißt es von der Bundesregierung. 700.000 Euro wurden bislang ausbezahlt, der Rest werde ins kommende Jahr übertragen, teilt die DZK auf Nachfrage mit. „Die Gelder verfallen nicht.“

Im August 2018 gab Deutschland menschliche Überreste aus der Kolonialzeit an Namibia zurück.
Im August 2018 gab Deutschland menschliche Überreste aus der Kolonialzeit an Namibia zurück.
© imago/IPON

Ein wesentlich stärkeres Engagement in der Sache zeigt indes die „Open-Society-Foundation“ (OSF) des US-amerikanischen Förderers George Soros: Fast zehnmal so viel wie die Bundesregierung, rund 13 Millionen Euro, will die OSF weltweit zur Verfügung stellen – mehr als das DZK im kommenden Jahr insgesamt ausgeben kann. Das Magdeburger Zentrum hat im kommenden Jahr laut Haushaltsplan des Bundes rund elf Millionen Euro zur Verfügung, auch für die Erforschung von NS-Raubkunst.

Bei der „Open Society Foundation“ heißt es, für die angekündigte Förderung soll es unkomplizierte Anträge geben. „Mit dem Geld unterstützen wir die Zivilgesellschaft in den afrikanischen Ländern und auch in Deutschland darin, dass ihre Forderungen ernst genommen werden“, sagt Selmin Çalışkan, die Direktorin des deutschen OFS-Ablegers.

Selmin Çalışkan vertritt die amerikanische „Open Society Foundation“ in Deutschland.
Selmin Çalışkan vertritt die amerikanische „Open Society Foundation“ in Deutschland.
© picture alliance

Afrikanische Politiker, Aktivisten und Forscher wünschen sich seit Jahren mehr Offenheit von Deutschland, wenn es um die Rückgabe von Raubkunst geht – etwa den 440 berühmten Benin-Bronzen, die ungeachtet ihrer Herkunft aus dem heutigen Nigeria bald ins Humboldt-Forum einziehen sollen. Der Bund bezuschusst den Bau in Berlin mit mehr als 530 Millionen Euro.

Nur ein „Taschengeld“ vom Bund?

Jürgen Zimmerer, Professor für afrikanische Geschichte an der Universität Hamburg, schimpft deshalb: Das Thema Kolonialismus werde „mit einem Taschengeld abgespeist“, sagt er, „während die Bundesregierung dreistellige Millionenbeträge zur Feier der Kulturnation Deutschland verteilt.“

Die Aktivistin Çalışkan von der „Open-Society-Foundation“ lobt hingegen, die Bundesregierung zeige „viel Initiative“ in Sachen Kolonialismus-Aufarbeitung. „Es braucht jedoch mehr Transparenz darüber, was genau sie plant und wann sie gedenkt dies zu tun. Die Bemühungen müssen besser und schneller koordiniert werden.“

Der Hamburger Professor Jürgen Zimmerer.
Der Hamburger Professor Jürgen Zimmerer.
© picture alliance

Mit ihrem millionenschweren Vorstoß erhöht die Soros-Stiftung auch den Handlungsdruck auf die Bundesregierung. Schon seit der französische Staatspräsident Emmanuel Macron im vergangenen November eine groß angelegte Rückgabe afrikanischer Raubkunst aus den Museen seines Landes ankündigte, stellte er die Bundesregierung damit in den Schatten.

In Frankreich Chefsache

Zwar geht auch in Frankreich die Rückführung der 600.000 geraubten Objekte seither kaum voran, doch Macron hat die Aufarbeitung des Kolonialismus zur Chefsache gemacht – während hierzulande die Federführung bei zwei Kulturpolitikerinnen aus der zweiten Reihe liegt: bei Michelle Müntefering, SPD-Kulturstaatsministerin im Auswärtigen Amt, sowie der CDU-Politikerin Monika Grütters, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Beide sehen die Provenienzforschung als Schlüssel für den Umgang mit kolonialer Raubkunst. Eine konsequente Rückgabe von Beutekunst und Hehlerware aus deutschen Museen schließen sie nicht aus – sie fordern von deutschen Museen sogar ausdrücklich die Bereitschaft dazu. Als Vorreiterinnen in der Restitutionsfrage gelten die beiden aber nicht. Sie halten auch „Leihgaben“ der Raubkunst aus deutschen Museen an die ehemaligen Kolonien für möglich.

Müntefering und Grütters wollen mehr als 100 Jahren nach dem Ende des deutschen Kolonialismus nichts überstürzen. Man dürfe jetzt nicht „mit voreiligen europäischen oder gar deutschen Konzepten arbeiten“, forderten sie kürzlich in einem Gastbeitrag der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Der Rassismus in den Museen

Auch viele deutsche Museumsleute, die von dem Macron-Vorstoß im vorigen Jahr aufgeschreckt wurden, wollen die Sache langsam angehen. Viele öffnen ihre Sammlungen nur ungern für Vertreter aus afrikanischen Staaten auf der Suche nach den geraubten Kunstschätzen ihrer Länder.

Doch auch die Kuratoren und Archivare müssten in die Pflicht genommen werden, fordert der SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh: „Die Museen müssen offenlegen, was sie in ihren Beständen haben“, sagt er. „Da müssen auch einige Blockaden aufgebrochen werden.“

So sieht es auch der Historiker Zimmerer: „Die Rolle der Museen bei der Entwicklung und Einübung eines kolonialen, eines rassistischen Weltbildes muss thematisiert werden.“

Experten nennen DZK-Forschung unzureichend

Seinen Antrag bei der DZK für die Erforschung der Schädelsammlung im Hamburger Uni-Klinikum Eppendorf hat Zimmerer inzwischen zurückgezogen. Der Geschichtsprofessor und sein Kollege, der Medizinhistoriker Philipp Osten, kritisieren die Förderungspraxis der DSK – die ließe eine konsequente Aufarbeitung des Kolonialismus gar nicht zu.

Die DZK sei nur an der Herkunft der geraubten Objekte interessiert, nicht aber an der Frage, welche Rolle deutsche Museumsdirektoren und Wissenschaftler bei dem tausendfachen Kunstraub während der Kolonialzeit gespielt haben.

„Eine Forschung, die allein der Pflichtübung dient, ohne Hintergründe zu benennen und eine Aufarbeitung anzustoßen, halten wir für unzureichend“, sagt Zimmerer. „Dafür wollten wir uns nicht hergeben.“

Zur Startseite