Münchner Sicherheitskonferenz: Deutschland pennt beim Cyberwar
Nicht Panzer und Kampfjets entscheiden künftig Schlachten, sondern Viren und Würmer. Für den Krieg der Knöpfe ist Deutschland kaum gewappnet. Ein Kommentar.
Aufarbeitung der Vergangenheit, das klingt gut, zumal in Deutschland. Also beschloss die CDU, sich mit Merkels Flüchtlingspolitik zu befassen, und die SPD setzte einen Schlussstrich unter die Hartz-IV-Reformen von Gerhard Schröder. Getragen wurde beides von der Hoffnung, durch Rückwärtsschauen besser vorwärtsgehen zu können.
Eine Gruppe von Menschen scheut indes sowohl den Blick zurück als auch den nach vorn. Es sind die Sicherheitspolitiker. Vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz am Freitag fordern viele erneut eine Aufstockung des Wehretats. Modern, mobil, europäisch soll die Truppe sein. Die Bundesregierung hatte der Nato versprochen, bis 2024 zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes fürs Militär auszugeben. Davon ist sie weit entfernt. Bloß sagt niemand konkret, wofür das viele Geld ausgegeben werden soll – und warum.
Zunächst das Warum. Tragen konventionell starke westliche Länder und Bündnisse zum Weltfrieden bei? Die Geschichte der Interventionen seit 1945 ist ernüchternd. Das meiste endete im Debakel. Korea, Vietnam, Afghanistan, Irak. Tausende Tote, Billionen Dollar Kosten. Drei Ausnahmen, mit Einschränkungen, gab es: den Golfkrieg zur Befreiung Kuwaits, die Verteidigungskriege Israels, den Balkankrieg. Die Nato schließlich zeigte, dass ein Kalter Krieg auch ohne Schuss gewonnen werden kann. Das aber verdankte sie vor allem dem nuklearen Patt zwischen Ost und West.
Ein Flugzeugträger kostet rund zehn Milliarden Euro
Folgt das Wofür. Die Wahrscheinlichkeit, das russische Panzer bis Kiel und Koblenz rollen, dürfte gering sein. Aus Krim und Ukraine ein westliches Hochrüstungsgebot abzuleiten, wäre verwegen. Deutschlands Beitrag zu internationalen Einsätzen wiederum – von Afghanistan über Mali bis zum Sudan – ist eher gutwilliger als konfliktentscheidender Art. Brauchen wir dafür mehr Panzer und Tornados, Hubschrauber und Fregatten? Die Geräte müssen funktionieren und auf dem Stand der Technik sein. Die Debatte aber darf nicht in diesem Old-school-Denken verharren.
Stattdessen muss sich der Fokus auf die größte Sicherheitsbedrohung unserer Zeit richten – den Krieg der Knöpfe. Nicht Panzer und Kampfjets entscheiden künftige Schlachten, sondern Maus, Viren und Würmer. Seit mehreren Jahren gehen US-Geheimdienste davon aus, dass vom Cyberwar eine größere Gefahr ausgeht als vom internationalen Terrorismus. Mit Hochdruck arbeiten daher Länder wie die USA, China, Russland, Nordkorea, Iran und Israel an digitalen Waffensystemen.
Ein Flugzeugträger kostet rund zehn Milliarden Euro. Sollte es professionellen Hackern gelingen, dessen Systeme lahmzulegen, nützt ein solcher Kahn nichts. Und ein Stuxnet-Wurm zur Sabotage des iranischen Atomprogramms kann wirkungsvoller sein als jeder Sanktionsbeschluss.
Angela Merkel sprach vom Internet als „Neuland“
Es ist erschreckend, dass in Deutschland oft nur anlassbezogen über Cybersicherheit gesprochen wird, etwa wenn Hacker Bundestags-Webseiten knacken oder Edward Snowden die Abhörpraktiken der NSA enthüllt. Damals sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen: „Mir ist durch die NSA-Affäre klar geworden, was es bedeutet, wenn man vor 10 bis 15 Jahren technologische Entwicklungen verschlafen hat und heute voll Bitterkeit feststellt, wie abhängig man von anderen ist.“ Angela Merkel sprach vom Internet als „Neuland“.
Das Publikum reibt verwundert die Augen. Vor knapp dreißig Jahren kam „Die Hard 2“ in die Kinos (mit Bruce Willis als John McLane). Der Plot: Terroristen übernehmen die elektronische Kontrolle über den Flughafen Dulles und lassen Passagierflugzeuge abstürzen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Spätestens seitdem gehören Szenarien über Cyberattacken auf die kritische Infrastruktur eines Landes – Wasser- und Stromversorgung, Kernkraftwerke, Verkehrsleitsysteme, Finanzströme – in den Bereich des auch real Denkbaren.
Deutschland muss mehr tun, viel mehr. Es reicht nicht, an der Bundeswehruniversität in München einen Studiengang Cybersicherheit einzurichten. Besser wäre es, eine Cyber-Bundeswehruniversität zu gründen. IT-Experten sollten international abgeworben werden, der Markt ist klein, die Gehälter sind hoch.
Investitionen in Höhe von vielen Milliarden Euro pro Jahr sind notwendig, um den Anschluss an die digitale Weltspitze nicht zu verlieren. Nur dadurch ließe sich das Zwei-Prozent-Ziel des Verteidigungsetats rechtfertigen. Und nebenbei: Auch die zivile Wirtschaft würde von dem erworbenen digitalen Knowhow profitieren.