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assagiere halten sich am Flughafen von Palma de Mallorca auf.
© Clara Margais/dpa

Delta-Variante auf dem Vormarsch: Deutschland muss sich für eine neue Welle wappnen – aber wie?

Werden die Corona-Zahlen am Ende der Urlaubssaison wieder steigen? Es wäre leichtsinnig, darauf nicht vorbereitet zu sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Die Fähigkeit des Menschen, drohende Risiken zu verdrängen, ist ein guter Schutz gegen die Verzweiflung, auf der anderen Seite aber lebensgefährlich. Vor dieser Ambivalenz stehen in diesen Tagen hunderttausende von Urlaubern, die in die klassischen Feriengebiete am Mittelmeer fliegen wollen oder die schon dort gelandet sind.

Stellen sie plötzlich fest, dass ihr Hotel oder die Ferienwohnung mitten in einem so genannten Virusvariantengebiet liegen, macht sich entweder Panik breit, und die Vorsichtigeren fliegen gleich wieder heim – oder alles lehnt sich entspannt im Liegestuhl zurück, in der Vorstellung, dass es schon gut gehen wird.

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Die Wahrscheinlichkeit, dass die zweite Variante eintritt, ist gar nicht so gering. Denn es bleiben mehr Menschen gesund, als an Corona erkranken. Aber diese Rechnung ist dennoch dumm, denn jenen, die die Delta-Variante des Coronavirus erwischt, droht mehr als ein Schnupfen. Und selbst wenn sie selbst nur leicht erkranken, infizieren sie doch bis zur Diagnose viele Menschen, die möglicherweise durch Vorerkrankungen zu Risikopatienten werden.

Strenge Kontrollen sind bei Reisen nötig.
Strenge Kontrollen sind bei Reisen nötig.
© Christophe Gateau/dpa

Da die Jahrgänge, die sich aufgemacht haben in die Ferien, meist zu denen gehören, die noch nicht geimpft sind, ist dieses Szenario wahrscheinlich. Hier rächt sich wieder einmal die Lücke zwischen politischen Versprechen – für jeden wird bis zum Sommer ein Impfangebot gemacht worden sein – und der Realität, die eher durch Lieferverzögerungen bei den Impfstoffproduzenten geprägt wird.

Deutschland muss mit einer neuen Welle rechnen und sich vorbereiten

Wer heute zwischen 20 und 35 Jahre alt ist, und schon eine Impfung bekam, gehört zu einer viel zu kleinen Gruppe. Lasse sich niemand durch die düsteren Meldungen darüber irritieren, wie viele Menschen ihre Impftermine ungenutzt verstreichen lassen.

Das ist nur ein Bruchteil all jener, die über einen schnellen Impfung glücklich wären. Gerade hat ein großes Experiment in Reinickendorf gezeigt, dass man mit einem niederschwelligen Angebot viele hundert Menschen erreichen kann. Die Devise heißt also nach wie vor: Impfen, impfen, impfen.

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So lange aber immer noch die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner Deutschlands nicht geimpft ist, wäre es sträflicher Leichtsinn, nicht darauf vorbereitet zu sein, dass am Ende der Urlaubssaison eine neue Welle ausbrechen könnte.

Diese Vorbereitung beginnt bei der Kontrolle der Rückreisenden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass schon die letzten Spiele der Fußball-Europameisterschaft in London, Budapest und St. Petersburg zu Super-Spreader-Ereignissen werden.

Die bar jeder Verantwortung agierende Uefa, deren Verantwortliche statt des Verstandes eher die Geldzählmaschinen einsetzen, hat durch einen Sprecher zu den steigenden Infektionszahlen in St. Petersburg gerade kühl erklären lassen: Für die Teams mache die Infektionslage keinen Unterschied.

Vor allem an den Flughäfen muss eigentlich ab sofort ein Kontrollsystem funktionieren, das jeden Einreisenden aus Risikogebieten erfasst. Ohne Nachweise der doppelten Impfung oder eines Negativtestes muss die Weiterreise direkt in eine fünftägige Quarantäne führen. Stichproben reichen einfach nicht. Auch nicht wiederholen darf sich eine Erfahrung aus dem letzten Sommer: Viele Rückkehrer auf Flughäfen hätten sich gerne testen lassen, aber es gab einfach kein Angebot.

Auch die deutschen Kultusverwaltungen und die schulpolitisch Verantwortlichen stehen vor großen Aufgaben: Zwar wurden, gerade in Berlin, bis zum Sommer überall Geräte zur Luftreinigung abgeliefert. Aber sie sind zum Teil bis heute nicht installiert, und ihre Zahl reicht bei weitem nicht. Wenn wir das erst erstaunt im September feststellen, ist es zu spät.

All dies sind Beispiele dafür, was zur Kontrolle der Situation getan werden kann, ohne die Reisefreiheit selbst wieder völlig einzuschränken. Und von der Pflicht zum Gebrauch seines eigenen Verstandes kann ohnedies niemand freigesprochen werden.

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