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Ein Covid-19-Patient wird im italienischen Bergamo behandelt.
© AFP

Streit um EU-Hilfen für Italien: „Deutschland macht einen großen Fehler“

Daniel Gros kritisiert die Haltung der Bundesregierung in der Corona-Krise auf EU-Ebene. Berlin solle offensiv Vorschläge machen, fordert der Ökonom.

Nach der Ansicht des Ökonomen Daniel Gros sind Corona-Bonds wenig hilfreich für Italien, weil die gesamten Altschulden dann teurer für das Land würden. Statt dessen macht der Direktor der Brüsseler Denkfabrik CEPS einen anderen Vorschlag in der Debatte um europäische Hilfen: Länder wie Italien, die von der Corona-Krise besonders betroffen sind, müssen zeitweilig keine Beiträge mehr zum EU-Haushalt zahlen.

Herr Gros, EU-Länder wie Italien und Spanien fordern die Einführung von Gemeinschaftsanleihen, so genannter Corona-Bonds. Italiens Regierungschef Giuseppe Conte und Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez rufen die EU-Partner zu mehr Solidarität auf. In zahlreichen anderen Staaten, darunter die Niederlande und Deutschland, werden Corona-Bonds abgelehnt. Kocht hier derselbe Grundsatzstreit wie während der Euro-Krise hoch, als ebenfalls die Debatte um Euro-Bonds die Gemeinschaft spaltete?

Ich habe sehr den Eindruck, dass es zumindest auf der Seite Italiens und Spaniens um Symbolpolitik geht. Einige Länder versuchen jetzt etwas durchzusetzen, was vorher nicht mehrheitsfähig war. Sie sehen dabei mehr auf das politische Symbol als auf die tatsächliche ökonomische Wirkung.

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Der Direktor der Brüsseler Denkfabrik CEPS, Daniel Gros.
Der Direktor der Brüsseler Denkfabrik CEPS, Daniel Gros.
© imago/photothek

Befürworter von Corona-Bonds wie der aus Italien stammende EU-Währungskommissar Paolo Gentiloni argumentieren, dass es dabei nicht um die Vergemeinschaftung von Schulden aus den letzten 30 Jahren geht. Vielmehr sollen nur jene Schulden gemeinschaftlich aufgenommen werden, die während der Corona-Krise entstehen.

Das ist ein Ansatz, den man politisch nachvollziehen kann. Ich frage mich nur, welchen Vorteil Italien von solchen Corona- oder Euro-Bonds hätte. Auf den ersten Blick werden die Schulden für Italien zwar billiger. Aber Italien müsste diese Schulden vorrangig bedienen. Die gesamten Altschulden würden dabei nachrangig werden - und damit teurer für das Land.

Wie könnte man dann Solidarität mit Staaten wie Italien und Spanien auf europäischer Ebene gestalten?

Das Prinzip ist einfach. Den Staaten, die schon überschuldet sind, kann man nicht mit neuen Schulden helfen. Sondern sie brauchen einen Transfer - eine Überweisung, die sie nicht zurückbezahlen müssen. Man könnte Italien und eventuell einige andere Länder für den Zeitraum der kommenden EU-Finanzperiode zeitweilig von den Beiträgen zum europäischen Haushalt befreien. 

Es wäre denkbar, ein Abkommen zu schließen, das für die gesamte kommende Finanzperiode zwischen 2021 und 2027 gilt. In diesem Abkommen könnte man die Beiträge Italiens von anfangs Null auf sukzessiv höhere Beiträge staffeln - je nachdem, wie die Krise überwunden wird. Dies ließe sich für den gesamten siebenjährigen Finanzrahmen festlegen. Auf diese Weise könnte der Staatshaushalt in Italien erhebliche Summen einsparen.

Wie beurteilen Sie die Rolle von Bundeskanzlerin Angela Merkel? Man hat den Eindruck, dass sie lange Zeit Deutschlands Positionierung in der Frage um gemeinschaftliche Hilfen vor allem Finanzminister Olaf Scholz überlassen hat.

Ich glaube, dass Deutschland einen großen Fehler macht, indem es nur blockt und nicht selbst offensiv erklärt, was Berlin tun könnte. Wenn Deutschland zu einem solchen Zeitpunkt nur blockt und damit de facto keine europäische Solidarität zeigt, werden die politischen Folgen unabsehbar sein.

Hintergründe zum Coronavirus:

Die Bundesregierung schlägt in der Krise unter anderem eine Kombination aus Hilfen für Staaten aus dem Rettungsschirm ESM und Kredite für Unternehmen durch die Europäische Investitionsbank vor. Ist das ausreichend?

Das Problem ist, dass es sich hierbei nur um Kredite handelt. Mein Hauptargument ist, dass Italien bereits überschuldet ist. Deswegen ist dem Land mit Krediten wenig geholfen. Für italienische Privatunternehmen mag sich das etwas anders darstellen. Aber diese Firmen haben eigentlich derzeit keine großen Schwierigkeiten bei der Refinanzierung. Es ist eher der italienische Staat, der Probleme hat.

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Welche Chance auf Verwirklichung sehen Sie angesichts des Vorschlags der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen für einen „Marshallplan für Europa“? Würde ein solcher Plan nicht voraussetzen, dass es demnächst endlich eine Einigung zwischen den 27 EU-Mitgliedstaaten über den nächsten EU-Etat zwischen 2021 und 2027 gibt?

Natürlich müsste man jetzt die Gelegenheit ergreifen, um im künftigen Mehrjahreshaushalt die Gewichte zu verschieben. Aber dazu braucht es Einstimmigkeit im Kreis der Staats- und Regierungschefs der EU. Ich halte auch den Ruf nach einem „Marshallplan“ nicht für zweckdienlich. Der Marshallplan hatte seinerzeit nach dem Zweiten Weltkrieg so viel Erfolg, weil es damals darum ging, die Zerstörung von Brücken, Verkehrsverbindungen, Häfen und Häusern wieder zu beheben. Danach konnte die Wirtschaft wieder anfangen. 

Durch die Corona-Krise wurde eigentlich nichts zerstört. Der gesamte produktive Apparat ist weiterhin da. Er muss nur wieder in Gang kommen. Natürlich gibt es einige Investitionen in das öffentliche Gesundheitswesen, die noch notwendig sein werden. Aber sie haben nicht die Dimension eines Marshall-Plans.

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