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Es brennt: In den vergangenen Monaten sind immer wieder Notunterkünfte für Flüchtlinge in Brand gesteckt worden.
© dpa

Gewalt von rechts: „Deutschland hat ein Rechtsextremismus-Problem“

Uwe-Karsten Heye, Vorsitzender des Vereins "Gesicht zeigen", über Angriffe auf Flüchtlinge, den NSU-Skandal und die Bergpredigt.

Herr Heye, wie weltoffen ist Deutschland im November 2015?

Ich habe den Eindruck, dass die Mehrheit der Bevölkerung aus der eigenen Geschichte gelernt hat. Die meisten Deutschen wissen, was Flucht und Vertreibung bedeuten. Und ihnen ist klar, was Asyl sein kann und sein muss.

Hunderttausende Menschen wollen nach Deutschland. Ist das zu schaffen oder schafft uns das?

Teile der konservativen Parteien machen den Eindruck, dass sie geschafft sind. Dabei müsste die gesamte Politik den Menschen vor Augen führen: Deutschland ist mal Welt-, mal Vizeweltmeister im Export. Deshalb braucht es den Mut und die Bereitschaft, in die Welt zu schauen. Also Probleme anderswo nicht zu ignorieren, sondern dabei zu helfen, sie zu lösen. Dazu gehört eben auch, Menschen aufzunehmen, die auf der Flucht sind. Die Bundesrepublik ist unendlich reich. Und unsere überalterte Gesellschaft benötigt Einwanderung. Also Menschen, die hier arbeiten und damit das Funktionieren der sozialen Sicherungssysteme gewährleisten. Das garantiert den inneren Frieden.

Nach einer anfänglichen Euphorie scheinen die Vorbehalte in der Bevölkerung gegenüber den Schutzsuchenden größer zu werden. Woran liegt das?

Auch daran, dass uns ein verzerrtes Bild der Situation vermittelt wird. Nimmt man zum Beispiel Berichte aus Passau zur Grundlage, dann entsteht der Eindruck, wir seien mit massenhafter Einwanderung konfrontiert. Zur gleichen Zeit bleiben aber die Flüchtlingsquartiere in München leer. Mit anderen Worten: Die Befürchtung, Deutschland werde „überrannt“, ist offenkundig unbegründet – auch wenn oft das Gegenteil suggeriert wird. Und die demokratischen Parteien sollten alles tun, den Abwehrreflexen etwas entgegenzusetzen.

So richtig scheint das nicht zu funktionieren. Die Abwehrreflexe manifestieren sich jeden Montag bei Pegida-Demonstrationen und werden immer heftiger.

Was da passiert, ist schändlich. Wir haben eine Verpflichtung als christlich geprägtes Abendland, den Menschen zu helfen, die Krieg, Elend und Zerstörung entkommen wollen. Wer als Christenmensch die Bergpredigt nicht kennt, der sollte sich auch nicht als Christenmensch bezeichnen.

Uwe-Karsten Heye ist Gründungsmitglied und Vorsitzender von „Gesicht zeigen. Für ein weltoffenes Deutschland“. Der Verein bekämpft Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus.
Uwe-Karsten Heye ist Gründungsmitglied und Vorsitzender von „Gesicht zeigen. Für ein weltoffenes Deutschland“. Der Verein bekämpft Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus.
© dpa

Immer häufiger schlagen die Ressentiments in Gewalt um. Was kann man dagegen tun?

Als Erstes muss endlich festgehalten werden: Deutschland hat ein rechtsextremistisches Problem mit teilweise terroristischen Strukturen. Seit dem Mauerfall sind 180 Menschen durch rechtsradikale Gewalt ums Leben gekommen. Aberhunderte wurden verletzt und sind traumatisiert. Die innere Sicherheit steht auf dem Spiel – nicht wegen der Flüchtlinge. Sondern weil weder die Polizeien im Bund und in den Ländern noch der Verfassungsschutz willens und in der Lage sind, das Problem wirklich zu bekämpfen.

Woran machen Sie das fest?

Denken Sie an den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Als es um die Aufklärung der Mordserie ging, hieß es bei den Sicherheitsbehörden, Deutsche kämen als Täter nicht Betracht, weil hierzulande Mord tabuisiert sei. Deshalb müsse man die Verantwortlichen in den Familien der Opfer suchen. Was da schiefgelaufen ist, sollte niemand vergessen. Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist eine der großen Herausforderungen für die Politik.

Wird die Politik dem gerecht?

Den Eindruck habe ich nicht.

Deutschland hat also nichts aus dem NSU-Skandal gelernt?

Es fehlt die Einsicht, dass wir es mit einer rechtsextremistischen Bedrohung zu tun haben. Dabei wird sie virulenter und gefährlicher.

Inwiefern?

Brandanschläge auf Flüchtlingsheime sind zum Beispiel fast schon an der Tagesordnung. Mehr als 500 Angriffe auf Asylsuchende gab es allein in den vergangenen Monaten. Das allein zeigt, wie gefährlich die Situation ist.

Braucht es den oft und viel beschworenen Aufstand der Anständigen?

Ja, und einen Aufstand der Zuständigen! Das heißt: den sichtbaren Schulterschluss der demokratischen Parteien. Gemeinsam muss deutlich gemacht werden: Deutschland ist ein weltoffenes Land.

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