Joe Biden und sein Kabinett: Deutschland fehlt ein bester Freund in Washington
Ein französisch geprägter Außenminister, eine Finanzministerin, die „französisch“ tickt – wo bleibt da Deutschland? Ein Gastbeitrag.
Sigmar Gabriel, früher Außenminister und SPD-Vorsitzender, ist heute Vorsitzender der „Atlantikbrücke“, Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bank und Autor der Holtzbrinck-Gruppe, zu der auch der Tagesspiegel gehört.
Amerika hat gewählt, Deutschland wird noch wählen. Die ersten Personalentscheidungen für die neue US-Regierung unter dem frisch gewählten US-Präsidenten Joe Biden stehen fest.
Viele Kabinettspositionen sind noch offen und der amerikanische Senat muss auch noch seine Zustimmung geben, was angesichts der republikanischen Mehrheit nicht einfach wird. Deutlich ist allerding schon: Die Profis kommen zurück.
Für Deutschland ist das zunächst eine gute Nachricht. Amerikas Regierung wird vom ersten Tag der Amtsübergabe an handlungsfähig sein. Das gilt besonders für die Erneuerung der Partnerschaft mit Europa.
Bidens Besetzungen wichtiger außen- und sicherheitspolitischer Posten zeigen aber auch: Frankreich darf sich von vorn herein über enge Freunde in der Regierung freuen – wichtige Personen haben sehr enge, biographisch gewachsene Beziehungen zu diesem Land. Vieles spricht dafür, dass Frankreichs Rolle in Europa noch wichtiger wird. Deutschland hingegen muss sich um Freundschaften aktiv bemühen.
Bidens designierter Außenminister ist tief und persönlich mit Europa verbunden – vor allem mit Frankreich
Da wäre zunächst Bidens designierter Außenminister, Antony Blinken. Der ist so ziemlich das Gegenteil seines Amtsvorgängers: Lebenslang, tief und persönlich mit Europa verbunden und ein überzeugter Anhänger des transatlantischen Bündnisses zwischen Europa und den USA. So beschrieb ihn unlängst das U.S. Magazin Politico. „Die Welt ist für das amerikanische Volk sicherer, wenn wir Freunde, Partner und Verbündete haben“, sagte Blinken 2016. Der designierte Außenminister beschreibt Europa als „lebenswichtigen Partner“. Die Pläne der Trump-Administration, die US-Truppen aus Deutschland abzuziehen, als „töricht und gehässig“. Für Blinke ist Trump, ein „strategischer Verlierer“. Aus seiner Sicht schwächt der Truppenabzug die Nato, schadet „Deutschland, unserem wichtigsten Verbündeten in Europa“ und helfe Wladimir Putin
Über Anthony Blinken könnte man auch sagen, der Multilateralismus sei sein Mantra.. Egal zu welchem wichtigen wichtigen außenpolitischen Thema - Terrorismus, Klima, Pandemien, Handel, China, Iran-Atomdeal, – seine Antwort bleibt die selbe: Die USA sollten mit ihren Verbündeten und im Rahmen internationaler Verträge und Organisationen zusammenarbeiten. Dass die USA dabei eine Führungsrolle übernehmen, ist für Blinken dabei wesentlich.
Der designierte Außenminister Tony Blinken ist ein echter Connoisseur
Der designierte Blinken spricht tadelloses und nahezu akzentfrei Französisch. Schon al Kind zog er nach Paris. Dort kam er auch in Kontakt mit der europäischen Geschichte, als seine Mutter Judith nach ihrer Scheidung den polnisch-amerikanischen Holocaust-Überlebenden und Juristen Samuel Pisar heiratete. Es dürfte die französischen Politiker und Medien mit Freude erfüllen, dass sie mit Tony Blinken keinen Frankreich-amateur an der Spitze des State-Department wissen, sondern einen echten Connoisseur.
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Blinken hat aber nicht nur ein exzellentes Verständnis für Frankreich und Europa, sondern er kennt den politischen Betrieb in Washington. Blinken arbeitete sechs Jahre lang im Senat – und war einer von Bidens Spitzenhelfern. Das eint im übrigen viele Kandidaten aus dem Kabinett Biden – zahlreiche designierte Kabinettsmitglieder haben sich ihre Sporen im Büro von Joe Biden auf dem Capitol Hill verdient.
Biden war von 1997 bis zu seiner Ernennung zum Vizepräsidenten im Jahr 2009 der ranghöchste Demokrat im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten. In dieser Zeit konnte Blinken enge Verbindungen zu anderen engen Beratern Bidens knüpfen, wie Avril Haines, die designierte Geheimdienstkoordinatorin des Kabinett Biden. Auch Ted Kaufman, der langjährige Stabschef und Berater Bidens im Senat und aktuell im Team Biden für die Gestaltung der Amtsübergabe verantwortlich, zählt zu den Bekanntschaften Blinkens aus seiner Zeit im Senat. Bidens engster Berater im Senat, der langjährige Stabschef Ted Kaufman, leitet derzeit präsidialen Übergang.
Anthony Luzzatto Gardener könnte auch einen wichtigen Posten bekleiden – gut für Italien
Tony Blinken ist aber nicht der einzige Berater aus Bidens Umfeld mit engen Beziehungen nach Europa. Da wäre zum Beispiel noch sein enger Freund Anthony Luzzatto Gardener, der in Bidens Wahlkampfteam für Europa zuständig war, und noch kurz vor der Wahl in Deutschland war. Blinken und Gardner kennen sich seit Kindesbeinen. Die Familien der beiden Tony‘s lebten in der Upper East Side von Manhattan, wo die Jungen verschiedene Schulen besuchten. Auch wenn die gemeinsame Zeit in New York von kurzer Dauer war - der Kontakt riss nie ab, immer wieder kreuzten sich die Wege.
Während Blinken mit seiner Mutter nach Frankreich zog, verbrachte Gardner viel Zeit in der italienischen Heimat seiner Mutter. Beide trafen sich als Studenten in Harvard und später an der Columbia Law School. Und auch beruflich gab es Berührungspunkte: Mitte der 1990er Jahre arbeiteten Blinken und Tony Gardner unter Präsident Bill Clinton gemeinsam im Nationalen Sicherheitsrat. Unter Clinton wurden auch die Väter der beiden Tony’s zu Botschaftern berufen. Gardeners Vater zum Botschafter in Spanien und Blinkens Vater zum Botschafter in Ungarn.
Die Karrieren von Tony und Tony kreuzten sich erneut während der Obama-Regierung. Blinken fungierte in dieser Zeit als Top-Berater von Biden und dann als stellvertretender Außenminister, und Gardner als Botschafter bei der Europäischen Union diente. Wer den heute in London lebenden Anthony Gardner kennen gelernt hat, merkt schnell: einer, der zurück will ins politische Leben.
Sollte das klappen, würden europäische Diplomaten und Politiker an Schlüsselpositionen im engsten Umfeld des Präsidenten auf europäisch sozialisierte, sehr europhile Persönlichkeiten treffen – allerdings mit engen Beziehungen zu Frankreich und Italien, weniger zu Deutschland.
„Er wollte es wissen“
Tony Blinken wurde als Sohn jüdischer Eltern geboren. Sein verstorbener Stiefvater, Samuel Pisar, war ein Holocaust-Überlebender, der eine Autobiographie mit dem Titel „Von Blut und Hoffnung“ darüber schrieb, wie er die Nazis überlebte, einschließlich der Zeit in den Vernichtungslagern Majdanek, Auschwitz und Dachau. In einem Interview mit der Washington Post von 2013 beschrieb sein Stiefvater , wie ihn Blinken als Teenager darum gebeten hatte, über seine Erfahrungen aus dem Krieg zu berichten. „Er wollte es wissen“, sagte Pisar. „Er nahm auf, was mir in seinem Alter passiert war, und ich glaube, es hat ihn beeindruckt und ihm eine andere Dimension gegeben, einen anderen Blick auf die Welt und darauf, was hier geschehen kann. Wenn er sich heute über Giftgas in Syrien Sorgen machen muss, denkt er fast unweigerlich an das Gas, mit dem meine ganze Familie vernichtet wurde.“
Kurz nach Samuel Pisars Tod im Jahre 2015 sagte Joe Biden über seine Memoiren sie sollten „Pflichtlektüre“ sein, als „eine starke Erinnerung für jede Generation an unsere fortwährende Verpflichtung, niemals zu vergessen.“
Die designierte Finanzministerin Janet Yellen macht eine „französische“ Finanzpolitik
Als Finanzministerin hat Joe Biden Janet Yellen nominiert.
Auch sie hat eine stärkere Nähe zu Frankreich als zu Deutschland. Mit ihren finanzpolitischen Vorstellungen steht Yellen dem französischen Kurs deutlich näher als dem deutschen. Yellen, die Ex-Chefin der US Notenbank gilt als eine der profiliertesten Ökonominnen der Welt.
Dabei verfolgt sie wirtschaftspolitische eine klare Linie: Sie steht in der Tradition einer keynesianischen Finanzpolitik. Wenn Yellen also fordert „Wir müssen mehr Geld ausgeben!“, dann meint sie damit den Staat. Das aber steht im Gegensatz zur Haltung Deutschlands, die sich durch eine möglichst restriktive Fiskalpolitik verbunden mit dem Ziel eines möglichst ausgeglichenen Haushalts und der „schwarzen Null“,
So würde Yellen beispielsweise die bisher von der U.S. Zentralregierung ergriffenen Maßnahmen zur Linderung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie nicht widersprechen. So haben die USA im Laufe dieses Jahres drei Billionen Dollar in den Markt gepumpt, um damit Unternehmen vor der Insolvenz zu bewahren, Arbeitslosen Unterstützung zu zahlen, oder durch Investitionen zu einer verbesserten Auftragslage zu bewahren. Und die meisten Amerikaner erhielten sogenanntes Helicopter Money - Schecks über 1200 Dollar, versehen mit dem Namen des Präsidenten. Trotz einer Schuldenquote in den USA die inzwischen bei 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt (in der Europäischen Union sind laut Stabilitätspakt nur 60 Prozent zulässig) würde Yellen eine Neuauflage derartiger Maßnahmen wohl nicht ablehnen. Denn die resolute Ökonomin ist grundsätzlich der Auffassung, dass es die Aufgabe des Staates ist, mit Geld zu lenken – und damit auch außerhalb der reinen Wirtschaft einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, Ungleichheit oder Rassismus zu bekämpfen.
Ist Bidens Kabinett in Wirklichkeit ein „drittes Kabinett Obama“?
Die Stimmen zu den bisherigen Bekanntmachungen über das Kabinett Joe Biden variieren zwischen „Obamas dritte Amtszeit“, „Kabinett der Langweiler“ und „The Best and the Brightest“.
Für Obamas dritte Amtszeit geben nicht nur die Lebensläufe der ernannten Kabinettsmitglieder Anlass, sondern auch die aktuelle Buchveröffentlichung von Barack Obama.
Ob dies für den Nachfolger, der ja Vizepräsident unter Obama war, hilfreich ist um aus dem Schatten von Barack Obama, und damit ein Stück weit aus dem Scheinwerferlicht der Polarisation, die durchaus von Donald Trump angestachelt von Obama ausgeht, herauszutreten, ist fraglich.
Auch für das Kabinett der Langweiler gibt es Anlass – die Mehrzahl der Kandidaten können auf lange Jahre der Erfahrung in herausragenden Positionen in den Regierungsbehörden der Zentralregierung in Washington zurückblicken. Sie verkörpern jene „Liberals“, denen Trump den Krieg erklärt hatte. Ihre Ernennung gibt denjenigen Vorschub, die bereits 2012 Donald Trump wählten, weil sie sich abgehängt fühlten von „denen da in Washington“. Sie geben aber auch denjenigen Vorschub, die sich zu den „Progressives“ im Demokratischen Lager zählen, die skeptisch gegenüber den etablierten Washingtoner Eliten sind, und einen radikalen Wandel einfordern der sich auch personell darstellen müsste.
Eine Gesamtbewertung wäre verfrüht
„The Best and The Brightest” wiederum ist die Sichtweise, die am ehesten aus der „Washingtoner Bubble“ (Medien, Think Tanks, Academia) zu hören ist – denn hier weiß man am ehesten, was sich hinter den bürokratielastigen Lebensläufen verbirgt, welche Kämpfe die Kandidaten ausgefochten haben, wie sie sich dabei verhielten, und ob sie am Ende erfolgreich dabei waren. Sie heben auch am häufigsten hervor, dass die Kandidaten in der Lage sind „Ruhe und Beständigkeit“ in den politischen Betreib zu bringen.
Dies wiederum spricht einen Wunsch derjenigen U.S. Bürger an, die „Trumpisten“ noch „Progressives“ sind – ganz unabhängig von der Frage, zu welchem Lager sie sich zählen, kurz: die Mitte. Ein sehr gutes Beispiel ist hierfür die designierte Finanzministerin Yellen, die sich durch Herz und Hirn auszeichnet.
Allerdings – bedenkt man, dass die Benennung der Mehrzahl der Kabinettsmitglieder noch aussteht, dann erscheint eine Bewertung verfrüht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Joe Biden bereits angekündigt hat, dass er auch ein Republikanisches Kabinettsmitglied für denkbar hält, was ein enormer Schritt in Richtung einer republikanischen Partei wäre, die sich weiterhin äußerst bedeckt zu ihrem Verhältnis mit dem Amtsinhaber verhält.
Bidens Regierung ist diverser als Obamas
Der Vorwurf „Obamas dritte Amtszeit“ erscheint ein wenig zu einfach – auch wenn viele der Mitglieder auch in der Obama Administration eine Rolle gespielt haben, und sich auch aus dieser Zeit kennen, ist das Team keineswegs eine Neuauflage. Zum einen, weil es schlicht ein anderes Team ist.
Zum anderen, weil es sich einer völlig veränderten Gesamtlage konfrontiert ist, die auch voraussetzt, dass eine gewisse Erfahrung in der Zusammenarbeit, aber auch der Administrationen deren Leitung die Kabinettsmitglieder übernehmen, vorliegt.
Und schließlich, weil es ein ganz anderes Modell von Diversität und Repräsentation der Nation darstellt: In der Regierung Obama verkörperte dies einzig und allein der Präsident. Genau dies ist bei Biden nicht der Fall – nicht er, sondern „seine Mannschaft“ ist das Spiegelbild der Gesellschaft.
Damit ist es Joe Biden gelungen, ein wesentlich integrierenderes Gesicht der Regierungsmannschaft anzulegen, dass darüber hinaus gelernt hat, über die eigenen Unterschiede hinauszublicken und das Wohl der Vereinigten Staaten von Amerika in den Mittelpunkt zu rücken.
Deutschland braucht einen Freund in Washington
Insgesamt sind die Benennungen gute Nachrichten für die transatlantischen Beziehungen – das en gros gilt auch für die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA. Entscheidend ist hierbei, dass Joe Biden im Gegensatz zum aktuellen Amtsinhaber nicht an Germanophobie leidet. Allerdings – er neigt auch nicht zum Gegenteil. Vielmehr neigt er dazu, statt eine Beziehung zu einem europäischen Partner die Vielzahl der Beziehungen zu Europa hervorzuheben. Als Katholik mit irischen Wurzeln ist jedoch davon auszugehen, dass ihm vor allem die Beziehungen zu den britischen Inseln wichtig sind – und er in Großbritannien auch weiterhin einen europäischen Schlüsselpartner sieht. Dass er dabei nur wenig Sympathie für die Politik Boris Johnsons hat, machte er in einem ersten Telefonat mit dem britischen Premier klar – und verwies auf die Bedeutung, die die USA dem Good Friday Agreement beimaßen.
Zur Wahrheit gehört aber auch: im Kabinett von Joe Biden finden sich bisher nur wenige Mitglieder, die direkte Berührungspunkte mit Deutschland haben. Dass der designierte Außenminister Blinken französisch spricht ist an sich bemerkenswert – allerdings weist sein Lebenslauf auch auf eine gewisse Frankophilie hin.
Der eng mit Blinken vertraute Europa Berater des Biden Teams, Tony Gardner, hingegen hat seine Romanophilie in Italien erworben. Sollte Michelle Flournoy Verteidigungsministerin werden, käme eine ebenfalls mit Frankreich verbundene Ministerin ins Amt.
Und doch zeigt sich ein Berührungspunkt in den Biografien einiger Kabinettsmitglieder – die Schrecken des Holocaust, die Deutschland über die Welt gebracht hat. Auch wenn kein Zweifel daran bestehen kann, dass sich die Kabinettsmitglieder darüber bewusst sind, dass Deutschland im Jahr 2020 ein anderes ist – und auch seine Bedeutung als Partner in Europa nicht gesunken, sondern gewachsen ist.
Aber man darf auch nicht erwarten, dass diese Lebensprägungen ohne Auswirkung sind, die immer eine gewisse Hürde darstellen werden. Deutschland wird jedoch auch einen Freund in Washington benötigen – denn weder Italien noch Frankreich werden nichts unversucht lassen, um ihren Sympathievorsprung weiter auszubauen.
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