zum Hauptinhalt
vEin Check und ein Eckpunktepapier: Ursula von der Leyen und Charles Michel haben klar gemacht, wie sie sich die künftigen transatlantischen Beziehungen vorstellen: europäisch geprägt.
© AFP

Amerika nach der Wahl: Warum die EU den Neustart mit Amerika organisieren sollte - nicht Deutschland

Die EU zieht zuerst und legt Eckpunkte für eine neue Partnerschaft mit den USA. Gut so. Ein Kommentar.

Wer wen in welcher Reihenfolge anruft, ist in der Diplomatie ein Politikum. Zu den ersten Staats- und Regierungschefs, mit denen Joe Biden nach seiner Wahl telefonierte, gehörten Angela Merkel, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und der britische Premier Boris Johnson. Das war am 10. November. Brüssel hingegen musste warten. Erst am 23. November bekamen Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel Biden an die Strippe.

In dieser kleinen protokollarischen Angelegenheit steckt eine große Frage: Wer wird den Neustart in den transatlantischen Beziehungen denken und organisieren? Die Hauptstädte der Mitgliedsländer – oder die Hauptstadt der EU?

Die neue Partnerschaft Europas mit den USA soll groß, global, umfassend sein

Brüssel hat nun Tatsachen geschaffen. Am Wochenende haben Charles Michel, die Kommission und der EU-Außenbeauftragte ein erstes Eckpunktepapier dazu lanciert, wie sie sich den Neustart der transatlantischen Beziehungen vorstellen: groß – als „neue Agenda der EU und der USA für globalen Wandel“. Auf dem Dezembergipfel sollen die Staatschefs darüber diskutieren (dürfen).

Das Papier kommt gerade rechtzeitig, um ein angesichts der Wahl in den USA neu inszeniertes europäisches Identitätsdrama gleich wieder vom Spielplan der weltpolitischen Bühne zu kegeln, nämlich das Drama um die Frage, ob und wie sehr Europa Amerika braucht und ob und wie sehr die EU auch in Zeiten eines Präsidenten Joe Biden ihr Streben nach „strategischer Autonomie“ verfolgen sollte.
Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte am Tag vor der Wahl in den USA in einem Gastbeitrag betont, dass Europa militärisch von den USA abhängig bleibe. Macron verstand das als Angriff auf das von ihm hervorgehobene Paradigma der „strategischen Autonomie“ Europas, wie er in einem Interview in harschen Worten klar machte. AKK antwortete in einer Rede, sie fühle sich missverstanden.

Stellt Europa mit einer neuen transatlantischen Partnerschaft seine Autonomie wieder in Fragen?

Jetzt darf man hoffen, dass diese Debatte rasch von praktischem Handeln überholt wird. Europäische Autonomie und die Fähigkeit und Notwendigkeit, Partnerschaften einzugehen, bedingen und verstärken sich gegenseitig. Es gilt, Autonomie weiter anzustreben, aber auch Beschränkungen anzuerkennen und durch Partnerschaften auszugleichen.

In allen fünf Bereichen, die das EU-Papier nennt, können Europa und die USA nur gewinnen, wenn sie zusammenarbeiten: Covid-19, die Konjunktur nach Corona, der Kampf gegen den Klimawandel, die Stärkung des Multilateralismus und die Sicherheitspolitik.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Beispiel Covid-19: Wenn die EU und die USA zusammenarbeiten, können sie gemeinsam Vorbild sein für die Verteilung des Impfstoffs, können gemeinsam ärmere Länder mit Impfstoff versorgen und Druck auf Dritte ausüben, das auch zu tun. Sie können für mehr Transparenz in der Weltgesundheitsorganisation sorgen und Informationsnetzwerke aufbauen, die für mehr Transparenz in der nächsten Pandemie sorgen – nicht zuletzt mit Blick auf China.

Beispiel Handel: Donald Trump hat Zölle auf alle möglichen europäischen Waren verhängt, von Süßigkeiten bis zu Stahl und Aluminium. Brüssel erhebt vier Milliarden Euro an Strafzöllen auf amerikanische Produkte, das sind von der Welthandelsorganisation genehmigte Sanktionen wegen staatlicher amerikanischer Subventionen für Boeing. Über die Aufhebung dieser Zölle zu sprechen, könnte der Anfang von Verhandlungen über ein neues Freihandelsabkommen sein. Vorbehalte wie bei TTIP könnten auf beiden Seiten des Atlantiks mit Verweis auf eine dringend nötige Konjunkturspritze, mehr Transparenz und echte Nachhaltigkeit ergänzt werden.

Den USA wäre ein sicherheitspolitisch starkes Europa recht

Beispiel Sicherheit: Besonders hier ist das vermeintliche Gegeneinander von europäischer Autonomie und Partnerschaft mit den USA eine Schimäre. Nichts wäre den USA lieber als ein sicherheitspolitisch selbstbewusstes und autonomes Europa. Amerika wird genug zu tun haben mit den zahlreichen Konflikten mit China. Viele, die als Bidens sicherheitspolitische Berater ernannt sind oder gehandelt werden stellen sich folgende Arbeitsteilung vor: Europa kümmert sich um seine eigene Nachbarschaft, um Russland, Nordafrika, Syrien, den Ukraine-Konflikt und erhält von den USA weiterhin militärische Unterstützung und die atomare Teilhabe. Amerika engagiert sich dafür stärker im indo-pazifischen Raum.

Was die USA und die EU in Sachen Klimaschutz zusammen angehen könnten

In der Sicherheitspolitik hat aber auch Europa mittlerweile einiges zu bieten, Beispiel Atomabkommen mit dem Iran. Zwar haben die Europäer es nicht geschafft, nach dem Ausstieg der USA den Iran eigenständig wirtschaftlich zu stärken – das Versprechen, dass Europäer und Amerikaner unter Barack Obama dem Iran im Gegenzug gegen einen Verzicht auf ein Atomprogramm gemacht haben. Zu stark war die Wirkung amerikanischer Sanktionen. Aber sie haben es glaubhaft versucht und dadurch diplomatische Glaubwürdigkeit gewonnen, die sie jetzt einsetzen können, wenn die USA womöglich wieder in das Atomabkommen einsteigen.

[Mit dem Newsletter „Twenty/Twenty“ begleiten unsere US-Experten Sie jeden Donnerstag nach der Wahl weiter bis zur Machtübergabe im Weißen Haus. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty. ]

Beispiel Klimawandel: Joe Biden verkauft sein halbwegs ambitioniertes Klimaprogramm (CO2-Neutralität bis 2050) als Konjunkturmaßnahme. Dazu müssen die US-Märkte vor billigeren Importgüter geschützt werden, die nicht so starken Klima-Anforderungen unterliegen. Denselben Gedanken hatte man in Brüssel auch, weshalb von der Leyen eine Importsteuer auf Güter vorschlägt, bei deren Herstellung viel CO2 produziert wurde.

Die Denkfabrik European Council on Foreign Relations stellt fest: Es wäre klug, das mit den USA gemeinsam anzugehen und einen gemeinsamen geschützten Wirtschaftsraum zu schaffen. So könnte man fortfahren. In allen diesen Bereichen ist die EU der zuständige, bessere und stärkere Ansprechpartner für die USA. Nicht in allem werden sich die Einzelstaaten einig sein. Aber wann, wenn nicht jetzt, war so klar, dass die Vorteile gemeinsamen Handelns überwiegen und Identitätsfragen erst einmal hintan gestellt bleiben sollten.

Anna Sauerbrey

Zur Startseite