Bangladesch: Aus Verzweiflung wird Wut
Aufstand der Textilarbeiter im ganzen Land: Die Behörden schließen Fabriken, um die Proteste zu beenden. Aktivisten sagen, eine Erhöhung der Sicherheitsstandards würde die Kleider kaum teurer machen.
Der Feuerwehrmann war den Tränen nah. „Wir konnten sie hören“, sagt er. Sie habe ihn angefleht, sie nicht im Stich zu lassen. Rund 110 Stunden nach dem Unglück war die junge Frau noch lebend unter den Trümmern geortet worden. Ganz Bangladesch verfolgte am TV den Kampf um ihr Leben mit. Doch dann brach bei den Rettungsarbeiten ein Feuer aus. Die Mutter eines zehnjährigen Sohnes kam in den Flammen um.
Ihr Tod war das Ende der Hoffnung. Vor laufender Kamera brachen Helfer weinend zusammen. Die Frau war die wohl letzte Überlebende unter den Ruinen der Todesfabrik von Bangladesch gewesen. Mindestens 385 Menschenleben hat das größte Industrieunglück in der Geschichte des südasiatischen Landes gefordert.
Und noch immer werden hunderte Arbeiterinnen und Arbeiter vermisst. „Wir haben wenig Hoffnungen, noch jemanden lebend zu finden“, sagte Armeesprecher Shahinul Islam. Mit bloßen Händen, mit Schaufeln und Bohrern hatten die Retter über 2500 Überlebende aus den Ruinen befreit. Doch am Montag rückten Rettungsteams mit schwerem Gerät und Kränen an, um die riesigen Mauerteile zu heben. Den Helfern steht nun der traurigste Teil ihrer Arbeit bevor: Sie müssen die Leichen bergen, die in der feuchten Hitze bereits verwesen. Zur Stunde des Unglücks sollen über 3000 Menschen in den fünf Fabriken des achtstöckigen Gebäudekomplexes Rana Plaza 30 Kilometer vor den Toren der Hauptstadt Dhaka Kleider gefertigt haben – unter anderem für den britische Billiganbieter Primark und den spanischen Moderiesen Mango.
Die Trauer schlägt in Wut um. Auch am Montag zogen Näherinnen und Näher auf die Straßen. Vor allem am Textilstandort Gazipur kam es zu Aufständen. Demonstranten demolierten Autos und setzen einen Krankenwagen in Brand. Die Behörden machten hunderte Textilfabriken dicht, um die Proteste zu ersticken. Die Opposition hat für 2. Mai zu einem landesweiten Streik aufgerufen.
Der Besitzer des eingestürzten Gebäudes wurde inzwischen gefasst. Der 30-jährige Sohel Rana wollte am Sonntag über die Grenze nach Indien fliehen, als man ihn aufgriff. Trotz massiver Risse in den Mauern hatte er das Gebäude für sicher erklärt – und hunderte Arbeiter in den Tod geschickt, während er selbst flüchtete.
„Hängt Rana, hängt den Mörder“, riefen Demonstranten auf den Straßen. Auch Ranas Vater Abdul Khalek und einige Fabrikbesitzer wurden verhaftet.
Die Textilindustrie ist Bangladeschs wichtigster Wirtschaftszweig. Die Branche beschäftigt fast vier Millionen Menschen, darunter viele Frauen. Diese Industrie setzt 20 Milliarden Dollar im Jahr um. Bangladesch ist der zweitgrößte Textilexporteur hinter China.
Die Masse der Waren geht an westliche Firmen, die die Kleidung billig verkaufen. Den Preis zahlen die Näherinnen. Nicht selten mit ihrem Leben. Fabrikunglücke sind Alltag. Bangladesch ist für seine Gebäudemängel und seine schlechte Arbeitssicherheit berüchtigt. Zuletzt kamen im November bei einem Fabrikbrand 112 Menschen ums Leben.
Wie unzählige Gebäude wurde auch der Rana Plaza größtenteils illegal errichtet. Medien berichteten zudem, Rana habe zu viel Sand in den Beton gemischt, um Geld zu sparen. Auch dies ist üblich und macht viele Gebäude zu potenziellen Todesfallen. Obendrein setzte Rana drei weitere Stockwerke auf das Gebäude.
Aktivisten sehen die westlichen Textilketten in der Pflicht. Diese müssten ihre Macht nutzen, um die Besitzer zu zwingen, für mehr Arbeitssicherheit zu sorgen. Laut Experten würde dies den Preis für die Kleidung kaum teurer machen. Die britische Billigkette Primark kündigte am Montag an, einige Opfer zu entschädigen. Angaben zur Höhe der Zahlungen machte Primark nicht.
Christine Möllhoff
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