Produktion in Billiglohnländern: Ein Fädchen Hoffnung
Vor fünf Jahren stürzte die Textilfabrik Rana Plaza ein. Eine internationale Studie untersucht, wie sich die Arbeitsbedingungen in Bangladesch seither verändert haben.
Rana Plaza war das schwerste Unglück in der Geschichte der Textilindustrie. Als am 24. April 2013 die neunstöckige Fabrik in der Stadt Sabhar in Bangladesch einstürzte, kamen 1136 Menschen ums Leben, mehr als 2500 wurden verletzt. Die Katastrophe warf ein Schlaglicht auf den hohen Preis, den Arbeiterinnen und Arbeiter in Billiglohnländern für unsere Kleidung zahlen. Danach gab es viele Absichtserklärungen von Politikern und Unternehmern. Doch wurden sie umgesetzt? Kann ausgerechnet eine Katastrophe zur Verbesserung von Arbeits- und Produktionsbedingungen führen?
Das untersucht die Studie „Changes in the Governance of Garment Global Production Networks: Lead Firm, Supplier and Institutional Responses to the Rana Plaza Disaster“, die seit 2015 von der Betriebswirtin Elke Schüßler koordiniert wird. Um der Komplexität der Wertschöpfungsketten in der Bekleidungsindustrie gerecht zu werden, arbeitet die Freie Universität mit Partnern in fünf Ländern zusammen. Sie untersuchen alle Glieder der Wertschöpfungskette – vom westlichen Auftraggeber über die Manager der Textilfabriken bis zur Näherin in Bangladesch – mit quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden aus der Soziologie, der Politik- und Wirtschaftswissenschaften sowie der Development und Gender Studies.
Die von der Volkswagenstiftung finanzierte Studie läuft noch bis Ende 2018. Elke Schüßler und ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin Nora Lohmeyer vom Department für Management der Freien Universität können aber bereits von Ergebnissen berichten. Die beiden Wissenschaftlerinnen haben unter anderem untersucht, welche Haltung deutsche Unternehmen zu einer Veränderung der Produktionsbedingungen einnehmen. Ob sie zum Beispiel dem „Bündnis für nachhaltige Textilien“ beigetreten sind oder wie die firmeneigenen Abteilungen für unternehmerische Sozialverantwortung (CSR) handeln. „Durch Ereignisse wie Rana Plaza entsteht ein öffentlicher Druck, der den häufig marginalisierten CSR-Abteilungen in den Firmen deutlich mehr Gehör verschaffen kann“, fasst Nora Lohmeyer eines der Ergebnisse von Interviews mit 20 deutschen Bekleidungshändlern und -marken zusammen.
Es hat sich etwas verändert, aber noch lange nicht genug
Seither sei die Branche in Bewegung gekommen: Die Mehrzahl der Firmen sei aktiv geworden und zum Beispiel dem Textilbündnis beigetreten – häufig jedoch ohne sich durch ausgeprägte Eigeninitiative hervorzutun. Initiativen wie das Textilbündnis seien aber dennoch wichtig: Sie beförderten den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen konkurrierenden Firmen, ohne die eine Verbesserung von Standards nicht möglich sei.
Elke Schüßler berichtet, dass sich die Initiativen zunächst auf Verbesserungen der Arbeitssicherheit und des Brandschutzes konzentriert hätten, unter anderem im Verbund des transnationalen „Accord on Fire and Building Safety“, der bereits einen Monat nach der Katastrophe von Rana Plaza gegründet wurde. Einige westliche Firmen machten nun den nächsten Schritt und setzten sich für höhere Löhne ein. Es gebe aber immer noch deutsche Modemarken, die gar nichts änderten und hofften, dass sich die Aufregung lege, hat Lohmeyer festgestellt.
Schüßler ergänzt, dass es nicht nur deshalb wichtig sei, den öffentlichen Druck aufrecht zu erhalten und nachhaltige Veränderungen einzuleiten: „Es gibt positive Entwicklungen in Bangladesch, weil Politik und Industrie verstanden haben, dass sie Verbesserungen einleiten müssen. Lücken im Arbeitsrecht werden gefüllt. Allerdings ist die Umsetzung nach wie vor problematisch, vor allem in Hinblick auf eine starke und geschützte Vertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“
Käufer und Konsumenten müssen noch stärker einbezogen werden
Die Studie untersucht auch die politischen Rahmenbedingungen der weltweiten Textil- und Bekleidungsbranche. In Deutschland seien wichtige Initiativen entstanden, wie das bereits genannte „Bündnis für nachhaltige Textilien“, das 2014 von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller gegründet wurde, sagt Elke Schüßler. Bislang legten solche Initiativen den Schwerpunkt allerdings stark auf die Seite der Produzenten und Lieferanten. In Zukunft sollten die Käufer und Konsumenten noch stärker einbezogen werden, appelliert die Wissenschaftlerin, zum Beispiel durch mehr Transparenz bei der Herkunft der Kleidung oder mit Aufklärungskampagnen über die sogenannte Fast Fashion, ein Geschäftsmodell, das es darauf anlegt, neue Kollektionen sehr schnell als billige Massenware anzubieten. Wichtig sei es auch, bei der Ausschreibung von Aufträgen endlich die Berücksichtigung sozialer Kriterien umfassend und verbindlich festzuschreiben, ergänzt Lohmeyer. „Hier könnte die öffentliche Hand mit ihren Großaufträgen, zum Beispiel bei der Beschaffung von Berufsbekleidung, Druck in Richtung einer Verbesserung ausüben.“
Elke Schüßler ist mittlerweile Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Linz. Bis Ende 2018 werden die Forscherinnen noch 1500 Fragebögen von Arbeiterinnen und Arbeitern in Bangladesch auswerten und die Studienelemente aus Deutschland, England, Schweden, Australien und Bangladesch miteinander verknüpfen. Neue Erkenntnisse wird es aber schon vorher geben: Bei der internationalen Konferenz „5 Years After Rana Plaza: Consequences for Labor Standards Improvements in Garment Supply Chains“ vom 27. bis 28. April trifft sich am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin die „kleine, aber weltweit vernetzte und sehr aktive Community derjenigen, die zu dem Thema forschen“, sagt Elke Schüßler. Das Rana-Plaza-Unglück hat nicht nur den Blick der Branche auf die globale Textilindustrie nachhaltig verändert, sondern auch den der Wissenschaft auf die Textilindustrie.
Stefanie Hardick