Verfassungsreferendum in der Türkei: Deutscher Wahlkampf gegen Erdogan
Wenn die Anbindung der Türkei an Europa im deutschen Interesse ist, müssen sich deutsche Politiker in den Referendumswahlkampf einmischen. Und zumindest hierzulande die türkische Opposition unterstützen. Ein Kommentar.
Es ehrt die Deutschen, dass sie Skrupel haben und nicht blind zurückkeifen. Sie wägen ab, was ihrem Interesse dient. Das Herz verlangt, Recep Erdogan die Grenzen aufzuzeigen und Auftritte türkischer Politiker für das Verfassungsreferendum zu verbieten. Der Verstand rät, Ruhe zu bewahren, weil unsere Demokratie auch Rüpelauftritte aushält und Verbote ihm noch Wähler zutreiben.
Die Entwicklung widerlegt jedoch allmählich jede Hoffnung, dass deutsche Mäßigung den Konflikt begrenzen kann. Erdogan will den Streit und spitzt ihn immer weiter zu, jetzt auch mit persönlichen Nazi-Vorwürfen an die Bundeskanzlerin. Wenn man vom Ende her denkt – dem Ausgang, auf den das alles am 16. April zusteuert –, verliert die Unterscheidung zwischen emotionaler und vernunftbedachter Reaktion an Gewicht. Dann muss die deutsche Öffentlichkeit umdenken.
Die Mäßigung zielt darauf ab, dass die Gesprächskanäle offen bleiben. Das strategische Ziel, die Türkei als erstes islamisches Land fest an Europa zu binden – sei es als EU-Mitglied oder in einer strategischen Partnerschaft –, soll nicht verloren gehen. Auch Erdogan werde hoffentlich daran festhalten und nach dem Referendum wieder als Partner agieren; deshalb solle man die hässlichen Worte nicht so ernst nehmen, sie seien doch nur die hässliche Fratze des Wahlkampfs.
Hält diese Beschwichtigung der Realität stand? Erdogan verlangt unbeschränkte Macht. Die Verfassungsänderung, die nur noch das Referendum verhindern kann, beseitigt die Gewaltenteilung. Sie ordnet das Parlament dem Präsidenten unter und beendet die Unabhängigkeit der Richter. Es wäre das Ende der Anbindung der Türkei an Europa. Denn eine solche autoritäre Staatsordnung würde bedeuten, dass die Türkei die Bedingungen dafür nicht mehr erfüllt. Und wenn Annäherung nicht mehr geht, kann die Hoffnung darauf logischerweise nicht mehr die Richtschnur sein, wie Deutschland sich im türkischen Wahlkampf, den Erdogan hierher trägt, verhält.
Es geht nicht mehr um taktische Abwägungen
Das ist kein Argument, den Emotionen freien Lauf zu lassen und Erdogans Beleidigungen mit Beschimpfung zu beantworten. Es geht aber auch nicht mehr um taktische Abwägungen, ob eine harte Linie am Ende Erdogan nützt. Deutschland muss nach seinen strategischen Interessen fragen. Wenn die Anbindung der Türkei an Europa dazugehört, die Verfassungsänderung diese Annäherung aber unmöglich macht, müssen sich deutsche Politiker in den Referendumswahlkampf einmischen und die Opposition unterstützen. Jedenfalls hierzulande.
Wahlkampf in der Türkei müssen sie nicht führen; das würde Erdogan als Einmischung brandmarken. Doch wenn er und seine Getreuen hier um die Stimmen der in Deutschland lebenden Türkei werben – obwohl das türkische Wahlgesetz das eindeutig verbietet –, dürfen deutsche und deutsch-türkische Politiker offen Gegenwahlkampf führen: Die Anbindung der Türkei an die EU zählt zu den deutschen und türkischen Interessen; die Verfassungsänderung wäre ein Hindernis; stimmen Sie deshalb bitte mit Nein.
Erdogan wird bleiben, egal wie das Referendum ausgeht. Die Türkei wird Nato-Partner bleiben; sie war das auch früher schon in Zeiten der Diktatur. Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis. Die EU ein Zusammenschluss von Demokratien. Will die Türkei keine Demokratie mehr sein, schließt sie sich selbst aus.
Christoph von Marschall