Integrationsbarometer des Sachverständigenrats: Deutsche vertrauen dem Staat - Eingewanderte am meisten
In der Pandemie ist das Vertrauen zur Bundesregierung und der Politik noch gestiegen. Am höchsten liegt es bei Menschen mit Einwanderungsgeschichte.
Auch wenn die Bilder von Corona-Demos und Protesten anderes nahelegen: In der Pandemie ist das Vertrauen der Deutschen zur Politik und der Bundesregierung noch gestiegen. Und am höchsten liegt es weiterhin bei Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Das fand das Integrationsbarometer des Unabhängigen Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) heraus.
Sagten zu Beginn der Befragung, am Anfang der Pandemie mit dem ersten Lockdown im Frühjahr, noch 58 Prozent der Menschen ohne Migrationshintergrund, sie vertrauten Politik und Regierung eher oder sogar stark, so äußerten sich später 73 Prozent so - "ein gewaltiger Anstieg, wie Claudia Diehl sagte, SVR-Mitglied und Soziologieprofessorin, die die repräsentative Studie vorstellte, die der SVR alle zwei Jahre erstellt.
Selbst das ohnehin große Vertrauen der Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte wuchs noch einmal: ausgehend "vom deutlich höheren Niveau" (Diehl) von anfangs 75 Prozent wuchs es auf 83 Prozent im Zeitraum nach dem Lockdown. Diehl betonte, dass die Pandemie damit sogar eine Annäherung zwischen Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund bewirkt habe. Vollends gleich und dabei sehr gering ist die Zahl derer, die Regierung und politischen Institutionen überhaupt nicht trauen: Das sind bei alten wie neuen Deutschen jeweils zwei Prozent.
Vor der Pandemie hatten noch elf Prozent der Alteingesessenen und sieben Prozent der Menschen aus Einwanderungsfamilien gar kein Vertrauen.
Wie in einer alten Ehe
Diehl zeigte sich erfreut über ein "fast perfektes Forschungsdesign". Die Halbzeit des Forschungsprojekt sei auch die Zeit der gelockerten Maßnahnen gewesen, so dass man Veränderungen zwischen vorher und nachher habe untersuchen können. Es gebe da offenbar einen "Alteheneffekt". Auch Bürgerinnen und Bürger, die ihr Land lange genervt habe, entdeckten jetzt wieder, was sie daran hätten.
Angenähert haben sich auch die Geschlechter - in der Frage, wie sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Einwanderungsgesellschaft beurteilen: Während im letzten Barometer von 2018 Frauen ohne Migrationshintergrund die Lage des Einwanderungslands deutlich optimistischer sahen als Männer ohne diesen Hintergrund, ist der Abstand inzwischen sehr gering.
Auf einer Skala bis 100 liegt der "Integrationsklima-Index", den der SVR seit 2015 erhebt, insgesamt bei inzwischen 65,6 Punkten, etwas höher als beim letzten Mal, über alle Bevölkerungsgruppen hinweg - mit Ausnahme von Aussiedlern und Spätaussiedlerinnen. Bei ihnen hat sich die Stimmung etwas eingetrübt.
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Während der ersten Befragung 2015 lag der Durchschnitt bereits auf ähnlichem Niveau (65,4), blieb also stabil positiv. Seit der ersten Erhebung im Jahr 2015 hat sich da wenig verschoben. Nur 2018 sackte er etwas, was der SVR auf den damals noch frischen Eindruck der Flüchtlingsjahre, vor allem des Jahres 2015, zurückführt. Vor allem alteingesessene Männer seien - wohl dadurch - massiv pessimistischer gewesen. Diese Geschlechterlücke sei aber inzwischen fast vollständig geschlossen.
Einwandererkinder wollen Gleichheit
Ein weiteres Ergebnis: Auch die beiden öffentlichen Institutionen, die in den vergangenen Monaten, befeuert durch den Tod des Afroamerikaners George Floyd in einer Polizeikontrolle in Minneapolis im Mai, deutlich als rassismusverdächtig diskutiert wurden, sind weiterhin angesehen: Polizei und Schulen genießen weiter ein "mehrheitlich sehr hohes Vertrauen" (Diehl) quer durch die Bevölkerung. Einen kleinen Rückgang habe es in dieser Zeit bei denen gegeben, die der Polizei zuvor voll und ganz vertrauten. Das Vertrauen sei aber "grundsätzlich eingetrübt bei Menschen mit Migrationshintergrund".
Das gelte vor allem für so genannte sichtbare Minderheiten, People of Color, Frauen mit Kopftuch, die auch nach längerem Leben in Deutschland kaum oder gar nicht die Möglichkeit hätten, diesen Minderheitenstatus unsichtbar zu machen. Gleichzeitig würden sie auch sensibler als noch ihre Eltern und Großeltern und seien weniger bereit, sich damit abzufinden, dass sie trotz guter Ausbildung und einem ganzen Leben in Deutschland im Beruf und auf der Wohnungssuche zurückgesetzt würden.
Im übrigen sollte man die höhere Bereitschaft von Minderheiten, gegen Diskriminierung vorzugehen, als positiv sehen: "Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Ansprüche an Gleichheit einfach höher sind", sagte Diehl. Und während erste Einwanderergenerationen noch in einer Art Flitterwochen mit der neuen Heimat und ihrem Mehr an Freiheit und Offenheit lebten, sei der Referenzpunkt der Jüngeren eben nicht mehr die möglicherweise diktatorisch regierte alte Heimat der Vorfahren - sondern Deutschland.
Diehl sieht die Werte als Mahnung an die Verantwortlichen in einer zusehends diverseren Gesellschaft: "Politik und zentrale Institutionen müssen deshalb Diskriminierung und Rassismus entschieden entgegenwirken."
Das versprach für das Bundesinnenministerium Staatssekretär Markus Kerber, der im Hause Seehofer die Grundsatz- und Heimatabteilung leitet und vor 13 Jahren für den damaligen Minister Wolfgang Schäuble die Deutsche Islamkonferenz konzipierte. Das BMI fördert den SVR seit zwei Jahren und hat, wie Kerber sagte, zu fast gleichen Teilen wie die Länder auch das aktuelle Integrationsbarometer mitfinanziert.
Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt würden "oft diffus wahrgenommen und sehr oft emotional und subjektiv verhandelt". Ihre wissenschaftliche Erforschung stelle Daten bereit, die "objektiver, mess- und nachvollziehbar" seien und damit der Versachlichung dienten. "Das ist zentral für unsere Arbeit", sagte Kerber. Über die positiven Werte in Zeiten der Pandemie zeigte er sich erstaunt - das Vertrauen zu Behörden und Bundesregierung sei etwas, "was man so nicht erwarten musste".
Weiter Nein zur Studie Polizei und Rassismus
Der Erwartung, das Haus Seehofer werde womöglich doch noch eine Rassismusstudie für die Polizei beauftragen - dies wollen etliche Bundesländer inzwischen tun - erteilte Kerber eine Absage:
"Das Ministerium ist der Meinung und wird bei dieser Meinung auch bleiben, dass wir das aus methodologischen Gründen ablehnen." Schon im Titel würde eine solche Studie der Polizei besondere Rassismusneigung unterstellen. Man werde aber das Anliegen derer, die eine solche Studie wollen, durch die beiden anderen Studien, die sein Haus plant - zu Rassismus in der Bevölkerung allgemein und zum Alltag von Polizistinnen und Polizisten - sicher "mehr als abbilden".
Eine Studie, die alle Ebenen in den Blick nehme - rassistische Straftaten, Alltagsdiskriminierung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt etwa und die Wirkung unbewusster Vorannahmen - werde die Regierung "möglichst noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen".
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