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Zivilisten werden in Kiew von einem Veteranen beim Waffengebrauch unterwiesen.
© Gleb Garanich/REUTERS

Kritik an der Ukraine-Politik Deutschlands: Deutsche Sonderwege zerstören Europa

Deutsche Eliten zeigen Verständnis für vermeintlich berechtigte russische Sicherheitsanliegen. Für die Lösung der Ukraine-Krise ist das fatal. Ein Gastbeitrag.

Elmar Brok, CDU-Politiker, ist ehemaliger EU-Abgeordneter, langjähriger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Ehrenpräsident der überparteilichen Europa-Union Deutschland und Senior Advisor der Münchener Sicherheitskonferenz.

Christian Moos, Mitglied der SPD, ist Generalsekretär der überparteilichen Europa-Union Deutschland, Präsident des Begleitausschusses für die transatlantischen Beziehungen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, Mitglied der Konferenz zur Zukunft Europas

Ein ehemaliger deutscher Regierungschef beklagt angebliches Säbelrasseln der Ukraine, während diese in drei Himmelsrichtungen von einer Invasionsarmee umstellt ist. Die Bundesregierung verwehrt dem existentiell bedrohten Nachbarn dringend benötigte Defensiv- konkreter Panzerabwehrwaffen und sendet stattdessen 5.000 Stahlhelme nach Kiew. Dabei ist ein hoher eigener Blutzoll vielleicht das Einzige, was Putin noch davon abhalten wird, seine großrussischen Träume zu verwirklichen.

Aber es ist nicht allein die Bundesregierung. Auch in der Opposition gibt es wie in der Regierung Warnungen vor Waffenlieferungen oder allzu ernsten Sanktionen. Dabei läge in der glaubwürdigen Androhung der Enteignung russischer Eliten, die ihre Besitztümer nicht nur in London, sondern auch in EU-Staaten, bevorzugt am Mittelmeer haben, vielleicht eine friedenswahrende Chance. Deutschlands Verbündete fragen sich zu Recht, ob das Land noch einen klaren Kompass hat.

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Moskau weiß, dass die USA keinen Krieg wegen der Ukraine beginnen werden, und Berlin sendet beständig Signale, dass es die Androhung schwerer Konsequenzen nicht allzu ernst meint. Damit wird der Angriff auf die Ukraine für Putin zu einem berechenbaren Risiko.

Deutschland ist wieder auf einem Sonderweg in Europa. Erschreckend und nicht nur russischen Desinformationskampagnen geschuldet ist das weit verbreitete Verständnis für vermeintlich berechtigte russische Sicherheitsanliegen bei den deutschen Eliten und auch in der breiten Bevölkerung.

Lehre aus der Geschichte: Appeasement führt in die Katastrophe

Die Scham über den deutschen Vernichtungskrieg im Osten und die Verklärung der Neuen Ostpolitik mögen dabei psychologisch wichtige Faktoren sein. Für die Bewältigung der aktuellen Krise und die Sicherheit Europas ist dieser deutsche Blick auf Russland aber fatal. Die aus der Geschichte zu ziehenden Lehren lauten vielmehr, dass Appeasement geradewegs in die Katastrophe führt.

Dabei geht es nicht nur um die Zukunft der Ukraine. Beschreitet Deutschland weiter oder wieder einen Sonderweg, zerstört es Europa. Die europäische Integration war zu allen Zeiten untrennbar mit Deutschlands Westbindung verbunden. Bewegte Deutschland sich fort von dieser klaren Zugehörigkeit zum politischen Westen, ein Begriff, der hierzulande nur noch schamhaft Gebrauch findet, wäre auch die Europäische Union mit ihren bisherigen Werten und Zielen am Ende.

Putins revisionistischer Traum

Europa steht für Freiheit und Machtteilung. Der revisionistische Traum des russischen Autokraten, die Scharte von 1991, des Endes der Sowjetunion, auszuwetzen, ist ein Albtraum für alle Freiheitsliebenden. Der Kampf zwischen autoritärer Herrschaft und liberaler Demokratie erfordert klare Orientierungen und kein opportunistisches Oszillieren.

Die Regierungsparteien diskutieren jetzt ihre Russlandpolitik. Es ist Europa zu wünschen, dass sie schnell zu vernünftiger Einsicht kommen. Denn das Zeitfenster für eine den Frieden sichernde Abschreckung schließt sich schnell.

Russlands Perspektive in einem System europäischer Sicherheit

Am Ende wäre mit einer Besinnung auf eindeutige Signale an Putin auch Russland geholfen, das selbstverständlich neue Perspektiven in einem transatlantisch verankerten System europäischer Sicherheit und wirtschaftlicher Zusammenarbeit braucht. Dafür muss Russland aber zu dem Einvernehmen zurückkehren, dass es nicht wieder zu gewaltsamen Grenzveränderungen in Europa kommen darf.

Von Elmar Brok, Christian Moos

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