Der Westen und die Ukraine-Krise: Dialog und Härte
Der Westen tut sich weiter mit einer gemeinsamen Linie in der Ukraine-Krise schwer. Derweil sucht Frankreichs Präsident Macron das direkte Gespräch mit Putin.
Auch am Dienstag zeichnete sich keine Entspannung in der Ukraine-Krise ab. Im Gegenteil: Kreml-Sprecher Dmitri Peskow warf in Moskau den USA vor, „eine Eskalation der Spannungen“ herbeizuführen. Zuvor hatte das US-Verteidigungsministerium 8500 Soldaten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Die Truppen könnten im Fall einer weiteren Zuspitzung der Ukraine-Krise nach Europa verlegt werden.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
US-Präsident Joe Biden besprach per Videokonferenz mit Kanzler Olaf Scholz (SPD), dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und anderen EU-Spitzenpolitikern wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratschef Charles Michel das weitere Vorgehen in der Krise.
Neues Gesprächsformat verdeutlicht den Ernst der Lage
Zu den zugeschalteten Gesprächsteilnehmern gehörten auch Polens Präsident Andrzej Duda und der britische Premierminister Boris Johnson. Ein derartiges Gesprächsformat hat es seit dem Beginn der Ukraine-Krise noch nicht gegeben – was den Ernst der Lage verdeutlicht.
Der Gesprächsbedarf ist groß, weil die westlichen Verbündeten in der Krise sehr unterschiedlich vorgehen. Am Wochenende hatten die USA weitere Militärhilfe mit einem Umfang von 90 Tonnen in die Ukraine geschickt, darunter Munition. Auch Großbritannien und die baltischen Staaten beteiligten sich an Waffenlieferungen. Die Bundesregierung lehnt dies hingegen ab.
Kritik an Deutschland wächst
Derweil wuchs unter den EU-Partnern die Kritik am Kurs der Bundesregierung weiter. „Die aktuelle deutsche Politik gegenüber Russland genügt in keiner Weise den Anforderungen der Nato, der EU und der deutschen Partner“, sagte der lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks der „Bild“. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki schrieb auf Facebook, er beobachte „mit Sorge“ die Reaktion der Bundesregierung „angesichts der Bedrohung aus Russland“.
Während bei EU-Partnern wie Polen die Sorge herrscht, das Nachbarland Ukraine könne angesichts einer weiteren russischen Eskalation von Deutschland allein gelassen werden, zielen die diplomatischen Bemühungen von Emmanuel Macron in eine andere Richtung. Frankreichs Staatschef möchte verhindern, dass über das weitere Schicksal der Ukraine letzten Ende im Dialog zwischen Biden und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin entschieden wird.
Telefonat zwischen Macron und Putin soll am Freitag stattfinden
Zwar sind auch in der EU die Zusicherungen aus Washington angekommen, dass über Europa „nicht ohne Europa“ entschieden werden könne, wie es die stellvertretende US-Außenministerin Wendy Sherman ausdrückte. Das hält Macron aber nicht davon ab, selbst die Initiative zu ergreifen. Macron erklärte, er wolle bei einem Gespräch mit Putin einen „Weg der Deeskalation“ suchen. Das Telefonat soll am kommenden Freitag stattfinden.
Zuvor reiste Macron am Dienstag nach Berlin, wo er am erstmals bei Scholz im Kanzleramt über die Ukraine-Krise und andere Themen wie die deutsche G-7-Präsidentschaft sprach. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz sagte Scholz, man erwarte von Russland „eindeutige Schritte, die zu einer Deeskalation der Situation beitragen“.
Scholz: Ukraine muss ein Gas-Transitland bleiben
Mit Blick auf die Kritik von EU-Partnern wie Polen zum Kurs Berlins in der Ukraine-Krise antwortete der Kanzler, dass die Bundesregierung in den letzten Jahren immer wieder entschieden habe, keine letale Waffen zu liefern. Trotzdem habe die Bundesregierung sehr viel unternommen, um die Demokratie-Entwicklung und die Wirtschaft in der Ukraine zu fördern. „Das werden wir auch weiter machen“, fügte Scholz hinzu. Insbesondere fühle sich die Bundesregierung dafür verantwortlich, „dass die Ukraine weiter ein Gas-Transitland bleibt“.
Macron beklagte, dass es immer häufiger „destabilisierende Akte“ Russlands gegenüber souveränen Staaten gebe, die zuvor Teil der Sowjetunion gewesen waren. „Russland ist im Begriff, eine Macht des Ungleichgewichts zu werden, im Kaukasus, am Rande Europas und in einigen anderen Regionen“, sagte Macron. Deutschland und Frankreich seien sich einig in dem Ziel, eine Rüstungskontrolle in Europa herbeizuführen und eine Deeskalation durch einen „anspruchsvollen Dialog mit Russland herbeizuführen“, sagte der Präsident.
Scholz’ erste Auslandsreise nach seinem Amtsantritt im Dezember hatte zu Macron nach Paris geführt. In der Zwischenzeit waren sich der Kanzler und der Staatschef vor über einem Monat persönlich auch bei einem EU-Gipfel in Brüssel begegnet. Angesichts der Bedrohung der Ukraine durch Russland und mögliche Sanktionen der EU hatte Scholz seinerzeit erklärt, die umstrittene Gas-Pipeline Nord Stream 2 sei ein „privatwirtschaftliches Vorhaben“. Inzwischen ist Scholz allerdings davon abgerückt, ein Aus für Nord Stream 2 im Fall einer russischen Intervention in der Ukraine kategorisch auszuschließen.
Unter den EU-Partnern ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen Sanktionen gegen Russland überhaupt in Gang gesetzt werden könnten. Während in der Gemeinschaft Einigkeit herrscht, dass Gegenmaßnahmen unausweichlich sind, sobald die territoriale Unversehrtheit der Ukraine verletzt wird, so ist die Lage mit Blick auf andere Formen der Kriegsführung – etwa mögliche Cyber-Angriffe gegen ukrainische Einrichtungen – weniger klar. Vor allem osteuropäische EU-Mitgliedstaaten sprechen sich dafür aus, auch bereits bei einem derartigen Szenario mit Gegenmaßnahmen zu antworten.