In Syrien Helden, zu Hause unter Beobachtung: Deutsche Kurden kämpfen gegen den IS
Vor allem junge Kurden aus Deutschland ziehen in den Krieg und stehen dabei unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden. Denn während sie im Kampf gegen den IS als Partner gelten, werden sie in Deutschland als Gefahr eingestuft.
Gegen den Terror vom „Islamischen Staat“ (IS) zu kämpfen, sei ganz leicht, erzählt Haydar*. Man müsse sich nur in ein Flugzeug in Berlin-Tegel setzen und nach Erbil fliegen. Von der Hauptstadt der autonomen Kurdenregion im Nordirak seien es nur ein paar hundert Kilometer bis zur Front. Haydar ist ein junger Berliner mit kurdischem Hintergrund. Auch er spiele mit dem Gedanken, „nach unten“ zu fahren, nur seine Eltern halten ihn bisher davon ab.
Sein Kumpel Bakr* hat schon vor drei Wochen seinen Koffer gepackt und ist in den Südosten der Türkei geflogen. Haydar erzählt, dass sein Freund Bakr in einer süddeutschen Universitätsstadt eine Auszeit von seinem Studium genommen habe, um „für Kurdistan, gegen die Ungerechtigkeit und den Terrorismus zu kämpfen“.
Nach mehreren vergeblichen Versuchen entsteht ein Kontakt zu Bakr in einem Livechat im Internet. Er ist danach eigenen Angaben zufolge frisch aus der Nähe von Kobane zurück auf die türkische Seite gewechselt. Die Grenze zu überqueren, sei nicht einfach, aber nicht unmöglich, schreibt Bakr. Er kümmere sich im Grenzgebiet um logistische Fragen im Kampf gegen den IS, besorge Munitionsnachschub und Verpflegung für einzelne Kämpfer rund um die belagerte Stadt.
PKK und YPG rekrutieren Kämpfer in Deutschland
Die Situation um Kobane sei katastrophal. Die Flüchtlinge hätten auf der türkischen Seite weder ein Dach über dem Kopf noch Gewissheit, was mit ihnen demnächst passiere. „Es ist die richtige Entscheidung gewesen, hierherzukommen“, schreibt Bakr. Dann bricht die Chatverbindung zusammen.
Die Rekrutierung von kurdischen Kämpfern in Deutschland sei nicht unbedingt zentral organisiert, sagt Fevzi Aktas, Vorsitzender des kurdischen Kulturvereins Komkar in Berlin. Die jungen Kurden wüssten aber, wie sie ins Kriegsgebiet kommen könnten.
Zwar sei sein Verein nicht erster Ansprechpartner für Kampfwillige, das würden andere Organisationen übernehmen, aber auch er habe schon einige Anrufe bekommen mit der Bitte um Weiterleitung an die „praktischen Stellen“. Das seien zum Beispiel Gruppen rund um die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die sowohl in der Türkei als auch in Deutschland als Terrororganisation verboten ist. Aber auch die kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG und Gruppen, die direkten Kontakt zu den Peschmerga-Kämpfern pflegen, würden in Berlin, Hamburg oder Düsseldorf willige Kurden für die Verteidigung gegen die Attacken des IS rekrutieren.
Die Einteilung in „gute Kurden und böse Kurden“ soll aufhören
Sie sind wütend, die Kurden in Deutschland. Fast täglich protestieren sie in den großen Städten. Sie beklagen, dass Deutschland nichts oder nicht genug tue, um den IS-Terror zu stoppen und das kurdische Volk zu retten. Und der Türkei werfen sie vor, die Dschihadisten sogar aktiv zu unterstützen. „Viele wollen deswegen kämpfen gehen“, erzählt Bertin auf einer Demonstration vor dem Brandenburger Tor. „Mein Vater sagt jeden Tag, dass er am liebsten kämpfen würde“, berichtet die Schülerin weiter. Es sei schwierig, in Deutschland zu sein, während Frauen vergewaltigt, Kinder versklavt und fast täglich Männer geköpft werden. „Die meisten bleiben aber in Deutschland, weil wir uns ja auch nicht auskennen mit Krieg“, sagt Bertin.
Dem Bundesinnenministerium sind die Reisebewegungen junger Kurden aus Deutschland bekannt. „Die in Deutschland verbotene PKK rekrutiert auch hier Kämpfer für Syrien“, sagt eine Sprecherin. Die Sicherheitsbehörden nehmen die Gefahr, die von rückkehrenden kurdischen Kämpfern ausgeht, sehr ernst. Das gilt genauso für die Reiseaktivitäten von deutschen Dschihadisten, die in Syrien und im Irak für die IS-Miliz kämpfen. Ihre Zahl wird auf 450 geschätzt. Zu den ausgereisten kurdischen Kämpfern gibt es keine konkreten Zahlen, heißt es aus Sicherheitskreisen.
Für die Sicherheitsbehörden bleibt die PKK eine Bedrohung
Es sei schwer zu unterscheiden, ob Kurden lediglich zum Besuch von Verwandten in die Türkei reisen oder ob sie in den Krieg gegen den IS ziehen wollen. Das könne man auch wegen der hohen Zahl der kurdischen Reisenden schwer überprüfen. „Die Ausreisen dieser Kämpfer werden im Rahmen des rechtlich Zulässigen und tatsächlich Möglichen verhindert“, erklärt das Bundesinnenministerium. Auch der Verfassungsschutz unterstützt die Praxis, sowohl dschihadistische als auch kurdische Kämpfer aus Deutschland zu observieren.
Vor allem im Rahmen der Gesamtbeobachtung der PKK unterliegen die Rekrutierungsaktivitäten einer ständigen Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden, heißt es aus dem Innenministerium. Offen ist, ob das Innenministerium wie bei kampfbereiten Salafisten demnächst auch Ausreiseverbote für kurdische Kämpfer in Betracht zieht.
Deutschland müsse aufhören mit der Einteilung in „gute Kurden und böse Kurden“, fordert der Verband der Studierenden aus Kurdistan. Es könne nicht sein, dass einige Kurden unterstützt werden, während andere in Europa auf Terrorlisten geführt werden. Da die Bundesregierung die Kurden aber offiziell in ihrem Kampf gegen den „Islamischen Staat“ unterstützt und den Peschmerga-Truppen Waffen und Kampfmaterial liefert, steht die alte Sicherheitsstrategie gegenüber der neuen Außenpolitik im Widerspruch.
Bakr erzählt im Chat, dass er schon mit den Peschmerga im Irak Kontakt aufgenommen habe. Er könne sich durchaus vorstellen, dort weiterzukämpfen, wenn Kobane eines Tages gerettet sei: „Die haben ja auch deutsche und amerikanische Waffen.“
Mitarbeit: Frank Jansen
* Namen von der Redaktion geändert
Mohamed Amjahid