Lukaschenkos Männer fürs Grobe: Deshalb steht der Sicherheitsapparat fest hinter dem Diktator
In Belarus gehen Sicherheitskräfte brutal gegen ihre eigenen Landsleute vor. Die bedingungslose Loyalität gegenüber dem Regime hat ihre Gründe.
Bevor ein lauter Knall die Hinterhöfe der Orlowskaja-Straße in Minsk erschüttert, blitzt es kurz auf. Im Schutze des aufsteigenden Qualms drängen schwarz vermummte Sicherheitskräfte die Demonstranten zurück. Mit einer Blendgranate nach der anderen treiben die Beamten fliehende Menschen vor sich her.
Oft sind es Handyaufnahmen wie diese vom vergangenen Wochenende, die das rabiate Vorgehen der belarussischen Spezialeinheiten dokumentieren. Weil Journalisten bei ihrer Arbeit vor Ort behindert werden, sind unabhängige Medien wie „Tut.by“ und „Nexta“ dazu gezwungen, sich auf private Quellen zu verlassen. Sie zeigen, wie Demonstranten verprügelt, willkürlich schikaniert oder mit Minibussen ohne behördliche Kennzeichnung verschleppt werden. Nach einem Beschluss des Innenministeriums ist nun sogar der Einsatz scharfer Munition erlaubt.
Die Proteste gegen Lukaschenko kommen aus der Mitte der Gesellschaft, zu den Demonstranten werden wohl auch Verwandte und Bekannte vieler Sicherheitsbeamter gehören. Trotzdem glauben Experten nicht, dass sich der Apparat auf die Seite der Protestierenden schlagen wird.
Nur in einer kurzen Phase Anfang August entledigten sich einige rangniedere Beamte öffentlichkeitswirksam ihrer Uniformen. Letztlich verpuffte die Aktion, weder die von Demonstrantinnen überreichten Blumen noch das Versprechen auf Straffreiheit von Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja änderten daran etwas.
Die Bewegung konnte bislang niemanden in den höheren Rängen überzeugen, sagt der Forschungsdirektor des Osteuropa-Thinktanks EAST Center Andrei Yeliseyeu: „Die Entscheidung des Präsidenten, ein solches Ausmaß an Gewalt einzusetzen, war zugleich brutal und sehr kalkuliert.“ Indem Lukaschenko Schlüsselfiguren im Sicherheitsapparat in ernste Verstöße gegen die Menschenrechte verwickelt habe, könne er sich nun ihrer Treue sicher sein.
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„Die Leute in den wichtigen Positionen haben Angst davor, die Seite zu wechseln, weil sie Strafen befürchten“, sagt Yeliseyeu. Auch wenn sich Beamte auf der Straße vermummten, geschehe dies auf Befehl von oben. Es gehe dabei weniger darum, einzelne Polizisten vor Ächtung im privaten Umfeld zu schützen. Vielmehr wolle man durch die Anonymisierung Rückschlüsse auf die Befehlsgeber unmöglich machen.
Deshalb hat sich für die Demonstranten die Entanonymisierung der Männer in Schwarz als wirksames Mittel im Kampf auf der Straße erwiesen. Immer wieder versuchen sie, Polizisten vor Handykameras zu demaskieren. Gelingt es, suchen die Beamten das Weite. Belarussische Hacker haben persönliche Daten von mehr als 1000 Mitgliedern des Sicherheitsapparates im Netz veröffentlicht, und die Opposition will weitere Namen offenlegen.
Belarus hat eine der höchsten Polizeidichten Europas
Der Staat reagiert mit drakonischen Strafen. Eine Frau mit belarussischer und Schweizer Staatsbürgerschaft wurde festgenommen, nachdem sie einem Beamten die Maske vom Kopf gezogen hatte. Ihr drohen bis zu fünf Jahre Haft. Mehr als 16.000 Menschen sollen seit den Wahlen bereits festgenommen worden sein. Zugleich wird den Opfern von Polizeigewalt das Recht auf Strafverfolgung verwehrt. Tausende Beschwerden belarussischer Bürger gegenüber den Behörden blieben bislang ungehört.
[Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Textes hieß es, eine Frau wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt, nachdem sie einem Beamten die Maske vom Kopf gezogen hatte. Tatsächlich wurde die Frau festgenommen, aber noch nicht verurteilt. Wir haben die Textstelle korrigiert und bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.]
Die Opposition sieht sich einem gigantischen und übermächtigen Sicherheitsapparat gegenüber. Nadja Douglas vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) ist Spezialistin für staatliche Machtstrukturen im post-sowjetischen Raum. Für ihre neue Studie hat sie versucht, sich ein Bild vom Umfang der belarussischen Polizeikräfte zu machen. In ihren Recherchen verlässt sich Douglas auf Angaben einzelner Politiker und unabhängiger Medien in Belarus. Offizielle Zahlen hält die Regierung unter Verschluss.
„Belarus hat eine der höchsten Polizeidichten Europas“, sagt Douglas. Während der EU-Durchschnitt zwischen 2016 und 2018 bei 318 Polizisten auf 100.000 Einwohner liege, komme Belarus auf 405 Beamte. „Der belarussische Sicherheitsapparat wird für diese Zeit eigentlich nur von Russland übertroffen.“ Dort kämen 508 Polizisten auf 100.000 Einwohner, in Deutschland beispielsweise sind es 297.
Die Spezialeinheit Omon mischt ganz vorne mit
Innerhalb der belarussischen Machtstrukturen finden sich etliche polizeiliche und paramilitärische Organisationen, die unter dem Begriff „Silowiki“ zusammengefasst werden. Besonders berüchtigt bei den Einsätzen gegen Demonstranten sind die Beamten mit dem Schriftzug „Omon“ auf dem Rücken. Dahinter verbirgt sich eine Sondereinheit der Polizei, die dem Innenministerium untersteht, und deren Mitglieder schon während ihrer Ausbildung gezielt auf Brutalität und Rücksichtslosigkeit gedrillt werden.
„In Einheiten wie der Omon werden die Menschen einer regelrechten Gehirnwäsche unterzogen, stärker noch als es bei normalen Soldaten der Fall ist“, sagt Yeliseyeu. Die Beamten würden mit reichlich Staatspropaganda versorgt und müssten entsprechenden Kanälen des Messengerdienstes Telegram beitreten: „Diese Menschen glauben, dass sie ihre Familien und ihr Land vor einem vom Ausland finanzierten Coup beschützen.“
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Abseits der ideologischen Unterfütterung kursiert auch das Gerücht, Mitglieder der Omon könnten mit psychotropen Substanzen versorgt werden, bevor sie zu einer Demonstration hinzugezogen werden. Diese Vermutung äußerte ein ehemaliger Angehöriger der Organisation in einem Interview mit dem russischen Ableger der BBC. Womöglich würden Mittel unter dem Vorwand körperlicher Fitness verabreicht, die zugleich die Hemmschwelle der Einsatzkräfte senke, sagte der Aussteiger. Belege hierfür gibt es allerdings keine.
Wie über die Abläufe innerhalb der Omon dringt auch über die Einstellungsvoraussetzungen nur wenig nach außen. Douglas zufolge werden meist sehr junge Männer unter 25 Jahren für die Sondereinheit verpflichtet. „Oftmals stammen die Rekruten aus strukturell schwachen Regionen“, sagt sie. Ein Studium werde nicht vorausgesetzt. Dafür gälten jedoch hohe Ansprüche für die physische und psychische Tauglichkeit der Männer.
Kein Respekt mehr vor den Sicherheitskräften
Zugleich bringt das Leben als Teil des Sicherheitsapparates einige finanzielle Vorzüge mit sich. Omon-Mitglieder sind von der Wehrpflicht befreit und erhalten höhere Gehälter und Pensionen als der Durchschnittsbürger – selbst im Vergleich zu anderen staatlichen Angestellten. Je nach Position und Dauer kommen spezielle Prämien hinzu.
In der Vergangenheit genossen die Silowiki innerhalb der belarussischen Bevölkerung auch durchaus Respekt. „Zusammen mit der Kirche war vor allem die Armee früher hoch angesehen“, sagt Yeliseyeu. Inzwischen, da ist sich der Forscher sicher, haben sich die Silowiki jedoch die meisten Sympathien verspielt: „Alle Beteiligten haben darunter gelitten, dass der Staat solche Gewalt anwendet.“
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