Außenminister der Ukraine im Interview: Deschtschizja: Berlin muss auf Russland einwirken
Der Außenminister der ukrainischen Übergangsregierung, Andrij Deschtschizja, erhofft sich von der Bundesregierung und der EU mehr Druck auf Moskau. An den Wahlen am Sonntag könnten wegen der Unruhen bis zu zehn Prozent der Ukrainer nicht teilnehmen.
Herr Minister, können die Präsidentenwahlen am Sonntag angesichts der angespannten Lage in der Ostukraine überhaupt im ganzen Land stattfinden?
Wir tun unser Bestes, um alle Wahllokale offen zu halten. Aber natürlich wissen wir, dass die Wahlen an den Orten, die von Extremisten eingenommen wurden, nicht stattfinden werden. Wir schätzen, dass weniger als zehn Prozent der Wahlberechtigten betroffen sind. Aber selbst wenn diese Leute nicht abstimmen können, wird die Wahl nach ukrainischem Recht gültig sein, weil es keine Mindestwahlbeteiligung gibt.
Das heißt, die Regierung hat nach wie vor keine Kontrolle über Teile der Ostukraine?
Wir kontrollieren nicht die gesamte Region. Einige Orte sind unter der Kontrolle der Extremisten, und die ukrainischen Sicherheitskräfte wollen vor den Wahlen nicht neue Spannungen erzeugen, indem sie gegen die Terroristen kämpfen. Sie haben die Anweisung, Opfer in der Zivilbevölkerung zu vermeiden.
Und nach den Wahlen? Werden die Sicherheitskräfte dann verstärkt gegen die Separatisten vorgehen?
Das wird auch von der Reaktion dieser Gruppen auf die Wahlen abhängen. Wenn sie deren Rechtmäßigkeit anerkennen und ihre Waffen niederlegen, werden wir die Anti-Terror-Operation aussetzen.
Was müsste getan werden, um die Einheit des Landes wiederzuerlangen?
Eigentlich müssen wir dem russischen Präsidenten Putin dafür danken, dass er die Ukraine geeint hat. Die Unterstützung für die Einheit der Ukraine ist mit mehr als 70 Prozent so groß wie nie zuvor seit der Unabhängigkeit des Landes. Den Umfragen zufolge sind nur etwa 15 bis 18 Prozent der Bürger für eine Abspaltung. Um das Land weiter zu einen, müssen wir noch stärker die Botschaft verbreiten, dass die Regierung Reformen umsetzt und das Leben der Bürger besser wird.
Aber hat die neue Führung in Kiew kurz nach ihrem Amtsantritt nicht genau das falsche Signal gesendet, indem versucht wurde, das Sprachengesetz abzuschaffen, das die Nutzung des Russischen als zweite Amtssprache regelt?
Einige Politiker haben den Fehler gemacht, das Sprachengesetz zur Diskussion zu stellen. Vor dem Hintergrund der revolutionären Stimmung dieser Zeit war das aber verständlich. Die Regierung war allerdings klug genug, dieses Gesetz nicht umzusetzen. Heute ist das Sprachengesetz von 2012 in Kraft, das damals von der Partei der Regionen eingebracht wurde und der Nutzung der russischen Sprache sehr viel Raum gibt.
War es nicht auch ein Fehler, die rechte Partei Swoboda an der Regierung zu beteiligen?
Das war Teil eines Abkommens zwischen den drei damaligen Oppositionsparteien. Es wäre schwierig gewesen, Swoboda herauszuhalten und ohne sie eine Regierung zu bilden, weil die dritte Partei, Udar, nicht in die Koalition eintreten wollte. Ohne eine Koalition hätte man kaum eine Regierung bilden und das Land führen können. Das war eine taktische Notwendigkeit. Bisher haben sich die Swoboda-Mitglieder in der Regierung staatsmännisch verhalten.
Aber diese Situation gibt der russischen Propaganda die Möglichkeit zu sagen, die Regierung in Kiew sei faschistisch.
Ach, die Russen nennen die gesamte Regierung faschistisch. Aber wir werden sehen, wie viel Unterstützung Swoboda am Ende bekommt. Wir sollten das im demokratischen Prozess klären.
Wann wird ein neues Parlament gewählt?
Das weiß ich nicht. Das wird sich nach der Präsidentenwahl entscheiden. Dann wird zunächst entweder eine neue Koalition gebildet oder die bisherige Regierung im Amt bestätigt.
In der Ukraine haben bereits drei Debatten am Runden Tisch stattgefunden, allerdings ohne Beteiligung der Separatisten. Was können diese Treffen überhaupt bewirken?
Die Hauptthemen der Runden Tische sind die Verfassungsreform, die Reform lokaler Verwaltungen, das Anti-Korruptionsgesetz und die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft. Auch das Sprachenthema kann hier diskutiert werden. Wir sind bereit, zuzuhören und zu reden, allerdings nur mit denen, die ihre politische Position friedlich ausdrücken. Wer sich an Terrorismus beteiligt oder illegal Waffen besitzt, kann und wird nicht an den Gesprächen am Runden Tisch teilnehmen.
Was erwarten Sie im gegenwärtigen Konflikt von Deutschland und von der Europäischen Union?
Wir erwarten eine einheitlichere Position gegenüber Russland. Deutschland spielt bereits eine wichtige Rolle, indem es mit dem russischen Präsidenten und der russischen Elite verhandelt. Deutschland könnte seine Position nutzen, Einfluss auf Russland auszuüben, damit Moskau nicht eine Entscheidung trifft, die später nicht wieder rückgängig gemacht werden kann. Deutschland sollte auf Russland einwirken, damit es nicht einen weiteren Fehler macht wie bei der Krim.
Heißt das, die Annexion der Krim ist so ein Fehler, der nicht wieder rückgängig gemacht werden kann?
Nein, auf keinen Fall. Wir müssen alle zusammen daran arbeiten, dass die Krim wieder unter ukrainische Kontrolle zurückgegeben wird. Das kann erreicht werden, aber nur mit internationaler Unterstützung.
Was steht aus Ihrer Sicht hinter dem russischen Vorgehen im Konflikt um die Ukraine?
Die russische Führung will die Ukraine unter ihre Kontrolle bringen, und zwar die ganze Ukraine. Russland sieht es als Bedrohung, dass die Ukraine eine Quelle der Inspiration für die russische Gesellschaft sein kann, was die demokratische Entwicklung und die europäische Orientierung angeht. Putin will die frühere Sowjetunion neu errichten, ob sie nun Sowjetunion oder Eurasische Union heißen wird. Das gesamte Gebiet soll wieder unter Moskaus Kontrolle kommen. Aber ohne die Ukraine wäre es für Putin schwierig, das Projekt umzusetzen.
Was bedeutet das für die Ukraine?
Russland hat versucht, große prorussische Kundgebungen im Osten und Süden der Ukraine zu organisieren. Doch diese Methode scheiterte, weil es dafür keine Unterstützung gab. Jetzt versuchen sie es mit den Mitteln des Terrors: Russland schickt kleine Gruppen von Terroristen in die Ukraine, die Hotspots der Instabilität schaffen. Dahinter steht die Hoffnung, dass diese Hotspots auf die gesamte Ukraine übergreifen. Das ist auch nicht sehr erfolgreich. Als nächstes könnte Russland andere Methoden ausprobieren. Deswegen ist es so wichtig, dass der Westen Moskau ein Signal sendet, um das zu verhindern.
Die EU hat ja bereits Einreiseverbote und Kontensperrungen verhängt. War das eine angemessene Antwort auf die Annexion der Krim?
Ich denke, die Europäische Union war darauf nicht vorbereitet. Es dauerte eine Zeit, bis die EU verstanden hatte, was passiert war. Jetzt wird die EU hoffentlich entschiedener handeln, um eine mögliche russische Intervention in der Ukraine zu verhindern.
Was halten Sie von den bisherigen Sanktionen?
Sie waren ein Schritt in die richtige Richtung. Eine leichte Änderung der russischen Rhetorik könnte Folge der Sanktionen sein. Aber es ist wichtig, den Druck auf Russland aufrechtzuerhalten. Wenn die russische Führung sieht, dass die Position der EU schwach ist, wird sie in der Ukraine weiter ihre Pläne umsetzen.
Wo sehen Sie Ihr Land in zehn Jahren?
Ich wünschte, die Ukraine wäre dann schon Teil der Europäischen Union. Aber das hängt stark von den Fortschritten ab, die das Land macht, und auch von der Einsicht der EU, dass alle von einer Aufnahme der Ukraine profitieren.
Andrij Deschtschizja ist seit Februar Außenminister der ukrainischen Übergangsregierung. Zuvor war er Sonderbeauftragter der OSZE für Konflikte und Botschafter der Ukraine in Finnland. Das Gespräch führte Claudia von Salzen.