USA-Reise: "Desaster"-Merkel trifft Tiraden-Trump
Bundeskanzlerin Angela Merkel steht vor einer neuen Erfahrung: Am Freitag lernt sie US-Präsident Donald Trump persönlich kennen.
Wenn Donald Trump seinen Wählern beschreiben will, was dabei herauskommt, wenn Politik zu lasch, zu kompromissbereit und zu wenig patriotisch ist, dann fällt häufig der Name Angela Merkel. Ein „Desaster“ sei die Entscheidung der Bundeskanzlerin zur Aufnahme hunderttausender syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge gewesen, hat Trump vor und nach seinem Wahlsieg mehr als einmal gesagt. An diesem Freitag empfängt der Mauer-Bauer Trump die Grenzöffnerin Merkel zum ersten Mal im Weißen Haus - nachdem der erste Versuch am Dienstag wegen eines Schneesturms verschoben werden musste.
Die Begegnung verspricht, interessant zu werden, denn vorführen lassen will sich die Kanzlerin von Trump nicht: Gesundes Selbstbewusstsein heißt das Rezept der Deutschen im Umgang mit dem Populisten im Präsidentenamt.
Merkel habe in der Flüchtlingspolitik einen „katastrophalen Fehler“ begangen, sagte Trump nach seinem Wahlsieg der „Bild“-Zeitung. Per Twitter ließ er die Welt wissen, Merkel „ruiniere“ die Bundesrepublik. Auch sonst kommen die Deutschen beim Präsidenten und seinen Leuten nicht besonders gut weg. Die EU und der Euro seien lediglich Vehikel Berlins, sagten Trump und sein Wirtschaftsberater Peter Navarro.
Gleichzeitig gelten die Deutschen als Nato-interne Wehrdienstverweigerer, weil sie trotz ihres Wohlstands vom vereinbarten Ziel von Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts weit entfernt sind.
Wenig Freude hatte Trump auch daran, dass er von Merkel beim ersten Telefonat der beiden Politiker nach Trumps Amtseinführung im Januar über die Verpflichtungen aller Staaten nach der Genfer Flüchtlingskonvention belehrt wurde.
Die Deutschen sorgen sich unterdessen um die gerade bekannt gewordenen CIA-Schnüffeleien von Frankfurt aus und um die protektionistischen Tendenzen der neuen US-Regierung, die für die Exportnation Deutschland nachteilig sein könnte: Mehrmals hat Trump mit Strafzöllen für Autokonzerne gedroht.
Mit Sorge sieht Berlin auch Trumps Ansatz , die Außenbeziehungen zu „bilateralisieren“, wie es ein Diplomat ausdrückt: Statt sich mit der EU als Ganzem auseinanderzusetzen, will Trump mit den europäischen Einzelstaaten ins Geschäft kommen. So will Trump Meinungsverschiedenheiten, etwa beim deutschen Exportüberschuss, bilateral klären. Das ist eine neue Lage für Merkel, die bei den beiden anderen US-Präsidenten ihrer bisherigen Amtszeit – George W. Bush und Barack Obama – von einem gewissen Grundkonsens in diesen Dingen ausgehen konnte.
Merkel will Trump die EU erklären - und Putin
In Washington will die Kanzlerin dem EU-Skeptiker Trump deshalb erläutern, wie die Dinge im europäischen Staatenverbund laufen. Sie werde im Weißen Haus darlegen, dass der Nationalstaat und die Mitgliedschaft in der EU für Deutschland „zwei Seiten ein und derselben Medaille“ seien, sagte Merkel am Freitag in Brüssel. Dazu gehöre der Hinweis, dass es Kompetenzen wie den Handel gebe, für den die EU-Kommission und nicht die Mitgliedsstaaten zuständig seien.
Zudem solle in dem Gespräch versucht werden, gemeinsame Interessen beider Länder zu besprechen und „möglichst zu identifizieren“, sagte Merkel. Das klingt nicht gerade nach vielen Gemeinsamkeiten. Dabei kann Merkel sicher sein, dass sie im Weißen Haus ein Land vertritt, das der Präsident und seine Berater wegen seiner Wirtschaftskraft respektieren. Zudem geht die deutsche Seite davon aus, dass Trump mit Warnungen und Kritik eine Drohkulisse aufbaut, mit der er nach dem Prinzip des unternehmerischen „Dealmaking“ sein Gegenüber einschüchtern will, um Zugeständnisse zu erreichen.
Merkel ist also gewarnt und hat zur Vorbereitung ihres ersten Gesprächs mit Trump mit Politikern gesprochen, die bereits persönliche Erfahrungen mit ihm gemacht haben – etwa mit dem kanadischen Premier Justin Trudeau.
Auf dieser Grundlage will die Kanzlerin auch über das heikle Thema Russland sprechen. Die deutsche Regierungschefin hat viel Erfahrung im Umgang mit Wladimir Putin und wird versuchen herauszufinden, welche Linie Trump gegenüber Moskau fahren will; mit seinem Kuschelkurs gegenüber Putin hatte er vor allem in Europa für Befremden gesorgt.
Eine der größten Herausforderungen für Merkel beim Besuch in Washington steht ihr möglicherweise gleich beim Empfang bevor: In seiner kurzen Amtszeit hat sich Trump bereits einen Namen als besonders aggressiver Händeschüttler gemacht, der sein Gegenüber bei der Begrüßung hin und wieder mit einem kräftigen Ruck an sich zieht – wie sehr das einen Gast überraschen kann, war beim Besuch des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe im Februar zu sehen, der von Trumps zupackender Art sichtlich überrumpelt wurde. Wie die in diesen Dingen sehr zurückhaltende Kanzlerin damit umgehen wird, bleibt abzuwarten.
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