Orban, Erdogan und Putin: Der Weg in die Autokratie
Die modernen Autokraten verkünden das Ende der liberalen Demokratie und erklären sich und ihre Staaten zum Gegenmodell. Eine Analyse.
Es hatte so hoffnungsvoll begonnen: Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs schien die liberale Demokratie zum Erfolgsmodell zu werden, das sich von Warschau bis Wladiwostok durchsetzen würde. Wie euphorisch die Stimmung selbst unter Wissenschaftlern war, zeigt sich schon daran, dass der Politologe Francis Fukuyama Anfang der 90er Jahre das „Ende der Geschichte“ verkündete. Doch der Glaube, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit würden zum Selbstläufer werden, erwies sich als trügerisch. In der Türkei und in Russland, aber auch in EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn lässt sich seit Jahren eine Gegenbewegung beobachten – mit zunehmend autokratisch regierenden Herrschern an der Spitze.
Die neuen Autokraten erklären nun sogar ihren Weg selbst zum Modell. Der ungarische Regierungschef Viktor Orban verkündete: „Das Zeitalter der liberalen Demokratie ist vorbei.“ Er war es auch, der den Begriff der „illiberalen Demokratie“ prägte.
Ein unausgesprochenes Versprechen
Orban konnte vor allem deshalb erfolgreich sein, weil er denjenigen eine politische Heimat gab, für die Ungarns alte Größe der wichtigste emotionale Bezugsrahmen ist. Kaum hatte seine Partei Fidesz 2010 die Wahlen gewonnen und Orban die Amtsgeschäfte übernommen, machte sich die Regierung an die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Dem Text wurde ein „nationales Bekenntnis“ vorangestellt, das mit den Worten der Nationalhymne beginnt: „Gott segne die Ungarn“.
Auch Wladimir Putin schien seinen Landsleuten ein unausgesprochenes Versprechen zu geben: Als er zum Jahreswechsel 1999 russischer Präsident wurde, hatten viele die Hoffnung, nach der als chaotisch wahrgenommenen Ära von Staatschef Boris Jelzin würde endlich Ruhe einkehren. Der neue Mann im Kreml sollte vor allem Stabilität garantieren. Dieses Gegenmodell zum Vorgänger pflegte der ehemalige KGB-Offizier bis in die Bildsprache hinein: Während Jelzin gelegentlich alkoholisiert zu öffentlichen Terminen erschienen war, gab Putin sich asketisch und ließ sich beim Abenteuersport und mit nacktem Oberkörper fotografieren.
Auch im europäischen Ausland hoffte man in den ersten Jahren darauf, Putin würde das Land weiter auf dem unter Gorbatschow begonnenen Reformweg führen. Doch das Gegenteil geschah.
Aushöhlung demokratischer Institutionen
In Staaten, die sich auf dem Weg in die Autokratie befinden, werden demokratische Institutionen systematisch ausgehöhlt. Am Ende dieses Prozesses ist von diesen Institutionen schlimmstenfalls nicht mehr übrig als der äußere Anschein – wie in einem Potemkinschen Dorf.
Orban schränkte die Macht des Verfassungsgerichts ein und schickte unabhängige Richter vorzeitig in Pension. Auch die Pressefreiheit geriet in Ungarn unter Druck: Wichtige Fernsehsender sind nicht mehr unabhängig, kritische Zeitungen wurden geschlossen oder von Fidesz-nahen Personen aufgekauft.
Damit folgte der ungarische Regierungschef dem Beispiel Putins. Der russische Präsident errichtete schon früh eine „Vertikale der Macht“, in der eine unabhängige Kontrolle der Exekutive durch die Justiz gar nicht erst vorgesehen ist und Entscheidungen von oben nach unten durchgereicht werden. 19 Jahre nach Putins Einzug in dem Kreml sitzen in der Duma keine echten Oppositionsparteien mehr, große Teile der Medienlandschaft sind unter Kontrolle des Staates, die Versammlungsfreiheit wurde faktisch abgeschafft. Nun wird wohl eine der letzten Nischen der Freiheit verschwinden: Russland soll ein „souveränes Internet“ bekommen und vom weltweiten Netz abgeschnitten werden.
Suche nach einem äußeren Feind
Die meisten Autokraten haben gemeinsam, dass sie einen äußeren Feind brauchen. Sie sind geradezu besessen davon, dass ausländische Mächte ihren Sturz planen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verfolgt deshalb unerbittlich die Gülen-Bewegung, die er für den Putschversuch verantwortlich macht.
Putin wiederum hat in der Ukraine, in Georgien und auch als junger sowjetischer Geheimdienstler in der DDR gesehen, wohin Massendemonstrationen führen können. Kaum etwas fürchtet er so sehr wie eine „farbige Revolution“, die aus seiner Sicht vom Westen gesteuert sein würde. Diese Furcht ist einer der Hauptgründe für die massiven Repressionen nach innen.
Auch Orban hat sich einen Feind auserkoren – den aus Ungarn stammenden und in den USA lebenden Milliardär George Soros, der Nichtregierungsorganisationen in vielen Ländern unterstützt. In ihrer Kampagne gegen Soros kann die ungarische Regierung gleich zwei Feindbilder verbinden, denn sie macht ihn dafür verantwortlich, illegale Migration zu fördern.