Streit im Europawahlkampf: Weber legt Orban Rückzug aus der EVP nahe
Zwischen dem EVP-Spitzenkandidaten Weber und Ungarns Regierungschef Orban stehen die Zeichen auf Sturm. Weber legt keinen Wert mehr auf die Hilfe des Ungarn.
Viktor Orban hat es wieder getan. Erneut hat der ungarische Regierungschef seiner eigene europäischen Parteienfamilie, der Europäischen Volkspartei (EVP), einen Schuss vor den Bug verpasst. In der vergangenen Woche hatte Orban bei einem Treffen mit dem italienischen Innenminister Matteo Salvini angeregt, dass die EVP mit der Rechts-Außen-Allianz des italienischen Lega-Chefs im Europaparlament zusammenarbeiten solle. Doch bei dieser Provokation beließ es Orban nicht. Am Montag ging der ungarische Regierungschef noch einen Schritt weiter: Er entzog dem CSU-Vize Manfred Weber, der als Spitzenkandidat der EVP nach der Europawahl Kommissionspräsident werden will, kurzerhand die Unterstützung. Orban begründete dies mit der Aussage Webers, er wolle nicht mit ungarischen Wählerstimmen den Chefposten in Brüssel erlangen.
Zunächst bedeutet Orbans Absage für Weber, dass er im Kreis der Staats- und Regierungschefs nicht mehr auf den ungarischen Ministerpräsidenten bauen kann. Die Staats- und Regierungschefs der 27 verbleibenden EU-Staaten wollen an diesem Donnerstag ohne Großbritannien im rumänischen Sibiu unter anderem darüber beraten, nach welchem Verfahren der Nachfolger oder die Nachfolgerin des derzeit amtierenden Kommissionschefs Jean-Claude Juncker berufen werden soll. Wer auch immer an die Spitze der EU-Kommission gelangen will, braucht nämlich eine Mehrheit der Staats- und Regierungschefs. Seit Montag ist nun klar, dass Orban für Weber nicht die Hand heben will. Auch im Europaparlament, das die Personalie ebenfalls absegnen muss, wird der EVP-Spitzenkandidat ohne die Stimmen der Abgeordneten von der ungarischen Regierungspartei Fidesz auskommen müssen.
Der 46-jährige Weber, der als erster Deutscher seit einem halben Jahrhundert Kommissionschef werden will, steht damit einerseits düpiert da. Noch im März hatte Weber gehofft, Orban disziplinieren zu können. Damals wurde die Mitgliedschaft der Fidesz in der EVP nach einer von Orban angezettelten Anti-EU-Kampagne in Ungarn suspendiert. Genutzt hat es Weber trotzdem nichts: Nicht nur muss er Ungarn von der Liste der Staaten streichen, die ihn bei seiner Kampagne für die Juncker-Nachfolge unterstützen. Zudem muss er damit leben, dass Orban innerhalb der EVP weiter wie ein Störenfried wirkt.
Orbans Absage hat für Weber auch sein Gutes
Andererseits hat die endgültige Absage Orbans für Weber auch sein Gutes. Denn seit Montag muss er sich von Sozialdemokraten, Grünen und Linken nicht mehr vorhalten lassen, bei seiner Karriereplanung auf die Stimmen der Fidesz zu schielen. Im Gegenteil: Weber legte am Dienstag Orban den Abschied aus der EVP-Parteienfamilie nahe. Die EVP habe die Mitgliedschaft der Fidesz ausgesetzt, weil sich Ungarn unter ihrer Führung in die falsche Richtung bewege, sagte der CSU-Vize der Nachrichtenagentur AFP. Die EVP sei eine Partei gemeinsamer Werte und Ideen. Wer nicht mehr an diese Werte glaube, müsse die EVP verlassen, fügte er hinzu.
Orban legt sich zur Zukunft der Fidesz nicht fest
Trotz dieser ziemlich eindeutigen Aufforderung ist unklar, wohin für Orban die politische Reise in der EU demnächst geht. Zwar zeigte sich der Autokrat aus Budapest zum Missfallen der EVP bei öffentlichen Auftreten jüngst mit Rechtspopulisten wie Salvini oder dem österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der rechtsnationalen FPÖ. In Brüssel wird darüber spekuliert, dass Salvini die bestehende Fraktion der Rechtsextremen, der auch der französische „Rassemblement National“ angehört, nach der Europawahl um neue Parteien vergrößern will. AfD-Chef Jörg Meuthen hat bereits signalisiert, sich einem solchen neuen Bündnis anschließen zu wollen. Orban drückt sich indes um eine Antwort, ob er mit seiner Fidesz-Partei nach der Europawahl ebenfalls dazustoßen will, bislang herum.
Kramp-Karrenbauer für EVP-Ausschluss der Fidesz
Allerdings gibt es bei der CDU/CSU etliche Vertreter, die lieber heute als morgen einen Abschied Orbans von der EVP sehen würden. So sagte die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, Orban habe „mit seinem Verhalten in den vergangenen Tagen und dem Treffen mit dem italienischen Lega-Chef ein klares Zeichen gesetzt, dass er die EVP verlassen wird“. Und auch Unions-Parlamentsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) sagte: „Reisende kann man nicht aufhalten.“
Vor einiger Zeit noch hatte Weber sein Festhalten an Orban – Suspendierung hin oder her – mit der historischen Erfahrung begründet, dass der Weggang der britischen Tories aus der EVP seinerzeit der Ausgangspunkt für den Brexit gewesen sei. Diese Überlegung scheint für Weber nun angesichts der jüngsten Eskalation mitten im Europawahlkampf nicht mehr zu gelten. Anders sieht das CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Nach der Ansicht von Dobrindt hat sich die Situation um Orban unnötig aufgeschaukelt. „Mir wäre es lieber, man würde zusammenfinden, als Argumente zu suchen, warum man weiter auseinanderdriften kann“, sagte Dobrindt.