Spahn und Wieler zur lahmenden Impfquote: Der verzweifelte Kampf gegen die „fulminante“ Delta-Welle
Die Pandemie ist nicht besiegt, die Impfziele bleiben außer Reichweite. Gesundheitsminister Spahn und RKI-Chef Wieler bemühen sich um eine Trendumkehr.
Schafft es Deutschland, gegen die Delta-Variante anzuimpfen? Momentan liegt das Coronavirus bei diesem Wettrennen vorn. Die Impfkampagne hat ihr frühsommerliches Tempo längst verloren – und deshalb ist es nach Auffassung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) höchste Zeit für eine spätsommerliche Offensive. Am kommenden Montag startet eine Aktionswoche, um die deutsche Impfquote hochzuschrauben und die Pandemie nachhaltig einzudämmen.
Doch Spahn ist offenkundig bewusst, dass es hierzu noch Überzeugungsarbeit bedarf. Erstmals seit fast zwei Monaten gab der Minister an diesem Mittwoch mit dem Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, nun wieder eine gemeinsame Pressekonferenz. Dabei warben beide abermals für eine Immunisierung – mit eindringlichen Worten.
„Jede Impfentscheidung entscheidet auch darüber, wie sicher wir durch den Herbst und Winter kommen“, sagt Spahn bei dem Termin in Berlin. Demnach könnten sich alle zurück in die Freiheit und Normalität impfen. Seinen mantraartig wiederholten Terminus der „Pandemie der Ungeimpften“ baut Spahn auch diesmal in seinen Appell ein. Zudem erklärt er mahnend, dass die Intensivstationen meist mit ungeimpften Covid-19-Patienten belegt seien.
Noch deutlicher formuliert RKI-Chef Wieler die aktuelle Pandemielage: „Wenn es uns nicht gelingt, die Impfungen drastisch zu steigern, dann kann die aktuelle vierte Welle einen fulminanten Verlauf nehmen.“ Wer sich nicht impfen lasse, werde sich laut Wieler auf absehbare Zeit mit Sars-Cov2 infizieren, mitunter mit schweren Verläufen.
Demnach gibt es eine beachtliche Aufwärtstendenz bei der Belegung der Intensivbetten: In den vergangenen zwei Wochen habe sich die Patientenzahl fast auf 1372 verdoppelt. Laut RKI liegt die Hospitalisierungsrate aktuell bei 1,79. Der höchste Wert lag zur Weihnachtszeit bei mehr als 15.
Der Großteil der Intensivpatienten sei nicht geimpft, sagt Wieler. Manche trauten der schnellen Entwicklung der Impfstoffe nicht, andere unterschätzten das Virus, erklärt Wieler. Hier gebe es noch Aufklärungsbedarf. Zugleich werde der Altersdurchschnitt immer jünger, besonders viele Patienten seien zwischen 35 und 59 Jahre alt.
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Darüber hinaus greift Wieler das Bild der vierten Welle noch einmal auf. „Wir sehen seit mehreren Wochen einen Anstieg“, sagt er mit Blick auf die Fallzahlen. Im Wochenmittel kommen momentan täglich mehr als 10.000 neu registrierte Ansteckungen mit dem Coronavirus hinzu.
Es klingt deshalb nahezu verzweifelt, als Wieler an alle noch zögernden Impfberechtigten appelliert: „Lassen Sie sich jetzt impfen.“ Die Impfungen seien das „mächtigste Werkzeug“ gegen die Pandemie und zugleich „unsere Chance, die Pandemie zu beenden“, so Wieler.
Zielmarken außer Reichweite
Bis dahin ist es bei dem aktuellen Impftempo jedoch noch ein weiter Weg. Auch knapp ein Dreivierteljahr nach Beginn der Impfkampagne sind die deutschen Zielmarken außer Reichweite. Noch vor dem Termin mit Wieler twitterte Spahn die jüngsten Zahlen. Demnach sind nun mehr als 51,2 Millionen Menschen in Deutschland komplett gegen das Coronavirus geimpft, das entspricht einer Quote von 61,6 Prozent. Die Quote nach Erstimpfungen liegt bei 66 Prozent, also fast 54,9 Millionen geimpften Personen.
Allerdings hatte das RKI bereits Anfang Juli Komplettimpfquoten von 85 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen und 90 Prozent bei über 60-Jährigen als Ziele definiert, um auch mit aggressiveren Corona-Varianten wie der Delta-Mutante zurechtzukommen.
Am Sonntag hatte Spahn vor dem G20-Treffen der Gesundheitsminister in Rom eine konkrete Zielmenge verkündet. Um sicher durch die nächsten Monate zu kommen, bedürfe es noch gut fünf Millionen Impfungen in Deutschland. Die aktuelle tägliche Impfleistung liegt allerdings im unteren sechsstelligen Bereich.
Noch im Juli mahnte Spahn, dass aus einem zu sorglosen Sommer kein „Sorgenherbst“ werden dürfe. Um das zu verwirklichen, setzt der Gesundheitsminister nun auf eine „gemeinsame Impfwoche“ unter anderem mit Immunisierungsangeboten in Einkaufszentren und in Zusammenarbeit mit dem Einzelhandel. Zwar sei Impfen „eine freie, persönliche Entscheidung“, betont Spahn. Es sei aber auch eine Entscheidung, „die andere betrifft“.
Zugleich appelliert Spahn an die Gesellschaft, sich der erreichten Erfolge in der Pandemiebekämpfung bewusst zu werden. Die vergangenen 18 Monate seien hart gewesen. „Aber wir sind durch diese schwerste Krise in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gut durchgekommen“, sagt Spahn. So sei es auch gelungen, die Todeszahlen niedriger zu halten als in anderen Ländern, wie etwa im Vereinigten Königreich.
Mit Blick auf die erstarkende Infektionsdynamik betont Spahn, dass die derzeitigen Maßnahmen in Verbindung mit dem 3G-Konzept ausreichten. Demnach sei er weiterhin optimistisch, dass „das gelingen kann“. Die Hamburger Strategie, eine 2G-Regel in der Gastronomie zuzulassen, bezeichnet er indes als „ganz klugen Weg“. Grundsätzlich stehe er aber zu 3G.