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Hinter dem verhängten Fenster in diesem Leipziger Haus ist der Terrorverdächtige Jaber Albakr in der Nacht zu Montag festgenommen worden.
© dpa
Update

Nach der Festnahme von Jaber Albakr: Der vereitelte Anschlag auf einen Berliner Flughafen

Der in Leipzig festgenommene Syrer Jaber Albakr wird von Sicherheitsexperten als Profi beschrieben, der an einer Sprengstoffweste gebastelt haben soll. Welche Bedrohung ging von ihm aus?

Die Bundesrepublik ist wieder einmal mit viel Glück einem islamistischen Anschlag entgangen. Ohne die Hilfe zweier Syrer hätte die Polizei wahrscheinlich Jaber Albakr nicht in der Nacht zu Montag in Leipzig festnehmen können. Andererseits waren Polizei und Nachrichtendienste offenbar dank eingespielter Zusammenarbeit dem Terrorverdächtigen überhaupt erst auf die Spur gekommen.

Wie kam es zur Festnahme von Jaber Albakr?

Der Syrer war am Sonnabend der Polizei in Chemnitz entwischt. Am Sonntag bat er in Leipzig am Hauptbahnhof einen Landsmann, bei ihm übernachten zu können. Dieser nahm Albakr mit zu seiner Wohnung im Stadtteil Paunsdorf. Vermutlich dort bekam der hilfsbereite Landsmann über einen Fahndungsaufruf der Polizei auf Arabisch mit, dass Albakr wegen Terrorverdachts gesucht wird. Albakr wurde in der Wohnung überwältigt und gefesselt. Daran beteiligte sich auch ein weiterer Syrer. Gegen Mitternacht alarmierte einer der Syrer die Polizei. Ein Team der Polizei kam zur Wohnung und fand Albakr gefesselt vor. Offenbar mussten die zwei Syrer den Terrorverdächtigen, der sich aus den Fesseln befreien wollte, gewaltsam festhalten, bis die Polizei eintraf.

Was weiß man über die beiden Syrer, die der Polizei geholfen haben?

Die Männer wurden am Montag von der Polizei als Zeugen vernommen. Mehr wollte der Präsident des sächsischen Landeskriminalamts, Jörg Michaelis, auf einer Pressekonferenz nicht sagen. Er appellierte ausdrücklich an die Medien, die beiden Hinweisgeber „nicht in Gefahr zu bringen“. Offensichtlich befürchten die Sicherheitsbehörden, die islamistische Terrorszene könnte sich an den Männern rächen.

Wer ist der Terrorverdächtige Albakr?

Der 22 Jahre alte Syrer kam im Februar 2015 als Flüchtling nach Deutschland. Von München aus wurde er nach Chemnitz gebracht. Seinem Asylantrag, noch im Februar gestellt, gab das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration im Juli statt. Im selben Monat kam er in eine Unterkunft in Eilenburg bei Leipzig. „Es sind keine Auffälligkeiten bekannt“, sagte Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) am Montag bei der Pressekonferenz mit LKA-Chef Michaelis.

Wie groß war die Terrorgefahr?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte Erkenntnisse, dass Albakr mit Sprengstoff hantiert. Erste Hinweise, dass der Flüchtling gefährlich sei, gingen beim BfV offenbar schon im September ein. Anfang Oktober bekam der Nachrichtendienst mit, dass Albakr im Internet nach Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen recherchiert.

Nach der Flucht Albakrs aus Chemnitz fand die Polizei in seiner Wohnung 1,5 Kilogramm Sprengstoff, darunter das hochgefährliche TATP, und zwei Zünder. Außerdem wurden laut Bundesanwaltschaft „Materialien, die unter anderem zur Herstellung einer Sprengstoffweste geeignet sind, sichergestellt“. Die Behörde beschreibt Albakr als „überaus professionell agierend“. Schon am Wochenende hatten Sicherheitskreise von einem Profi gesprochen. Es wird vermutet, die Terrormiliz IS habe Albakr trainiert.

Als Angriffsziel des Syrers nennen Sicherheitsexperten die Berliner Flughäfen. Chemnitz habe Albakr nur als „Vorbereitungsraum“ für den Bau eines Sprengsatzes gedient. „Wir hatten Hinweise - nachrichtendienstliche Hinweise -, dass er zunächst einmal Züge in Deutschland angreifen wollte. Zuletzt konkretisierte sich dies mit Blick auf Flughäfen in Berlin“, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen am Montag der ARD.

Was ist TATP?

Der Sprengstoff mit der Bezeichnung „Triacetontriperoxid“ oder Acetonperodxid ist laut LKA-Chef Michaelis „äußerst sensibel und instabil“. Bei den Anschlägen in Paris im November 2015 hatten die IS-Terroristen ihre Sprengstoffwesten mit TATP gefüllt. Auch die Attentäter, die im März den Flughafen in Brüssel attackierten, verfügten über Acetonperoxid.

Warum konnte Albakr zunächst entkommen?

Die Polizei, darunter ein Sondereinsatzkommando (SEK), observierte am Sonnabend die Wohnung im Chemnitzer Fritz-Heckert-Viertel, in der Jaber Albakr vermutet wurde. Es sei ein „Zugriff“ vorbereitet, dann aber abgebrochen worden, sagte LKA-Präsident Michaelis. Offenbar war vor allem ein Grund ausschlaggebend: Die Beamten fürchteten, Albakr werde den Sprengstoff zünden, sollte er den Einsatz bemerken. „Die Umsetzung des Sprengsatzes“ sei ein unkalkulierbares Risiko gewesen, sagte Michaelis und deutete damit an, dass die Nachbarn akut in Gefahr geraten wären. Eine Evakuierung des Hauses kam aber auch nicht in Frage, weil dann ebenfalls das Risiko groß gewesen wäre, Albakr hätte sich in die Luft gesprengt und das halbe Gebäude gleich mit.

Doch plötzlich tauchte Albakr vor dem Haus auf. Die auf der Lauer liegenden Polizisten wollten nun zugreifen. Ein SEK-Beamter rief dem Syrer zu, er solle stehen bleiben. Er tat es nicht. Das SEK gab einen Warnschuss ab, doch Albakr verschwand. Den Syrer zu verfolgen, war angeblich kaum zu machen. Michaelis verwies auf die mehr als 30 Kilo schwere Schutzausrüstung der Beamten. Da sich die Polizei allerdings nun selbst enttarnt hatte und die „Tatortbereichsfahndung“ nach dem Syrer erfolglos blieb, wurde dann doch die Wohnung durchsucht.

Welche Terrorgefahr geht von Flüchtlingen aus?

Angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen, die seit 2015 in die Bundesrepublik gekommen sind, ist das Terrorrisiko zumindest verhältnismäßig gering. Das Bundeskriminalamt hat bis zur vergangenen Woche insgesamt 445 Hinweise auf Flüchtlinge registriert, die angeblich Terroristen sind oder auch schon als Kämpfer in Syrien und Irak Kriegsverbrechen begangen haben sollen. Meistens bestätigen sich solche Geschichten, die oft von Flüchtlingen selbst berichtet werden. nicht. Die Zahl der einschlägigen Ermittlungsverfahren ist denn auch deutlich kleiner. Sieben sind beim BKA anhängig, weitere 73 bei den Polizeien der Länder.

Der Fall Albakr zeigt allerdings auch, dass Einzelfälle durchaus gefährlich sein können. Das hat die Bundesrepublik in diesem Jahr so deutlich erfahren wie nie zuvor. Im Juli verletzte in Würzburg der aus Afghanistan oder Pakistan stammende Flüchtling Riaz Khan Amadzai mit einer Axt fünf Menschen. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei, zufällig in der Nähe, erschoss den Attentäter, der in Verbindung zum IS gestanden hatte. Nur sechs Tage später sprengte sich in Ansbach der aus Syrien stammende Flüchtling Mohammed Daleel in Ansbach in die Luft. 15 Menschen wurden verletzt. Daleel ist der erste Selbstmordattentäter auf deutschem Boden.

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