Berliner Verfassungsschutzchef Bernd Palenda: "Die Hauptstadt steht besonders im IS-Fokus"
Der Berliner Verfassungsschutz-Chef Bernd Palenda erklärt im Interview mit dem Tagesspiegel die Gefahr, die von dem festgenommenen Jaber Albakr ausging.
Herr Palenda, der in Leipzig festgenommene Jaber Albakr wollte offenbar einen Berliner Flughafen angreifen. Wie groß war die Gefahr?
Der Fall zeigt zwei Dinge: Die Lageeinschätzung, die wir seit vielen Jahren in Deutschland, und damit auch in Berlin haben, ist keine bloße Redewendung: Wir sind im Zielspektrum des islamistischen Terrorismus. Der Fall zeigt aber auch, dass die Sicherheitsbehörden sehr gut und schnell reagiert haben. Die genauen Hintergründe, Ziele und Verbindungen des jetzt festgenommenen jungen Mannes müssen erst noch geklärt werden. Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen übernommen. Daran sieht man, dass der Fall von besonderer Bedeutung ist und man zumindest nicht ausschließen kann, dass es Hinweise auf einen IS-Hintergrund gibt.
Anhänger der Terrormiliz IS haben im Frühjahr, kurz nach den Anschlägen in Brüssel, in einem Drohvideo auch Berlin gezeigt. Ist die deutsche Hauptstadt ein spezielles Angriffsziel für den IS?
Berlin steht aufgrund seiner Symbolwirkung als Hauptstadt ganz besonders im Fokus – das ist klar. Wir müssen wachsam und aufmerksam bleiben, das gilt nach wie vor. Anfang des Jahres hatten wir ja schon einmal Hinweise auf mögliche Anschlagspläne in Berlin, die wir sehr ernst genommen haben. Oder erinnern Sie sich an die Drohungen gegen das Reichstagsgebäude vor einigen Jahren. Die Anzahl der relevanten Gefährdungshinweise mit Deutschland-Bezug hat sich mit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien deutlich erhöht.
Die Anschläge der vergangenen Wochen in Ansbach und Würzburg haben gezeigt, dass grundsätzlich überall in Deutschland Anschläge durchgeführt werden können. Wichtig ist, dass wir uns von solchen Drohszenarien nicht einschüchtern lassen dürfen. Denn dann haben Terroristen ihr erstes Ziel, den Angriff auf eine offene freie Gesellschaft schon erreicht.
Der Berliner Salafist und Ex-Rapper Denis Cuspert agitiert von Syrien aus für den IS. Welchen Einfluss hat Cuspert auf die Berliner Szene?
Denis Cuspert ist ja bereits mehrfach für tot erklärt worden. Inzwischen hat er wohl für die Medien einen höheren Stellenwert als für die islamistische Szene. Auf Berlin hat er zumindest als Person keinen unmittelbaren Einfluss mehr. Grundsätzlich ist aber die Gräuel-Propaganda im Internet brandgefährlich. Hier müssen wir auf jeden Fall – besonders bei Jugendlichen – weiter aufklären und informieren.
Wie groß ist das Milieu der Salafisten in Berlin?
Wir sind inzwischen bei etwa 740 Salafisten, davon sind 380 gewaltorientiert. Auch wenn die Zahlen nicht mehr so stark steigen wie noch vor fünf Jahren, so sind sie besorgniserregend. Immerhin sind allein aus Berlin zirka. 110 Personen mit islamistischer Motivation Richtung Syrien/Irak ausgereist. Mehr als ein Dutzend wurden dort getötet.
Für die Sicherheitsbehörden ist vor allem der Umgang mit den Rückkehrern eine Herausforderung. Damit meine ich nicht nur den Teil der Rückkehrer, um die sich die Justizbehörden kümmern. Für die Rückkehrer gegen die noch kein Strafverfahren anhängig ist oder polizeiliche Maßnahmen nach dem Gefahrenabwehrrecht zulässig sind, müssen alle erforderlichen und rechtlich möglichen Maßnahmen ergriffen werden.
Ebenso wichtig sind Prävention und Deradikalisierung. Es ist gut, dass wir in Berlin Netzwerke und Programme entwickelt haben, um hier entgegenzusteuern.
Ein zweiter Punkt ist wichtig: auch wenn die Motivation zur Ausreise sinkt, so hat die krude Ideologie und Propaganda des IS scheinbar noch immer eine gewisse Anziehungskraft. Das betrifft vor allem Radikalisierte, die eben nicht ausreisen, sondern hier möglicherweise Anschläge planen.
Welche Moscheen hält der Berliner Verfassungsschutz für besonders gefährlich?
Es greift zu kurz, Salafismus und Radikalisierung nur auf Moscheen zu begrenzen. Die problematischen Moscheen haben wir in unserem Verfassungsschutzbericht genannt. Außerdem interessieren uns nicht Moscheen selbst, sondern einzelne Besucher und Betreibervereine, wenn es Hinweise auf Islamismus gibt. Wir haben außerdem festgestellt, dass nicht unbedingt nur Moscheen, einen wesentlichen Einfluss auf Radikalisierung haben, sondern das gesamte soziale Umfeld sowie soziale Medien und das Internet.
Die Gefahr islamistischen Terrors wird zunehmend auch ein Thema für Rechtspopulisten und Rechtsextremisten. Schaukeln sich in Berlin Salafisten und Rechte gegenseitig hoch?
Diese mögliche Entwicklung bereitet mir ganz große Sorge. Die bundesweiten Zahlen von Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte sind dramatisch. Die Gefahr besteht vor allem darin, dass Rechtspopulisten durch Hetze gegen Flüchtlinge – egal ob digital oder auf der Straße – eine Stimmung im Land produzieren, die Gewalt den Boden bereitet. Auch wenn der Kern der klassischen Rechtsextremisten nicht unbedingt wächst, so scheint der rechte Rand dicker und vielschichtiger zu werden. Hier müssen alle Demokraten zusammen halten und ein unmissverständliches Zeichen gegen Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit geben.
Ist der Verfassungsschutz gut genug gerüstet, um die wachsenden Gefahren im Blick zu behalten?
Die Verfassungsschutzabteilung hat vom noch aktuellen Parlament immerhin 25 Prozent mehr Stellen bekommen. Wer will da klagen? Allerdings hat sich die Lage verschärft – denken Sie an die jüngsten islamistischen Anschläge und Anschlagsversuche in Deutschland. Aber auch die Hetze gegen Flüchtlinge hat eine neue Brisanz in die Lage gebracht. Deswegen müssen die Sicherheitsbehörden weiter gestärkt werden. Dies gilt in personeller als auch in technischer Hinsicht. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Extremisten und Terroristen die Werte einer freien und offenen Gesellschaft bedrohen.