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Hand in Hand. Ursula von der Leyen und Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer bei der Amtseinführung im Bundesverteidigungsministerium.
© Wolfgang Kumm/dpa

EU-Kommission und Bundeskabinett: Der Tag der Frauen

Angela Merkel hat wieder alle überrascht und die Kräfteverhältnisse verschoben. Rekonstruktion eines historischen Tages.

Diesem Anfang wohnt die Überraschung inne. Nach gut zwei Stunden am späten Dienstagabend wird die Nachricht, dass eine Deutsche als erste Frau Chefin der EU-Kommission wird, hierzulande von einer anderen politischen Personalie fast in den Hintergrund gedrängt. Ursula von der Leyen übernimmt das höchste Amt, das die Europäische Union zu vergeben hat – und die Parteichefin der CDU wird deutsche Verteidigungsministerin. Damit hatte kaum jemand gerechnet – weder in Straßburg noch in Berlin.

Eine CDU-Parteivorsitzende ordnet sich einer CDU-Kanzlerin unter. Das ist eine Premiere. Kritiker sehen Kramp-Karrenbauers überraschende Bereitschaft dazu als einen Versuch, sich bessere Kanzleramts-Chancen zu erarbeiten. Aber ausgerechnet die Bundeswehr als Sprungbrett und Versuchsfeld, noch dazu für eine verteidigungspolitisch unerfahrene Politikerin? Wie kam es zu der Rochade? Wer lauert weiter im Hintergrund?

ABTRETEN, ANTRETEN, GLÜCKWUNSCH!

Michael Müller ist weit vor der Zeit da. Er lässt sich erklären, wie das hier so läuft. Ausgerechnet bei einem historisch zu nennenden Kabinettspostenwechsel ist der Hausherr im Schloss Bellevue, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, im Urlaub. Sein Vertreter, Bundesratspräsident Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, ist auf Besuch in Namibia, wo er sich zur Schuld deutscher Truppen an Verbrechen während der Kolonialzeit bekennt.

So kommt ein seltener Fall zum Tragen, Berlins Regierender Bürgermeister Müller springt für eine Ministerentlassung und eine Ministerernennung ein. „In Wahrnehmung der Befugnisse des Bundespräsidenten gemäß Artikel 57 des Grundgesetzes händigt der 1. Vizepräsident des Bundesrates, Michael Müller, auf Vorschlag der Bundeskanzlerin gemäß Artikel 64 Absatz 1 des Grundgesetzes, der Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen, die Entlassungsurkunde aus ihrem Amt aus“, steht in der am Vorabend um 22.05 Uhr verschickten Presseeinladung ins Schloss.

Als sich pünktlich um 11 Uhr die weißen Flügeltüren öffnen, schreitet Müller mit den drei nun mächtigsten Frauen Deutschlands in den Großen Saal. Es nehmen auf drei Stühlen Platz: Bundeskanzlerin Angela Merkel, die künftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Auch hier sitzt man nun, aus Rücksicht auf die Kanzlerin.

Erstmals wechselt eine Frau aus dem deutschen Kabinett auf den Chefposten der Regierung der Europäischen Union in Brüssel. Und erstmals tritt eine CDU-Chefin in ein Bundeskabinett ein, das von einer anderen CDU-Politikerin geleitet wird. Konrad Adenauer trat zwar als Kanzler zurück, blieb jedoch CDU-Chef und piesackte seinen Nachfolger Ludwig Erhard, wo er nur konnte. Franz Müntefering und Willy Brandt steuerten die SPD, aber ohne unter SPD-Kanzlern Gerhard Schröder und Helmut Schmidt – der Brandt nach seinem Rücktritt als Kanzler nachfolgte – in das Kabinett einzutreten und sich als Minister unterzuordnen.

Merkel ist bei solchen Terminen in Bellevue normalerweise fast Statistin, ein Handschlag für Entlassene, ein Handschlag für den Nachfolger oder die Nachfolger, Lächeln beim gemeinsamen Foto. Doch an diesem Tag hat sie auch noch Geburtstag, der 65. Sie Sonne strahlt draußen beim Blick aus dem Fenster, das Grün vor dem Schloss ist akkurat geschnitten wie immer. Es passt irgendwie alles. Aber keiner weiß, was aus dieser Rochade folgt. Die drei Frauen gehen das volle Risiko ein.

Müller, am Pult des Bundespräsidenten stehend, sagt: „Heute ist kein Tag wie jeder andere im Schloss Bellevue.“ Und für die, die ihn nicht kennen sollten, stellt er klar: „Hier steht nicht der Bundespräsident.“

Er sagt an Merkel gerichtet: „Zu Ihrem heutigen Geburtstag wünsche ich, und ich bin sicher, alle hier, alles erdenklich Gute.“ Dann wendet Müller sich der zweiten Frau zu: Ursula von der Leyens Entlassung als Bundesministerin sei kein Abschied, sondern der Auftakt zu einem neuen Lebensabschnitt im Dienste Europas. Müller sagt: „14 Jahre waren Sie im Bundeskabinett. Ich weiß nicht, ob Sie mitgezählt haben: Mehr als 700 Mal saßen Sie mittwochs am langen Kabinettstisch im Kanzleramt.“

Ein Blick in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zeige, dass es nur sehr wenige gibt, die auf eine so lange Amtszeit als Ministerin oder Minister zurückschauen können. Sie war immer in den Kabinetten Merkels dabei, als Familien-, Arbeits- und Verteidigungsministerin. „In diesen 14 Jahren haben Sie Deutschland gedient, und Sie haben sich um Deutschland verdient gemacht. Dafür möchten wir Ihnen danken.“

Er erinnert an ihr Eintreten für eine verbindliche Frauenquote in Aufsichtsräten, den Ausbau der Betreuung von Kleinkindern und die Umsetzung des Elterngelds. Bei allen Mängeln in der Bundeswehr sei die Truppe als Arbeitgeber attraktiver geworden und der Wehretat deutlich angewachsen. Europa sei heute innen wie außen schweren Anfechtungen ausgesetzt, auf von der Leyen warte eine große Aufgabe. „Ich wünsche Ihnen dafür viel Kraft, Glück und Erfolg!“

Dass seine Partei, die SPD mit ihren 16 Abgeordneten von der Leyen im Europaparlament fast das neue Amt als EU-Kommissionschefin gekostet hätte, spart Müller hier aus.

Dann gibt es noch ein paar Worte an die neue Chefin im Verteidigungsressort, die die wenigsten am Vortag noch hier erwartet hätten. „Unser Land braucht eine starke Bundeswehr, und die Bundeswehr braucht starken Rückhalt in der Politik und in der ganzen Gesellschaft“, gibt Müller Annegret Kramp-Karrenbauer mit auf den Weg. Die Urkunden werden überreicht, unterschrieben von Merkel und Müller.

Nun sind drei Saarländer im Kabinett – neben Annegret Kramp-Karrenbauer noch Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Außenminister Heiko Maas. Gemessen an der Bevölkerungszahl müsste Nordrhein-Westfalen bei einer fairen Proporzverteilung 52 zusätzliche Ministerposten bekommen.

Dann brausen die drei Frauen in dunklen Limousinen davon – Müller gefällt sein Einstand offensichtlich so gut, dass er noch durch das Schloss schlendert. Auf der Treppe draußen spricht er mit dem Chef des Bundespräsidialamtes, Stephan Steinlein. Er hat es nicht eilig.

STABWECHSEL IM BERLINER BENDLERBLOCK

Während Müllers Dasein als Kurzzeit-Schlossherr sich dem Ende zuneigt, fahren um kurz vor halb zwölf von der Leyen und Kramp-Karrenbauer in den Hof des Bendlerblocks ein – die offizielle Amtsübergabe im Verteidigungsministerium findet bei Kaiserwetter im Freien statt. Durch den Zaun zum Reichpietschufer lugen Neugierige. Die beiden Frauen steigen aus der Dienstkarosse, von der Leyen mit heller Jacke und dunkler Hose, Kramp-Karrenbauer mit hellem Rock und schwarzer Jacke, stellen sich händehaltend auf. Das Musikkorps spielt die Nationalhymne, das Wachbataillon hat trotz Ferienzeit die gewohnte Stärke, der Stabwechsel an der Amtsspitze hat die Truppe so gesehen nicht überrascht – andere im Haus dagegen sehr sehr wohl. Wie auch der Name der „Neuen“. Es folgt das militärische Zeremoniell, kurz und knapp, der übliche Kavalleriemarsch aus wilhelminischen Zeiten erklingt, die beiden Frauen gehen an der Truppe vorbei.

Dann Rechtsschwenk, wieder zurück zur Tribüne, wo die Mitarbeiter des Ministeriums stehen, Militär und Zivil bunt gemischt. Die scheidende Ministerin stellt ihre Nachfolgerin einer Reihe von Amtsträgern vor. Das war’s, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist Geschichte, die neue EU-Kommissionschefin lässt die Kollegin zurück. Kramp-Karrenbauer tritt vor die Kameras.

Die CDU-Chefin gibt ein kurzes Statement ab, die ersten Sätze als Verantwortliche für das vielleicht schwierigste Ressort im Kabinett, ein militärischer Apparat, der auf Befehl und Gehorsam aufbaut, für Zivilsten oft etwas befremdlich. Sie ist jetzt nicht nur Chefin der Christlich-Demokratischen Union, die schon schwer genug im Zaum zu halten ist, sondern auch von 182 000 Soldaten. Den harten Ton hat „AKK“ im Zweifelsfall zwar auch drauf, aber so schneidig zu reden, wie von der Leyen es kann, wenn es nottut, das ist man von der Saarländerin noch nicht gewohnt. Bislang hat es nur einer geschafft, das Amt des Verteidigungsministers als Stufe auf dem Weg zur Kanzlerschaft zu nutzen. Helmut Schmidt.

Kramp-Karrenbauer sagt, es sei ein besonderer Tag für sie. Sie übernehme die neue Aufgabe mit hohem Respekt, sagt Kramp-Karrenbauer, aber auch aus vollem Herzen und mit voller Überzeugung. „Bleiben Sie behütet“, hatte die scheidende Ministerin der Truppe in ihrem letzten Tagesbefehl gewünscht. Kramp-Karrenbauer nimmt das auf, sie wolle dafür sorgen, dass die Bundeswehr behütet ist. Sie dankt den Soldaten im Einsatz außerhalb des Landes und betont, dass diese im Ernstfall auch ihr Leben riskierten. Das bedeute für sie eine hohe Verantwortung, „der ich mir auch bewusst bin“. Nach 20 Minuten ist das Zeremoniell beendet.

WIE ES ZU DER PERSONALIE KAM

Als Ursula von der Leyen am Montag mitteilt, sie werde so oder so in die Europapolitik wechseln, kommen Spekulationen auf, nach ihrem Erfolg im Europaparlament mit knapper Mehrheit wird es turbulent. Zunächst vermeldet der Chefredakteur der „Rheinischen Post“, Michael Bröcker, um 20.05 Uhr, dass Jens Spahn Verteidigungsminister werde und die Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz seine Nachfolgerin im Gesundheitsressort. Versehen mit dem Zusatz „Eil“. Nach Tagesspiegel-Recherchen war das schlicht falsch. Doch als Verfasser einer noch nicht lang in den Buchläden liegenden Spahn-Biografie und vermeintlicher Intimus des Ministers genießt Bröcker Glaubwürdigkeit. Das Gerücht macht in Windeseile die Runde, zumal die Funke-Mediengruppe ebenfalls bekundet, davon aus verlässlichen Quellen zu wissen, auch „Focus Online“ berichtet per „Eil“-Meldung, Spahn werde es – unter Bezug auf die anderen Berichte.

Kramp-Karrenbauer ist zu dem Zeitpunkt im sächsischen Großpösna, bei einer Veranstaltung mit sächsischen Kreisvorsitzenden. Für 21 Uhr ist eine Schaltkonferenz des CDU-Präsidiums angesetzt. Kurz vor halb zehn: Merkel und sie haben sich darauf verständigt, dass Kramp-Karrenbauer in das Kabinett wechselt. Um 21.30 Uhr kommen die ersten Nachrichtenagenturmeldungen: „CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer wird überraschend neue Verteidigungsministerin“. Bröcker twittert verlegen, dass es Momente gebe, wo „man die Schnelligkeit unseres Handelns hinterfragen“ sollte. Noch am 2. Juli hatte Kramp-Karrenbauer der „Bild“-Zeitung gesagt: „Ich habe mich bewusst entschieden, aus einem Staatsamt in ein Parteiamt zu wechseln. Es gibt in der CDU viel zu tun.“

Zwangsläufig wird nun CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak an Bedeutung und Einfluss gewinnen im Konrad-Adenauer-Haus. Merkel lobte Teilnehmern zufolge den Gesundheitsminister Spahn. Der mache einen „Bombenjob“. Doch Spahn hatte ohnehin durchblicken lassen, sich nicht nach dem Job bei der Bundeswehr zu reißen. „Ich habe die Entscheidung der Parteivorsitzenden und der Kanzlerin, wie alle anderen Präsidiumsmitglieder auch, in der Telefonkonferenz erfahren“, sagt er. Wurde versucht, über das vorherige Streuen der Nachrichten, er werde es, ihn in das Amt zu hieven oder Kramp-Karrenbauer verhindern?

Sie macht vor der Schaltkonferenz noch eine Interview Aufzeichnung von für die ARD-Tagesthemen, die aber erst um 22.30 Uhr ausgestrahlt werden, zu dem Zeitpunkt hat die Meldung schon die Runde gemacht. Moderatorin Pinar Atalay betont, das Interview habe sie „gegen kurz vor neun am Abend“ geführt. „Kurze Zeit später sickerte durch, dass sie Verteidigungsministerin werden soll.“ Von AKK dazu im Interview „nichts“, sagt Atalay. Angesprochen auf den zu dem Zeitpunkt kursierenden Namen Spahn als Nachfolger von der Leyens sagt Kramp-Karrenbauer, sie kommentiere keine Meldungen, „die durch die Welt geistern“. Sie „treffe Entscheidungen zusammen mit der Regierungschefin“. Wenn die Entscheidungen getroffen seien, „dann werden wir sie auch entsprechend kommunizieren.“

Für Merkel ist es ein Juli der Überraschungen. Sie hat mitgewirkt, dass erstmals eine Frau, ihre dienstälteste Ministerin, die EU-Kommission führen wird. Und statt einem Störenfried Spahn hat sie Kramp-Karrenbauer nun in einem ihrer wichtigsten Ressorts.

Es ist das zweite Mal, dass die beiden Frauen fast alle überraschen. Erstmals war das der Fall, als Kramp-Karrenbauer das Amt der Ministerpräsidentin des Saarlands aufgegeben hatte, um im Februar 2018 den CDU-Generalsekretärsposten zu übernehmen. Dann folgte nach der Landtagswahl in Hessen im Herbst Merkels Rückzug als CDU-Chefin, schon die Trennung von Vorsitz und Kanzlerschaft war ein Experiment – jetzt kommt das nächste: Kramp-Karrenbauer dient als Vorsitzende unter Merkel.

DIE BAUSTELLEN

Thüringens CDU-Chef Mike Mohring sieht in der Ernennung Kramp-Karrenbauers ein Zeichen für die Wertschätzung der Bundeswehr und „ein starkes Signal an die Truppe“. Er sei „seit der Wahl von AKK der festen Überzeugung“ gewesen, twitterte er, dass die CDU-Vorsitzende „dort hingehört, wo die Entscheidungen getroffen werden“. Das ist der Kabinettstisch.

Während die CDU haufenweise Unterstützer ins Rennen schickt, die die Wendung preisen, erklärt der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD): Die Bundeswehr hätte gerne einen, „der sich thematisch auskennt und nicht erst mühsam einarbeiten muss“. Die neue Ministerin solle nicht erst wieder mit großen Analysen starten. „Alle Probleme sind bekannt. Großprojekte wie das Mehrzweckkampfschiff 180, der Tornado-Nachfolger, das neue Luftverteidigungssystem oder der schwere Transporthubschrauber warten auf Entscheidungen.“ Der Bundeswehrverband fordert, die Attraktivität des Dienstes müsse gesteigert werden, bei Material wie Ausrüstung eine Vollausstattung erreicht und eine ausreichende Infrastruktur bereitgestellt werden. Immerhin sind die Verteidigungsausgaben unter von der Leyen auf inzwischen 43,2 Milliarden Euro gestiegen.

All die Baustellen und die Skepsis können auch eine Chance sein, in all ihren bisherigen Regierungsämtern im Saarland konnte Kramp-Karrenbauer als Macherin glänzen – und sie hat sich ihr Amt als CDU-Chefin auch als „Zuhörerin“ erarbeitet. Aber sie wird – vor allem bei innerparteilichen Konkurrenten – keine Schonzeit haben.

Die SPD jedoch ist jetzt erst einmal ziemlich kleinlaut, das Nein zu Ursula von der Leyen bei der Wahl zur EU-Kommissionschefin ist auch intern sehr umstritten. Das Führungsvakuum nach dem Rücktritt von Andrea Nahles ist offensichtlich. Die Ruhe dürfte erst einmal bis zum 1. September halten, wenn in Sachsen und Brandenburg gewählt wird – bis dahin läuft auch die Bewerbungsfrist für den SPD-Vorsitz, einige Bewerber könnten sich mit einem Wahlkampf gegen die Große Koalition zu profilieren versuchen.

PAUSE VON DER SOMMERPAUSE

Eine Ministerin muss im Bundestag vereidigt werden. Dies soll am kommenden Mittwoch um 12 Uhr stattfinden – und zwar nicht im Plenarsaal des Reichstages mit dem Bundesadler. Der wird gerade renoviert. Erstmals seit 20 Jahren erhält er einen komplett neuen Teppichboden. Regierungsbank und Abgeordnetensitze sind abmontiert. Kabel für die Feuerlösch- und die Höranlage für Hörbehinderte werden erneuert, die Kosten belaufen sich auf 419 000 Euro. Die Vereidigung samt nachfolgender Debatte wird in der großen Halle des Paul- Löbe-Hauses nebenan stattfinden. Dafür müssen die Bundestagsabgeordneten aus den Parlamentsferien geholt werden. Was das kosten wird, sei derzeit noch nicht abzuschätzen, sagt eine Sprecherin der Bundestagsverwaltung. Die nächste reguläre Sitzungswoche beginnt am 9. September. Zumindest die Mitglieder des Verkehrsausschusses sind sowieso da, sie haben eine Sondersitzung – zum Mautdebakel von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU).

DER SCHATTENMANN

Manche hatten die Ernennungs-Terminsetzung für den Mittwoch ja schon als Botschaft verstanden. Punkt elf Uhr wollte Jens Spahn den Medien in seinem Ministerium in der Berliner Friedrichstraße drei Gesetzesvorhaben erläutern, die vorher allesamt vom Kabinett verabschiedet werden sollten – zeitgleich zum Termin im Schloss Bellevue. Beides ging nicht.

Aber: Termine lassen sich verschieben. Und so lässt er den Damen den medialen Vortritt und startet um 12.30 Uhr. Erkennbare Lust am Wechsel in das hierarchisch höher angesiedelte Verteidigungsressort hatte der Gesundheitsminister von Anfang nicht erkennen lassen. Obwohl er als chancenreicher Kandidat galt, schickte der CDU-Politiker seinen Pressesprecher in Urlaub. Und aus seinem Umfeld bekam man zu hören, dass Spahn das Begonnene lieber ordentlich zu Ende bringen wolle, dass er gesetzestechnisch grade enorm viel in der Mache habe, dass es fraglich sei, ob sich das andere, als tückisch geltende Ressort mit seinen Altlasten nicht als Schleudersitz erweise.

Spahn – er wäre der erste offen homosexuell lebende Verteidigungsminister der Bundesrepublik gewesen – war von den Entscheiderinnen offenbar gar nicht gefragt worden. Das war auch nicht nötig, denn Kramp-Karrenbauer hat als CDU-Chefin das Recht des Erstzugriffs. Er wartet auf seine nächste Chance.

Die Webseite seines Ministeriums zählte Mitte Juni sage und schreibe 26 Vorhaben, Gesetze und Verordnungen auf, die in der aktuellen Legislaturperiode begonnen wurden, noch laufen oder abgeschlossen sind. Spahn bringt es in seiner eigenen Bilanz auf 16 verabschiedete Gesetze. In 16 Monaten. Sechs davon sind bereits in Kraft. In der Gesundheitsszene ist er respektiert wie kaum ein anderer Ressortchef vor ihm. Warum nicht dabei bleiben und damit wuchern, wenn es mal um die ganz wichtigen Posten oder sogar um den einen, entscheidenden, das Kanzleramt geht?

„Ich bin gerne Gesundheitsminister und bin es auch gerne weiterhin“, versichert Spahn am Mittwoch bei der Präsentation seiner Gesetze. Er sei nicht enttäuscht, freue sich „sogar sehr“ darüber, dass Kramp-Karrenbauer Verteidigungsministerin werde. Schließlich sei das „auch ein wichtiges Signal“ an die Truppe und fürs ganze Land. „Die Bundeswehr ist damit bei der CDU Chefinnen-Sache, und das ist gut.“ Dann widmet sich Spahn wieder der Fachpolitik. Und versichert, so dass es fast wie eine Drohung klingt: „Es folgen weitere Gesetze.“

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