Konflikt im Jemen: Der Stellvertreter-Krieg
Saudi-Arabien und der Iran führen im Jemen einen Stellvertreterkrieg. 3000 Zivilisten sind bereits gestoren, zwei Millionen Menschen auf der Flucht.
Nach der Hinrichtung von 47 Oppositionellen, darunter dem prominenten schiitischen Kleriker Nimr Bakr al Nimr, in Saudi-Arabien ist der Konflikt zwischen dem Königreich und dem Iran endgültig eskaliert: Alle diplomatischen, politischen und wirtschaftlichen Beziehungen wurden abgebrochen. Es ist der Höhepunkt eines schon seit Jahrzehnten schwelenden Kampfs um die Vorherrschaft in der Region. Und einen Leidtragenden gibt es bereits: den Jemen.
Iran unterstützt Rebellen inoffiziell
Wie in Syrien oder dem Irak führen die Machthaber in Teheran und Riad auch dort einen Stellvertreterkrieg um die Vorherrschaft in der arabischen Welt. Die Islamische Republik Iran unterstützt im Jemenn die Huthi-Milizen, eine schiitische Rebellengruppe, die gegen die mittlerweile gestürzte sunnitische Regierung um Präsident Abed Hadi aufbegehrte. Offiziell ist der Iran in diesen Konflikt nicht involviert. Experten sind sich aber sicher, dass die Mullahs den Aufständischen finanziell und logistisch Hilfe leisten. In schneller Folge nahm die schiitische Miliz in den vergangenen beiden Jahren weite Teile des Nordwestens des Landes ein, darunter auch die Hauptstadt Sanaa. Mittlerweile kontrollieren sie knapp ein Drittel des Staatsgebiets.
Saudi-Arabiens Militärallianz ist gekauft
Im März sah sich das saudische Königshaus als selbsterklärte Schutzmacht der Sunniten dazu genötigt, in den Krieg einzugreifen. Es wurde eine Anti-Terror-Allianz aus dem Boden gestampft, um die schiitischen Rebellen mit Luftschlägen zurückzudrängen. Unterstützung bekommt die Golfmonarchie unter anderem von Bahrain, Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten. Senegal und der Sudan unterstützen die Allianz zudem mit Bodentruppen.
Im Gegenzug werden diese Länder mit milliardenschweren Investitionen oder „Unterstützungen“ belohnt. Ägypten erhielt erst Ende Dezember drei Milliarden US-Dollar als Aufbauhilfe, dem Sudan wurde als Ausgleichszahlung für seinen Einsatz eine Milliarde Dollar überwiesen. Doch weil die Erfolge im Kampf gegen die Rebellen ausbleiben, greift Saudi-Arabien auch auf ungewöhnliche Mittel zurück. Ende Oktober 2015 wurden knapp 800 kolumbianische Söldner abgeworben.
Dennoch lässt der erhoffte und verkündete schnelle Sieg nun schon mehr als zehn Monate auf sich warten. Und Frieden ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Der erneut aufflammende Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran hat auch die Hoffnungen auf ein rasches Kriegsende beendet. Ein im Dezember ausgehandelter Waffenstillstand wurde von saudischer Seite aufgekündigt. Seither flog die sunnitische Militärallianz mehrere Dutzend Luftangriffe. Medienberichten zufolge auch gegen die iranische Botschaft im Jemen.
Al Qaida füllt das entstehende Machtvakuum
Von dem Machtkampf zwischen Teheran und Riad profitiert in erster Linie Al Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAP), ein Ableger des Terrornetzwerks, der auch für den Anschlag auf „Charlie Hebdo“ verantwortlich ist. Die Extremisten füllen das Machtvakuum. Dabei kommt ihnen zupass, dass sie offenbar von den saudischen Truppen und deren Verbündeten nicht bekämpft werden. Das Königshaus flog nach eigenen Angaben bisher 2000 Angriffe gegen die Huthi-Rebellen – aber keinen gegen Al Qaida. Das führt soweit, dass die Terrorgruppe die Regierungsgeschäfte in Mukalla übernommen hat, der fünftgrößten Stadt des Landes.
Unter den Kämpfen leidet vor allem die Bevölkerung. Den Vereinten Nationen zufolge kamen bereits fast 3000 Zivilisten ums Leben. Wegen des erbarmungslosen Kriegs sollen von 26 Millionen Einwohnern mehr als zwei Millionen in dem bitterarmen Land auf der Flucht sein. Die Hilfsorganisationen gehen davon aus, dass bis zu 80 Prozent der Jemeniten auf Unterstützung brauchen. "Die Lage ist besorgniserregend“, sagt Florian Westphal, Geschäftsführer der deutschen Sektion von „Ärzte ohne Grenzen“.
Medizinische Versorgung ist stark eingeschränkt
Dort, wo die Kämpfe am heftigsten toben, sei auch die Not am größten. So sei zum Beispiel die medizinische Versorgung in der Region Taiz stark eingeschränkt. „Von 20 Kliniken dort sind 14 inzwischen geschlossen. Und jene, die ihren Betrieb noch aufrechterhalten können, sind völlig überlastet.“ Ähnlich wie in Syrien nehmen die Konfliktparteien laut Westphal wenig Rücksicht auf Zivilisten. Und wegen der ständigen Bombardements sei es extrem schwierig und gefährlich, den Menschen zu helfen. Dennoch habe seine Organisation 20000 Verwundete versorgen und 800 Tonnen medizinische Güter verteilen können. Doch das reiche bei weitem nicht. Deshalb appelliert Westphal zum einen an die kriegsführenden Mächte, den Zugang zu den Bedürftigen zu gewährleisten. Zum anderen müsse es mehr internationale Hilfe geben, vor allem durch die Vereinten Nationen. „Da sollte deutlich mehr passieren.“
Die Hälfte aller Kinder leidet an Unter- oder Mangelernährung
Doch das ist angesichts der heftigen Kämpfe eine enorme logistische Herausforderung. Auch das Welternährungsprogramm der UN (WFP) klagt, dass seine Mitarbeiter große Probleme haben, die Notleidenden zu erreichen. „Die Intensität des Konfliktes macht das nahezu unmöglich“, sagt Purnima Kashyap, WFP-Direktorin im Jemen. Überall gebe es Checkpoints, die die Lkw passieren müssen. Und die Fahrer fürchteten sich davor, in gefährliche Gebiete zu fahren. Dabei sind Millionen Jemeniten dringend auf Lebensmittel angewiesen. Das Welternährungsprogramm spricht bei zehn von 22 Regierungsbezirken des Landes von einem „Notfall-Level“ – das ist eine Stufe unter Hungersnot. Zwei Millionen Menschen müssen deshalb mit Nahrungsmitteln versorgt werden.
Besonders dramatisch ist die Situation der Kinder. Die Hälfte aller Mädchen und Jungen im Jemen sind aufgrund von Unter- und Mangelernährung zu klein für ihr Alter. Um zumindest ein wenig die Not zu lindern, braucht es nach Überzeugung der Hilfsorganisationen dringend einen Waffenstillstand. Einen, der diese Bezeichnung tatsächlich verdient.