Nach saudischer Intervention: Jemen droht der Zerfall
Krieg, Hunger, Krankheit: 2600 Menschen sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation im Jemen getötet worden, mehr als 11.000 wurden verletzt. Eine Million befindet sich auf der Flucht, der IS ist auch schon da. Das Land steht vor dem Zerfall.
„Ihr seid Kindesmörder, Kriminelle und Hunde“, schrie die junge Frau und warf ihre Schuhe in Richtung Podium. Hamza Al-Houthi hatte gerade auf einer Pressekonferenz im UN-Hauptquartier in Genf für die jemenitischen Rebellen das Wort ergriffen, als ihn der wütende Angriff unterbrach. Im Saal brachen Faustkämpfe aus und flogen Flaschen, bis Sicherheitskräfte die Kontrahenten vor die Tür bugsierten.
Der erregte Zwischenfall bei den bislang erfolglosen Vermittlungsgesprächen in der Schweiz ist symptomatisch für die verfahrene Situation im Jemen. „Die Existenz des Landes steht auf dem Spiel“, hatte zu Beginn der Woche UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die angereisten Unterhändler beschworen. Und er hatte Rebellen und Regierung zu einer Feuerpause im Ramadan aufgerufen. Der Fastenmonat begann am Donnerstag.
Fast drei Monate lang bombardiert die saudische Luftwaffe nun schon das Nachbarland an der Südspitze der Arabischen Halbinsel. Dem erklärten Kriegsziel, die nach Riad geflohene Exilregierung unter dem bisherigen Präsidenten Abed Rabbo Mansour Hadi zurück an die Macht zu schießen, ist das ölreiche Königreich keinen Schritt nähergekommen. Denn nach wie vor kontrollieren seine Gegner, ein Bündnis aus Huthi-Stammeskriegern und Streitkräften des früheren Langzeitherrschers Ali Abdullah Saleh, den Großteil des Landes mitsamt der Hauptstadt Sanaa.
Jemeniten erleben den Kriegals humanitäre Katastrophe
Die 24 Millionen Jemeniten jedoch erleben den Krieg als eine beispiellose humanitäre Katastrophe. 2600 Menschen sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation bisher getötet worden, über 11.000 wurden verletzt. Eine Million befindet sich auf der Flucht. Vor zwei Tagen richteten saudische Raketen in einem Konvoi fliehender Familien ein Gemetzel an. 31 Menschen kamen um, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Es war der bisher blutigste Luftangriff auf Zivilisten.
Aber auch wichtige Kulturschätze des Landes, dessen Zivilisation mehr als 2800 Jahre zurückreicht, wurden zerstört. In Sanaa legten Bomben fünf jahrhundertealte Lehmziegelhäuser in der Altstadt in Schutt und Asche, die zum Weltkulturerbe gehören. Der älteste Staudamm der Menschheit in der jemenitischen Provinz Marib aus dem 8. Jahrhundert wurde durch eine Rakete beschädigt, das Museum von Dhamar mit seinen 12.500 Exponaten wurde komplett zerstört.
Die Hälfte der jemenitischen Bevölkerung ist inzwischen von Hunger bedroht, weil saudische und ägyptische Kriegsschiffe sämtliche Häfen im Golf von Aden blockieren. In der hart umkämpften Hafenstadt Aden ist das Dengue-Fieber ausgebrochen, weil in den Straßen Berge von Müll bei brütender Hitze vor sich hinfaulen. Die Zahl der Erkrankten liegt mittlerweile bei mehr als 5000. Jeden Tag kommen nach Angaben der städtischen Krankenhäuser 100 bis 200 Fälle hinzu. „Wir leben nur noch von Beerdigung zu Beerdigung“, zitierte eine lokale Zeitung einen Bewohner.
Am Freitag appellierten die Vereinten Nationen an die internationale Gemeinschaft, 1,6 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern aufzubringen, auch weil Saudi-Arabien seine zugesagten 540 Millionen Dollar bisher nicht eingezahlt hat. In 19 der 22 Provinzen des Landes herrsche akuter Notstand, erklärten die UN. In sieben Provinzen gebe es keinerlei Sprit mehr. „Der bewaffnete Konflikt sowie der Mangel an Lebensmitteln und Benzin treiben den Jemen in einen totalen Zusammenbruch bei der Versorgung“, hieß es.
Der IS ist inzwischenauch im Jemen aktiv
Gleichzeitig spielt der Zerfall des Staates islamistischen Gotteskriegern in die Hände. Seit Ende März hat „Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AQAP) die Hafenstadt Mukalla am Golf von Aden unter seiner Kontrolle. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) ist inzwischen ebenfalls im Jemen aktiv. Sie bekannte sich bislang zu sieben Selbstmordattentaten auf Moscheen der Huthis, bei denen über hundert schiitische Gläubige starben. Kriegsherr Riad wiederum manövriert sich mit seiner Angriffspolitik immer tiefer in eine strategische Sackgasse hinein. Und so wird seine Führung schon bald vor der Entscheidung stehen, entweder einen Waffenstillstand und damit die Präsenz seiner Feinde in Sanaa zu akzeptieren oder den Krieg weiterzuführen mit dem Risiko, dass der Jemen total zerfällt. Dann jedoch könnte der bitterarme Nachbar im Süden auch für die saudische Sicherheit zu einer unkalkulierbaren Gefahr werden.
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