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Die Auto-Lobby ist besonders laut bei der Forderung nach staatlichen Hilfen in Form einer Abwrackprämie.
© Fotomontage: imago images/Michael Weber

Mehr als 1000 Milliarden Euro Corona-Hilfen: Der Staat muss sich das Geld holen, wo es ist

Wer zahlt die Rechnung für die immensen Ausgaben? Ohne eine einmalige Corona-Abgabe der Reichsten geht es nicht. Wegen des Gerechtigkeitsgefühls. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Alfons Frese

Für Verteilungspolitiker ist das Virus wie ein Geschenk. Erst freuen sie sich über die Wiederentdeckung des starken Staates, der alle Kräfte mobilisiert, damit die Gesundheitskrise nicht auch eine ökonomische und sozialen Katastrophe anrichtet.

Und dann laufen sie zur Hochform auf, wenn es um die Bewältigung der Anti-Krisenpolitik geht: Wer zahlt die Rechnung?

Die Summe ist indes so groß, dass es keine einfache Antwort gibt. Die 1997 abgeschaffte Vermögenssteuer kommt in Betracht – spätestens zum Bundestagswahlkampf 2021. Sie reicht aber nicht.

Denn weit mehr als 1000 Milliarden Euro an staatlichen Hilfen – vor allem Kreditgarantien und nicht rückzahlbare Zuschüsse – hat die Regierung in den vergangenen Wochen beschlossen.

Jede Branche meldet derzeit ihre Bedürfnisse an

Gleichzeitig implodieren die Einnahmen, allein in diesem Jahr fehlen 100 Milliarden. Und es geht weiter. Nationale und EU-weite Konjunkturprogramme mit Hunderten Milliarden stehen an. Eine spezielle Art von Verteilungspolitik ist deshalb gerade in Berlin zu besichtigen: Jede Branche hat besonders große Bedürfnisse.

Tausende Lobbyisten sind in diesen Tagen mindestens so beschäftigt wie die rumänischen Spargelstecher in Beelitz. Allerdings zu unterschiedlichen Stundenlöhnen.

Die Ausgabebereitschaft des Staates ist einzigartig und provoziert Begehrlichkeiten. Wir können uns vieles erlauben, weil die öffentliche Verschuldung – etwa im Vergleich mit Japan, den USA oder Italien – gering ist und Kredite nichts kosten.

Doch das wird nicht so bleiben, und der Staat wird schon bald mit seinen Kräften haushalten müssen. Indem er weniger ausgibt oder mehr einnimmt; am besten beides.

Wachstum wie nach der Finanzkrise ist nicht zu erwarten

Perfekt war das nach der Finanzkrise 2009: Es folgten zehn Wachstumsjahre in denen sich die Kassen der Finanzämter und Sozialsysteme füllten. 2020 ist der Einschnitt viel tiefer, die Hoffnung auf segensreiche Wachstumseffekte greift zu kurz.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog.

Und dennoch muss Wachstum generiert werden durch die avisierten Konjunkturprogramme inklusive höherer Ausgaben für Bildung und Infrastruktur, Digitalisierung und Dekarbonisierung.

Und dann gibt es ja auch noch die Helden der Corona-Zeit, die künftig besser bezahlt werden sollen. Das Virus beschleunigt eine Trendwende.

Denn der in den 1990er Jahren begonnene Rückzug des Staates hat dazu beigetragen, dass heute Pfleger, Erzieher und Lehrer fehlen. Nur mit anständigen Gehältern und Arbeitsbedingungen ist dieser Mangel zu beheben.

Das kostet alles Geld. Nach der Wende hat Helmut Kohl Steuererhöhungen gescheut und die Kosten der Einheit zum großen Teil mit Hilfe der Sozialsysteme finanziert.

Deutschland darf nicht wieder der kranke Mann Europas werden

Die Abgaben am Standort Deutschland schossen in die Höhe und forcierten eine Verlagerung von Wertschöpfung und ganzen Werken nach Osteuropa und später Asien. Das sollte sich nicht wiederholen, sonst wird aus der bärenstarken Bundesrepublik wieder der kranke Mann Europas.

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Die Steuerpolitik ist das entscheidende Handlungsfeld für die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft in dieser Dekade. Der Staat braucht mehr Geld und muss es sich da holen, wo es ist. Einkommen und Mehrwertsteuer sind die tragenden Säulen des Steuerstaates – aber hier ist nicht viel möglich.

Eine höhere Mehrwertsteuer belastet die Konjunktur, und eine höhere Einkommensteuer vor allem den Mittelstand. Im Übrigen zahlen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung schon 55 Prozent der Einkommensteuer.

Dennoch: Der Abstand zwischen oben und unten ist in den vergangenen 20 Jahren größer geworden, die Reichen wurden reicher, viele Arme noch ärmer. Das Berliner DIW schlägt auch deshalb eine einmalige Corona-Abgabe von 0,5 Prozent für die reichsten 400.000 Haushalte vor.

Die erwarteten elf Milliarden reichten nicht annähernd für die Corona-Rechnung, würden aber den staatlichen Spielraum erweitern: Es muss gerecht zugehen, damit die Leute mitmachen. Und die Gesellschaft zusammenhält.

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