Bündnis von Corona-Skeptikern und Verfassungsfeinden: Der Staat muss gegenüber der AfD endlich Härte zeigen
Die AfD überschreitet laufend Schmerzgrenzen. Der Verfassungsschutz sollte die Partei als Verdachtsfall werten und auch Corona-Leugner beobachten. Ein Kommentar.
Es schien kaum vorstellbar, dass die AfD ihre Provokationen noch steigert. Doch was sich diese Woche im Bundestag abgespielt hat, ist ein Angriff auf die parlamentarische Demokratie. AfD-Abgeordnete laden zur Debatte um das Infektionsschutzgesetz aggressive Verschwörungstheoretiker als „Gäste“ ein, die dann im Reichstagsgebäude herumpöbeln.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Abgeordnete mehrerer Parteien werden bedrängt und beschimpft. Gleichzeitig demonstrieren am Brandenburger Tor AfD-Leute gemeinsam mit Coronaleugnern und Rechtsextremisten gegen die angebliche „Merkel-Diktatur“. An diesem Mittwoch wurden mehrfach Schmerzgrenzen der Demokratie überschritten. Es ist Zeit für eine harte Antwort.
Gauland hat die Verwilderung der Partei befeuert
Dass AfD-Fraktionschef Alexander Gauland am Freitag in der Debatte im Bundestag das Verhalten der „Gäste“ als unzivilisiert bezeichnet und behauptet, es sei etwas „aus dem Ruder gelaufen“, ist blanker Zynismus.
Gauland ist eine der treibenden Kräfte bei der mentalen Verwilderung der Partei. Mit der Behauptung vom Juni 2018, Hitler und die Nazis seien nur ein „Vogelschiss“ der deutschen Geschichte gewesen, hat Gauland nicht nur die Verbrechen des braunen Regime verharmlost, sondern auch die Radikalisierung der AfD befeuert. Dass sich zumindest Teile der Partei nicht an die Regeln der Demokratie gebunden fühlen, ist auch das „Verdienst“ von Alexander Gauland.
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Was ist zu tun? Die Instrumente liegen bereit. Der Verbund der Verfassungsschutzbehörden überlegt schon länger, ob die AfD als Gesamtpartei zum „Verdachtsfall“ erklärt werden sollte. Bislang gilt sie nur als „Prüffall“, doch diese vergleichsweise harmlose Einstufung ist spätestens seit Mittwoch obsolet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz sollte bald, noch in diesem Jahr, damit beginnen, die gesamte AfD mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu überwachen. Das wäre bei einem „Verdachtsfall“ möglich.
Verfassungsschutz sollte Querdenker als Extremismus-Phänomen einstufen
Es erscheint auch zunehmend unlogisch, dass das Bundesamt den „Flügel“ längst als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung eingeordnet und vom Verdachtsfall zum klassischen Beobachtungsobjekt hochgestuft hat, die Gesamtpartei aber nur über die Lektüre von Zeitungen und anderen öffentlich zugänglich Informationen beobachtet. Diese Lücke muss zumindest verkleinert werden. Die AfD, das hat sich am Mittwoch eindeutig gezeigt, ist eine Gefahr für die Demokratie.
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Ein weiterer, notwendiger Schritt ist eine intensive Beobachtung des Querdenker-Spektrums, das mit AfD, NPD, Reichsbürgern und den irrsinnigen Verschwörungstheoretikern der QAnon-Bewegung immer öfter und mit zunehmender Dreistigkeit das Demonstrationsrecht missbraucht.
Bei Aufläufen in Berlin und Leipzig, um nur einige Beispiele zu nennen, wurden Polizisten und Journalisten attackiert, das Tragen von Schutzmasken verweigert, die Bundesrepublik als Wiedergänger der NS-Diktatur diffamiert und ein Bürgerkrieg herbeigewünscht. Dass der Verfassungsschutzverbund überlegt, ob er diese Szene als Prüffall bewerten soll, erscheint bedenklich langsam. Längst ist zu erkennen, dass nicht nur Rechtsextreme mitmischen, sondern dass das Querdenker-Milieu sich selbst radikalisiert.
Die späte Beobachtung der Reichsbürger war ein Fehler
Der Nachrichtendienst sieht sich als „Frühwarnsystem“ der Demokratie“, folglich müsste er seine Antennen bei den zunehmend fanatisierten Coronaleugnern schleunigst ausfahren. Der Fehler, der bei den Reichsbürger gemacht wurde, darf sich nicht wiederholen.
Erst 2016, nach der Tötung eines Polizisten durch einen Reichsbürger im bayerischen Georgensmünd, nahm der Verfassungsschutz die Szene bundesweit in den Blick - und musste feststellen, dass es weit mehr Reichsbürger gibt, als bislang bekannt. Und viele hatten Waffen.
Das hätte der Staat auch schon früher herausfinden und die Gefahr für die Demokratie herunterdimmen können. Diese Lehre sollten Verfassungsschutz und Innenminister nun beim Querdenker-Milieu beherzigen. Die für den Dezember geplante Tagung der Innenministerkonferenz wäre zu nutzen, um das gefährliche Spektrum analog zu den Reichsbürgern zu einem eigenständigen Extremismusphänomen zu erklären und entsprechend zu bearbeiten: Mit nachrichtendienstlichen Mitteln, mit einer Nennung in den Jahresberichten der Verfassungsschutzbehörden, mit laufender Unterrichtung von Regierungen und Parlamenten über den aktuellen Stand der Gefahr.
Die Republik muss, man kann es nicht oft genug wiederholen, wachsamer werden. Was sich am Mittwoch in Berlin abgespielt hat, im Bundestag und auf der Straße, ist ein deutliches Warnzeichen. Der Staat darf nicht zögern, konsequent und mit fühlbarer Härte zu antworten.