Druck auf die "schwarze Null": Der Schraubstock im Finanzministerium
Er ist fast ein Dogma – der ausgeglichene Staatshaushalt. Warum halten alle Beteiligten krampfhaft fest? Eine Analyse.
An kaum etwas in der deutschen Finanzpolitik scheiden sich so die Geister wie an der „schwarzen Null". Die USA unter Donald Trump verschulden sich kräftig weiter, trotz des Handelsstreits mit China brummt die Wirtschaft. Im ersten Quartal 2019 wuchs die Wirtschaft um 3,2 Prozent – auch weil Trump die Steuern für Unternehmen stark gesenkt hat.
Für Deutschland musste die Bundesregierung dagegen die Wachstumsprognose auf zuletzt 0,5 Prozent runterkorrigieren. Noch wächst die Wirtschaft – aber statt den Bürgern auf breiter Front mehr zurückzugeben und so den Konsum anzukurbeln, wuchsen in den guten Zeiten besonders die Sozialausgaben, über 90 Milliarden Euro fließen als Bundeszuschuss in die Rente.
Die Wirtschaftsleistung in Deutschland wurde 2018 von 44,8 Millionen Erwerbstätigen erbracht – ein Rekord. Die „schwarze Null“, der „Haushalt ohne neue Schulden“ stand nicht nur, es gab sogar einen Rekordüberschuss von 59,2 Milliarden Euro. Nun ist aber fast alles verplant und verfrühstückt, zu den Kostentreibern zählen Projekte wie das Baukindergeld, das zehn Milliarden Euro verschlingen könnte. Noch gar nicht absehbar sind die Kosten durch den bis 2038 geplanten Kohleausstieg und die Kosten durch die geplante stärkere Begrenzung des CO2-Ausstoßes in Deutschland.
Rückblick: Im August 2009 hatte der Bundestag mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit die Schuldenbremse für Bund und Länder verabschiedet. Die Grundgesetzänderung verbietet den 16 Bundesländern ab 2020 neue Schulden. Dem Bund wird noch ein Spielraum von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zugestanden – derzeit wären das 14 Milliarden Euro. Der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte zur Begründung, 15 Prozent des Bundeshaushalts seien bis dahin in den Schuldendienst geflossen – Geld, das für anderes fehlt. „Wir sind in einem Schraubstock der Verschuldung“, betonte Steinbrück.
Schraubstock der Haushaltsdisziplin
Als Schraubstock empfinden viele bei der SPD heute die schwarze Null. Aber Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ist in der Klemme. Er will zeigen, dass auch die „Roten“ mit Geld umgehen können. Wenn er erstmals seit 2014 die Null reißen würde, könnte die Union immer darauf verweisen, dass Wolfgang Schäuble (CDU) das nicht passiert sei, eine tolle Wahlkampfmunition. Scholz ist bisher der SPD-Favorit auf die Kanzlerkandidatur. Zugleich kann Scholz nun leichter alle möglichen Begehrlichkeiten der Union abwehren.
Die Linken-Haushaltspolitikerin Gesine Lötzsch hält die „schwarze Null“ schon lange für „Volksverdummung“: Denn sie lenke davon ab, dass es ein ungerechtes Steuersystem in Deutschland gebe. Denn viele Studien zeigen: Die Einkommen sind sehr ungerecht verteilt. Nach einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) stiegen die realen Haushaltsnettoeinkommen zwischen 1991 und 2016 im Durchschnitt um 18 Prozent.
Aber während sie bei den reichsten zehn Prozent um 35 Prozent wuchsen, sanken sie bei den ärmsten zehn Prozent sogar. Deshalb pocht Lötzsch zum Beispiel auf eine Vermögensbesteuerung – zu Zeiten von Kanzler Helmut Kohl (CDU) war übrigens der Spitzensteuersatz deutlich höher.
Es ist bemerkenswert, wenn nun der frühere SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel die „schwarze Null“ infrage stellt – und auch niedrigere Steuern für Unternehmen fordert, um im Wettbewerb mit US-Konkurrenten Schritt halten zu können. Investitionen in Straßen, Schienenwege, Wasserwege, Flughäfen, digitale Infrastruktur, Forschung, Technologie und eine Modernisierung von Schulen und Hochschulen seien wichtiger als die berühmte schwarze Null.
Zudem bedürfe es eines Gesetzes zur Planungsbeschleunigung. „Zehn Jahre für den Ersatz einer Brücke, 15 Jahre für einen Bahnhof zeigen: Bei großen Infrastrukturmaßnahmen regiert nicht das Gemeinwohl, sondern viele tausend Einzelinteressen“, so Gabriel. Der FDP-Haushälter Otto Fricke sieht noch woanders Spielraum: Scholz solle die „Beteiligungen an Großkonzernen wie Telekom, Post oder Commerzbank veräußern und durch Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur das Fundament für sonnigere Zeiten legen“.