Wirtschaftswachstum: Fünf Gründe, warum die Konjunktur schwächelt
Brexit, Trump und Chinas Schulden – weltweit lauern Probleme für die deutsche Wirtschaft, einige sind allerdings hausgemacht. Das sind die fünf größten Risiken.
Es gibt angenehmere Termine für deutsche Wirtschaftsminister als der, zu dem Peter Altmaier (CDU) heute antreten musste. Am Vormittag stellte er die Regierungsprognose zum Wirtschaftswachstum vor – und korrigierte die bisherigen Schätzung deutlich nach unten. Um 0,5 Prozent werde die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr wachsen, schätzt die Bundesregierung nun, 2020 sollen es immerhin 1,5 Prozent sein. Eine "Schwächephase", so Altmaier, die aber überwunden werde.
Doch derzeit befindet sich Deutschlands Ökonomie in einer Abwärtsspirale: Probleme im Außenhandel, sinkende Einnahmen, rückläufige Auftragslage – all diese Faktoren bedingen und verstärken einander, so dass zuletzt Rufe nach einem Konjunkturpaket aufkamen.
Doch auch wenn die Bundesregierung entsprechende Forderungen abschmetterte, gab sie zu, dass die wirtschaftliche Entwicklung „in unruhigeres Fahrwasser“ gekommen ist.
Das sind die größten Stromschnellen:
Der Brexit: Alptraum für die Industrie
Auch wenn die Öffentlichkeit das Thema Brexit langsam nicht mehr hören kann, ist die deutsche Industrie doch um jeden Tag dankbar, um den sich der Austritt verschiebt. 82 Milliarden Euro spült der Export nach Großbritannien pro Jahr nach Deutschland – da bringt jeder Tag ohne Brexit ein paar Millionen, die andernfalls wegbrechen würden. „Damit ist Großbritannien der fünftwichtigste Absatzmarkt der deutschen Wirtschaft“, stellt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) klar. „Deutsche Unternehmen haben in Großbritannien 2500 Niederlassungen und beschäftigen circa 400000 Mitarbeiter, jeder achte Betrieb plant derzeit die Produktion aus UK abzuziehen.“
Im Falle eines ungeregelten Brexits, gehen einige Verbände fest von einer Rezession aus. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat jüngst in einer „zurückhaltenden Berechnung“ prognostiziert, dass ein harter Brexit zu einem Rückgang deutscher Exporte 2020 um mindestens 0,6 Prozent führen würde. Genau sind die Folgen noch nicht abzusehen. In einer Umfrage der Unternehmensberatung KPMG gaben 47 Prozent der im britisch-deutschen Geschäft aktiven Unternehmen an, weitgehend unvorbereitet auf den Brexit zu sein.
Trump, Deutschland und die Automobilindustrie
Am Montag durfte US-Präsident Donald Trump einen Triumph feiern. Die EU einigte sich darauf, Handelsgespräche mit den USA zu beginnen. Vor einem Jahr hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch stellvertretend für die ganze EU gesagt, Europa verhandle nicht, „solang uns eine Waffe an den Kopf gehalten wird“. Die Waffe sind in dieser Metapher Strafzölle, die Trump auf europäische Waren erhoben hat und vermehrt zu erheben droht. Die deutsche Wirtschaft würde davon hart getroffen werden.
Allein die Schäden durch die seit Juni 2018 geltenden Strafzölle auf Aluminium- und Stahlimporte bezifferte die DIHK auf rund 1,2 Milliarden Euro in den kommenden zwei Jahren. Dass die EU jetzt einknickt, zeigt, welch ein Risiko eine weitere Verschlechterung der Exporte in die USA bedeuten würde. Besonders hart würden Strafzölle die deutsche Autoindustrie treffen: Im Mai vergangenen Jahres berechnete das Ifo-Institut Schäden von rund fünf Milliarden Euro. Die Bundesregierung bezifferte die möglichen Verluste auf Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion im September auf sieben Milliarden Euro.
Hinzu kommt, dass die deutsche Autoindustrie genug selbstverschuldete Probleme hat: Die verschleppte Umstellung auf das neue Abgasprüfsystem der EU, die Folgen des Dieselskandals und die zu späte Umstellung auf umweltfreundliche Antriebe. Und Risiken in der Automobilindustrie, so heißt es im jüngsten Gemeinschaftsgutachten der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, sind „nicht branchenspezifisch, sondern haben gesamtwirtschaftlich Gewicht“.
Da gäbe es ein ganz einfaches Gegenmittel: Binnennachfrage stärken. Leider wurde und wird genau das von Seiten der Arbeitgeber und der Politik massiv verhindert. [...] Selbst das DIW bezeichnet das als Wachstumshindernis.
schreibt NutzerIn DerDilettant
Schuldenberg in China
Autos sind auch für das deutsche Exportgeschäft mit China essentiell. Die Volksrepublik ist der größte Auto-Absatzmarkt weltweit, und der zweitwichtigste Handelspartner Deutschlands. Umso größer war der Schock, als im März bekannt wurde, dass VW zum ersten Mal seit den späten 1990ern im Jahresvergleich einen Verkaufsrückgang in China verzeichnete. Denn auch in der Volksrepublik lahmt die Konjunktur. Experten erwarten für die ebenfalls am heutigen Mittwoch veröffentlichten Zahlen eine Verlangsamung auf 6,3 von 6,4 Prozent zum Jahresende 2018 – es wäre die niedrigste Wachstumszahl seit 27 Jahren.
Noch hält die dortige Regierung die Wirtschaft mit massiven Konjunkturhilfen aufrecht; die OECD und die Bonitätswächter von S&P beruhigt das allerdings nicht. Denn der chinesische Schuldenberg wächst und stellt möglicherweise eine noch größere Gefahr für die Weltwirtschaft dar als eine schwächere chinesische Wirtschaft.
Schuldenberg in Europa
Risiken für die deutsche Wirtschaft gibt es aber auch in Europa genug. Größtes Sorgenkind ist Italien. Schon 2018 konnte ein Strafverfahren der EU nur abgewendet werden, weil Italien zusagte, zehn Milliarden weniger Schulden zu machen als geplant. Doch vor einer Woche teilte die Regierung in Rom mit, dass die Neuverschuldung von 2,04 Prozent des BIP auf 2,4 Prozent angehoben werde, da das Wachstum nur 0,2 statt 1,0 Prozent betragen werde.
Angesichts von italienischen Schulden in Höhe von mehr als 2,3 Billionen Euro würde eine Zahlungsunfähigkeit Europa in eine schwerere Krise stürzen als es Griechenland mit seinen „nur“ 320 Milliarden Euro tat. Dass die Europäische Zentralbank die Wirtschaft seit Jahren an Null-Zins-Kredite gewöhnt hat, schmälert die Hoffnung, dass die Finanzpolitik einer Krise wirkungsvolle Instrumente entgegenzusetzen hätte.
Der Fachkräftemangel, das "größte Geschäftshemmnis"
Doch die Mehrzahl der deutschen Unternehmen hat ein Problem, das zumindest auf den ersten Blick nicht von der ganz großen Geopolitik abhängt: Sie finden einfach keine Fachkräfte mehr. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sprach am Sonntag von „hunderttausenden Stellen“, die nicht besetzt werden könnten.
„Aus Sicht der Unternehmen ist der Fachkräftemangel das größte Geschäftshemmnis“, sagt auch Wansleben. 61 Prozent der Unternehmen in der aktuellen Konjunkturumfrage der DIHK sahen das ebenso. „Geeignete Fachkräfte zu finden ist schon länger eine Bremse für das BIP- Wachstum hierzulande.“
Thorsten Mumme