Bevölkerungsentwicklung: Der Run auf die Metropolen
Die Metropolen werden immer größer, die ländlichen Regionen leerer. Welche Folgen hat das für Deutschland? Fragen und Antworten zu einem problematischen Trend.
Es zieht die Menschen, vor allem die jungen, immer stärker in die Städte – die Metropolen sind attraktiv, ermöglichen berufliches Fortkommen, bieten lukrative Freizeitangebote. Die ländlichen Gebiete werden leerer und der Altersdurchschnitt dort wird älter. Für Regionalplaner ist das eine Herausforderung.
Wie entwickeln sich Deutschlands Städte und Dörfer?
Die Großstädte wachsen, teils stürmisch, die kleineren schrumpfen und das Land entleert sich zusehends. Das ist der Trend, den das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung in Deutschland zwischen 2008 und 2013 beobachtet hat. Aber er kennt Ausnahmen: Die Großen im Ruhrgebiet leiden an der Deindustrialisierung und schrumpfen ebenfalls. Und wo Metropolen wachsen, wachsen kleinere Gemeinden in den Speckgürteln ringsum oft mit: Teltow bei Berlin wuchs in dieser Zeit um knapp 15 Prozent, rings um München legten Gemeinden wie Unterhaching, Dachau und Olching um fast acht Prozent zu.
Grob gerechnet leben heutzutage 30 Prozent der Deutschen in Großstädten, weitere 30 Prozent in mittleren und die übrigen in Kleinstädten oder auf dem Land. Diese Verteilung bilde etwa das vergangene Jahrzehnt ab und ändere sich nur sehr langsam, sagte Antonia Milbert, die die Studie „Wachsende und schrumpfende Kommunen“ für ihr Institut erstellt hat. Insgesamt wird die Bevölkerung Deutschlands bis 2035, so die Prognose, auf 78,2 Millionen schrumpfen, drei Prozent weniger als aktuell.
Wer gewinnt, wer verliert?
Die Top Ten der deutschen Großstädte – darunter verstehen die Städteforscher Städte mit mindestens 100 000 Einwohnern – führt die westfälische Universitätsstadt Münster an, die im Untersuchungszeitraum um 8,9 Prozent wuchs. Ihr folgen Frankfurt am Main (plus 7,6), Darmstadt (7,3) und München (7), aber auch ostdeutsche Großstädte gehören noch zu den ersten zehn. Leipzig wuchs um 7, Potsdam um 6,3 und Dresden um 5,8 Prozent.
Heißt das: Ost gegen West?
Mit den genannten Ausnahmen: Die östlichen Länder sind aufs Ganze gesehen die, die am meisten ausbluten, auch ein Vierteljahrhundert nach dem großen West-Treck infolge der deutschen Einheit. Die drei ostdeutschen Kommunen mit den meisten Verlusten, Hoyerswerda in Sachsen, Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt und das brandenburgische Eisenhüttenstadt verloren zwischen 2008 und 2013 ein Zehntel ihrer Bevölkerung.
Gibt es die Ost-Geschlechterlücke?
Die gibt es, mancherorts kommen auf 100 junge Männer nur noch 80 junge Frauen. Doch Studienleiterin Antonia Milbert korrigierte am Donnerstag das übliche Klischee, das besagt: Die schlauen jungen Frauen ziehen nach Westen, zurück bleibt der blöde Rest – männlich, bildungsfern, rechtsradikal. Tatsächlich zögen die Frauen früher los als ihre männlichen Altersgenossen, Insgesamt seien die 18- bis 30-Jährigen die mobilste Bevölkerungsgruppe, auch die jungen Männer zögen später los. Da sei es für die Geschlechterparität am Ort aber oft schon zu spät, die Frühauswanderinnen blieben fort.
Lässt sich Schrumpfung aufhalten?
Nein, sagen die Experten. „Wir müssen Schrumpfung als Tatsache hinnehmen“, sagte am Donnerstag Direktor Harald Herrmann bei der Vorstellung der Studie seines Instituts. Sie wäre bestenfalls dann aufzuhalten, wenn jährlich 400 000 Menschen netto neu ins Land kämen und dies für die nächsten Jahrzehnte. Zum Vergleich: In diesem Jahr werden etwa 450 000 Flüchtlinge in Deutschland erwartet, ein Hoch, das es 25 Jahre lang nicht gab und das auch nicht über Jahrzehnte anhalten dürfte.
Was lässt sich gegen schrumpfende Städte tun?
Die Schrumpfung lässt sich bremsen – eben durch Einwanderer – und sie lässt sich managen. Das Institut empfiehlt zum Beispiel Metropolen und ihrem Umland Zusammenarbeit. Oft noch ende das Nachdenken über die Zukunft der eigenen Gemeinde an der Gemeindegrenze. Ansätze gibt es aber schon, etwa BAföG, das Landkreise an ihre jungen Bürgerinnen und Bürger zahlen, wenn die nach dem Studium für fünf Jahre zurückkehren.
Lebt nicht auch eine schrumpfende Gesellschaft gut?
Weniger Menschen, weniger Dreck und Verkehr – das könnte doch eigentlich schön sein. Und kann gut gehen – in Norwegen, wo der Ölreichtum jeden Bürger rechnerisch zum Millionär macht oder am internationalen Bankenstandort Schweiz, meinen die Forscher. Deutschland sei dieses Rezept nicht zum empfehlen. Natürlich werde man nicht die letzten 40 Bewohner eines Dorfs ans Internet anschließen müssen, sagt Institutschef Herrmann. Aber es gebe hierzulande eben „das gesellschaftliche Ziel, keine Geisterstädte entstehen zu lassen“. Zumal das leicht zu verhindern ist: Es genügt, Einwanderer ins Land zu holen. „Das verursacht erst einmal Kosten, aber dann überwiegen die Vorteile. Die Alternative, Schrumpfung, verursacht nur Kosten.“
Ist das stürmische Wachstum der Metropolen ausschließlich gut?
Auch Wachstum - 2,8 Prozent in den Großstädten zwischen 2008 und 2013 – ist heikel. Wer in Berlin lebt, weiß das. Es wird enger in den boomenden Städten, ihre Verkehrsprobleme wachsen und Wohnraum fehlt oder wird unbezahlbar. Das Bundesinstitut hat einen Neubaubedarf von jährlich 230 000 Wohnungen errechnet, wobei man ein Wachstum der Städte „nach innen“ empfiehlt, damit nicht noch mehr Grün und Landschaft unter Asphalt und Beton verschwinden.
Wie geht es weiter?
Derzeit ist die Rückwärtstendenz vor allem im Osten zu beobachten. In der Prognose des Instituts bis 2035 rückt die Farbe Blau, die für Schrumpfung steht, jedoch immer weiter nach Westen. Es werde dann „kaum noch eine Region mit steigender Zahl von jungen Menschen geben“, sagt Zarth – Hamburg, Stuttgart, München und Bonn seien Ausnahmen. Auch in den heute noch attraktiven Westkommunen werde es Wohnungsleerstand geben, die Einfamilienhaussiedlungen der 60er und 70er Jahre würden von den Kindern der Häuslebauer in Scharen verlassen.
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