Horst Seehofer und seine Drohungen: Der Rücktritts-Minister
Beim Zurücktreten hat Horst Seehofer Übung. Vor 14 Jahren nahm er unter großem Theaterdonner seinen Hut als Fraktionsvize. Und als Gesundheitsminister hat er anno 1995 auch schon damit gedroht.
Kann passieren, dass man bei den diversen Rücktritten und Rücktrittsdrohungen eines Horst Seehofer ein bisschen was durcheinanderbringt.
Bei „Anne Will“ am Sonntag abend erinnerte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt daran, dass der Mann ja schon mal im Zwist mit Angela Merkel zurückgetreten sei – als Gesundheitsminister, im Streit um die sogenannte Kopfpauschale. Stimmt nicht, korrigierte der Journalist und Unionsexperte Robin Alexander. Damals, im Jahr 2004, war Seehofer gar nicht mehr Minister. Er warf das Handtuch nur als stellvertretender und für Gesundheit zuständiger Fraktionsvorsitzender. Allerdings ebenfalls mit einem Riesengetöse.
1995: Die Klinikreform ist mir wichtiger als mein Job
Gesundheitsminister, das ist richtig, war Seehofer deutlich früher, von 1992 und 1998 - und zwar im Kabinett Helmut Kohls. Richtig allerdings ist auch, dass der CSU-Politiker das Mittel der Rücktrittsdrohung schon damals ausprobierte.
Wenn man ihm seine Krankenhausreform verwehre, brauche man nicht mehr auf ihn zählen, polterte der Minister im Dezember 1995. Damals ging es ihm darum, die Ausgaben der Kliniken aufgrund eines Milliardendefizits der Krankenkassen zu begrenzen und dafür auch die FDP mit ins Boot zu holen. „Die Reform ist mir wichtiger als mein Job“, tönte Seehofer. Danach ruderte er aber schnell wieder zurück. Er habe zwar betont, dass er für „Murks" nicht zur Verfügung stehe, relativierte er. Eine Rücktrittsdrohung sei das aber nicht gewesen.
2004: Meine persönliche Glaubwürdigkeit ist mir wichtiger als Funktionen.
Neun Jahre später, in der Opposition unter Fraktionschefin Angela Merkel, war die Lage verzwickter. Nach dem Willen von Union und FDP sollte das System der Gesundheitsversicherung langfristig auf „einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge“ umgestellt werden. Als Sozialpolitiker lehnte Seehofer dieses damals unter dem Begriff „Kopfpauschale“ firmierende Modell jedoch strikt ab - und das ging natürlich nicht in der Funktion eines für Gesundheit zuständigen Fraktionsvizes.
Um aus dem Dilemma zu kommen, versuchte der damalige CSU-Chef Edmund Stoiber noch, dem Renitenten eine Brücke zu bauen. Seehofer könne mit seiner Position zwar Partei- und Fraktionsvize bleiben, müsse jedoch die Zuständigkeit für Gesundheit aufgeben. Außerdem dürfe er sich nicht mehr öffentlich zum Thema Kopfpauschale äußern. Seehofer willigte ein in der Annahme, wenigstens für Rente und Pflege zuständig zu bleiben. Damit stieß er jedoch auf Widerstand in der CDU, wo man keine getrennten Zuständigkeiten für Sozialpolitik haben wollte. Ein Kompletttausch mit seiner für Tourismus und Landwirtschaft zuständigen CSU-Kollegin Gerda Hasselfeldt wiederum kam für Seehofer nicht in Frage.
Seine persönliche Glaubwürdigkeit sei ihm wichtiger als Funktionen, erklärte der CSU-Vize im November 2004, trat wutschnaubend zurück und übernahm für ein halbes Jahr den Vize-Posten beim Sozialverband VdK in Bayern. Stoiber erklärte, er respektiere Seehofers „persönliche Entscheidung“. Merkel sagte, sie hätte sich gewünscht, er hätte die „Weichenstellung in ein neues Gesundheitssystem mit nachvollziehen können“. Sie habe Seehofer nicht zum Rücktritt gedrängt, allerdings auch die Position vertreten, dass man den Kompetenzbereich Gesundheit und Soziales nicht voneinander trennen könne.
2018: Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist
Und der Geschasste? Schob tiefen Brass auf beide Parteichefs, von denen er sich verraten fühlte - und hegte auch ganz unverhohlen Revanchegelüste. Politisch startete er schon ein Jahr später wieder durch. Erst als Minister für Ernährung, Agrar und Verbraucherschutz in Merkels neuem Kabinett, 2008 dann als Nothelfer in Bayern, nachdem die Stoiber-Nachfolger Günther Beckstein und Erwin Huber dort die absolute Mehrheit versemmelt hatten.
Vom Amt des Ministerpräsidenten trat Seehofer nach langem Gezerre im März 2018 zurück - auf Druck der Partei, die sich von dem deutlich jüngeren Markus Söder bessere Chancen bei der anstehenden Landtagswahl erhoffte. Diesen Schritt hatte der Ingolstädter zwar lange vorher versprochen, dann aber wieder in Frage gestellt, weil ihm sein Nachfolger nicht passte.
CSU-Chef ist der bald 69-Jährige nach wie vor. Und Bundesinnenminister seit gut drei Monaten. Beide Ämter hatte er am späten Sonntagabend wegen des ausufernden Asylstreits zur Disposition gestellt. Einen Tag später dann jedoch wieder mal der Rücktritt vom Rücktritt. Begründung: Die Einigung zu Transitzentren an der deutsch-österreichischen Grenze erlaube ihm, dass er das Amt des Bundesinnenministers weiterführe.
Und Angela Merkel? Sie kennt ihren Seehofer und nimmt es stoisch - obwohl der Bayer vorher nochmal so richtig gegen sie geholzt hatte. "Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist", donnerte er via "Süddeutschen Zeitung" vor dem Krisentreffen am Montagabend. Das Einzige, was sich Merkel am Morgen danach vor der Fraktion zu Seehofers Theatralik entlocken ließ, war die Bemerkung, dass es gut wäre, "wenn wir jetzt auch in anderen Bereichen der Politik eine ruhige Arbeitsmethodik an den Tag legen".