zum Hauptinhalt
Zerrüttete Beziehung: Angela Merkel und Horst Seehofer.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Die Beziehungskrise der Unionsschwestern: Mit 69 Jahren

Eheberater oder Scheidungsrichter lehren wie die eigene Erfahrung, dass zerrüttete Partnerschaften um fast jeden Preis zu verlängern oft nur noch unglücklicher macht. Ein Kommentar.

Scheiden tut weh.“ Die Zeile hat der vor knapp 200 Jahren geborene Dichter Hoffmann von Fallersleben geschrieben. Kurz bevor er das „Lied der Deutschen“ verfasste, unsere Nationalhymne, die heute mit dem Wort „Einigkeit“ beginnt.

Tja.

Gerade sind eher Trennungen und Abschiede en vogue. Im Fußball und in der Politik. Wobei der härteste, weil meist blutigste Trennungsfall im Innenleben von Staaten der Bürgerkrieg ist. Aber wenn die beiden „bürgerlichen“ Parteien CDU und CSU gerade den Aufstand und Abschied proben, dann herrscht trotz aller großer Krisengesänge in Deutschland noch immer nicht Krieg. Dann geht es, wie in manch anderer Union (Ehe, Liebe, Freundschaft, Geschäftsverbindung), auch mal um Erschöpfung. Um vor allem männliche Machtspiele, persönliche Animositäten und einen bayrischen Wahlkampf, der zum Qualkrampf gerät. Weil in München und in Berlin als Staatsraison ausgegeben wird, was mehr als der Sorge ums eigene Land oder um Europa der Angst vor der AfD entspringt.

Parteien sind im Deutschen weiblich. Deshalb werden einige Gendersprechbegeisterte in diesem Fall etwas sauer sein. Denn es geht um zwei zänkische Unionsschwestern – bei denen freilich ein richtig großer inhaltlicher Dissens in der längst verhärteten Flüchtlingspolitik gar nicht mehr zu erkennen ist. Aber auch das gehört zum Wesen von Zwisten. Schon Sigmund Freud hatte die Familie oder auch die Nähe von eigentlich Vertrauten als stärkste Brutstätte von Neurosen, Eifersüchten, Irrationalismen ausgemacht. Der Erste Weltkrieg fand noch unter verwandten Monarchen statt, sogenannte Beziehungstaten gehören im Alltag zu den häufigsten Gewaltverbrechen, und das sprichwörtliche Haar in der Suppe oder auf dem Klo führt bei angegriffene Ehen und Partnerschaften zuverlässiger zum Bruch als Differenzen über wirklich Wichtiges. Das vermeintlich einigende Große und Ganze ist im täglichen Abrieb nur mehr ein Krümelmonster.

Ende mit Schrecken

Eheberater oder Scheidungsrichter lehren wie die eigene Erfahrung, dass zerrüttete Partnerschaften um fast jeden Preis zu verlängern oft nur noch unglücklicher macht. Ein Ende mit Schrecken oder ein Schrecken ohne Ende, das ist dann die Frage. Und Trennkost eine Diät. Allerdings sehen Psychologen und Sozialforscher die Tendenz, bei Beziehungskrisen gar zu schnell Schluss zu machen, mehr und mehr kritisch. Zwischen 2005 und 2016 ist die Scheidungsrate nach Eheschließungen in Deutschland von mehr als 50 Prozent auf knapp 40 Prozent gesunken. Das ist immer noch hoch. Und wer für viel persönliche Freiheit im Sinne von Bindungslosigkeit plädiert, redet bei klassischen Paarbeziehungen nur sehr selten von den betroffenen Kindern. Sie sind meist das erste, das schwächste Opfer. Hunderttausende alleinerziehende Mütter, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, oder auch Hunderttausende Single- Haushalte in Großstädten mit Wohnungsnot sind heute kein Ausweis von Lebensqualität.

Umbrüche in Gesellschaft und Politik bedeuten natürlich auch: Brüche. Die meisten Menschen, die in Politik und Gesellschaft ohnehin immer mehr Gewissheiten schwinden sehen, sehnen sich da eher nach festerem Grund. Schon dieser Gedanke warnt die Unionsschwestern vor der Trennung. Nach 69 Jahren. Andererseits: Jenes „Scheiden tut weh“ reimte sich einst auf „Winter ade!“. Denn der Dichter besang damit einen neuen Frühling.

Zur Startseite