Umwelt-Enzyklika Laudato si': Papst Franziskus interpretiert den christlichen Glauben neu
Die erste Umwelt-Enzyklika des Papstes weist den Menschen und der Kirche einen neuen Platz zu. Sie werden zum Teil der Erde, anstatt sie zu beherrschen. Warum die Lehrschrift so revolutionär ist, erläutert diese Analyse.
Papst Franziskus hat mit der ersten Umwelt-Enzyklika "Laudato Si'" der katholischen Kirche gleich zwei Dogmen in Frage gestellt. Das eine Dogma lautet: Macht Euch die Erde untertan. Das ist im christlich-jüdischen Glauben als Erlaubnis zur grenzenlosen Ausbeutung der Erde gewertet worden. Das zweite Dogma betrifft die Rolle des Papstes, der in seinem Lehrschreiben die päpstliche Unfehlbarkeit selbst in Frage stellt. Am Dogma "Seid fruchtbar und mehret Euch" hält Franziskus jedoch weiterhin fest.
In der Enzyklika heißt es zum Thema "Macht Euch die Erde untertan": "Wir sind nicht Gott. Die Erde war schon vor uns da und ist uns gegeben worden." An anderer Stelle findet sich der Satz: "Wir sind in dem Gedanken aufgewachsen, dass wir ihre Eigentümer und Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern."
"Macht Euch die Erde untertan"
Ausführlich diskutiert der Text die Schöpfungsgeschichte. Die Einladung, sich die Erde zu "unterwerfen", habe die "wilde Ausbeutung der Natur begünstigt durch die Darstellung des Menschen als herrschend und destruktiv". Klar und deutlich schreibt der Papst: "Das ist keine korrekte Interpretation der Bibel, wie die Kirche sie versteht." Aus der "Tatsache, als Abbild Gottes erschaffen zu sein, und dem Auftrag, die Erde zu beherrschen, eine absolute Herrschaft über die anderen Geschöpfe" zu folgern, sei falsch, heißt es weiter. "Es ist wichtig, die biblischen Texte in ihrem Zusammenhang zu lesen, mit einer geeigneten Hermeneutik, und daran zu erinnern, dass sie uns einladen, den Garten der Welt zu ,bebauen' und zu ,hüten'." Und mit einem Zitat seines Namensgebers Franz von Assisi beschreibt der Papst diese neue Einordnung: "Von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schließen."
Die Kirche und der Klimawandel
Mit seinem Lehrschreiben definiert Franziskus eine völlig neue Position des Menschen in der Welt. Dieser ist nicht mehr der Herrscher über die Welt, sondern ein Teil des Ganzen. Ein Teil der "Schwester Erde", wie Franz von Assisi geschrieben hat. Franziskus beschreibt das Klima als gemeinsames globales Gut, das es zu schützen gilt: "Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle." Vor allem auch deshalb, weil die Folgen des Klimawandels vor allem die Armen der Welt treffen. Sein Lehrschreiben ist im Geist der christlichen Soziallehre verfasst: "Wenn wir berücksichtigen, dass der Mensch auch ein Geschöpf dieser Welt ist, das ein Recht auf Leben und Glück hat und das außerdem eine ganz besondere Würde besitzt, können wir es nicht unterlassen, die Auswirkungen der Umweltzerstörung, des aktuellen Entwicklungsmodells und der Wegwerfkultur auf das menschliche Leben zu betrachten."
Der Papst sieht den Kapitalismus kritisch
Mehrfach macht der Papst seine Skepsis gegenüber dem Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Ausprägung deutlich. Da heißt es unter anderem: "Das sind unter anderem Zeichen, die zeigen, dass das Wachstum der letzten beiden Jahrhunderte nicht in allen seinen Aspekten einen wahren ganzheitlichen Fortschritt und eine Besserung der Lebensqualität bedeutet hat. Einige dieser Zeichen sind zugleich Symptome eines wirklichen sozialen Niedergangs, eines stillschweigenden Bruchs der Bindungen von sozialer Integration und Gemeinschaft."
Mit Blick auf den Klimawandel schlägt sich der Papst auf die Seite der armen Länder, die in den internationalen Klimaverhandlungen eine "Entschädigung" von den reichen Staaten verlangen. "Die soziale Ungerechtigkeit geht nicht nur Einzelne an, sondern ganze Länder, und zwingt dazu, an eine Ethik der internationalen Beziehungen zu denken. Denn es gibt eine wirkliche ,ökologische Schuld' – besonders zwischen dem Norden und dem Süden – im Zusammenhang mit Ungleichgewichten im Handel und deren Konsequenzen im ökologischen Bereich wie auch mit dem im Laufe der Geschichte von einigen Ländern praktizierten unproportionierten Verbrauch der natürlichen Ressourcen", heißt es in seinem Lehrschreiben. Zudem warnt das Oberhaupt der katholischen Kirche vor Emissionshandelsmodellen und vergleicht sie mit dem Ablasshandel.
Auch mit Blick auf die biologische Vielfalt wehrt sich der Papst gegen die wirtschaftliche Bewertung von Arten. Denn "es genügt nicht, an die verschiedenen Arten nur als eventuelle nutzbare ,Ressourcen' zu denken und zu vergessen, dass sie einen Eigenwert besitzen." Und weiter: "Unseretwegen können bereits Tausende Arten nicht mehr mit ihrer Existenz Gott verherrlichen, noch uns ihre Botschaft vermitteln. Dazu haben wir kein Recht."
Der Papst sieht sich nicht als unfehlbar an
Der Papst sieht sich in Umweltfragen nicht als unfehlbar an. "In Bezug auf viele konkrete Fragen ist es nicht Sache der Kirche, endgültige Vorschläge zu unterbreiten, und sie versteht, dass sie zuhören und die ehrliche Debatte zwischen den Wissenschaftlern fördern muss, indem sie die Unterschiedlichkeit der Meinungen respektiert", heißt es an einer Stelle der Enzyklika. Damit positioniert Papst Franziskus nicht nur den Menschen neu in der Welt. Er positioniert auch die Kirche neu im großen Ganzen.
Nicht das Bevölkerungswachstum zerstört das Klima
In der Frage, welchen Beitrag das massive Wachstum der Bevölkerung zur Umweltzerstörung leistet, schlägt sich Franziskus auf die Seite der Armen und Konservativen. Das Dogma "Seid fruchtbar und mehret Euch" behält der Papst bei. In der Enzyklika heißt es: "Anstatt die Probleme der Armen zu lösen und an eine andere Welt zu denken, haben einige nichts anderes vorzuschlagen als eine Reduzierung der Geburtenrate." Und weiter: "Die Schuld dem Bevölkerungszuwachs und nicht dem extremen und selektiven Konsumverhalten einiger anzulasten, ist eine Art, sich den Problemen nicht zu stellen. Es ist der Versuch, auf diese Weise das gegenwärtige Modell der Verteilung zu legitimieren, in dem eine Minderheit sich für berechtigt hält, in einem Verhältnis zu konsumieren, das unmöglich verallgemeinert werden könnte, denn der Planet wäre nicht einmal imstande, die Abfälle eines solchen Konsums zu fassen."
Dass er mit dieser Analyse richtig liegt, zeigte auch der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, Chef des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, der die Enzyklika in Rom mit vorstellte. Er wies darauf hin, dass die vielen Armen mit den hohen Geburtenraten einen minimalen ökologischen Fußabdruck auf der Erde hinterlassen und nahezu keine Ressourcen verbrauchen. Der hohe Ressourcenverbrauch geht einher mit hohem Konsum in den globalen Mittelschichten und den reichen Ländern der Welt. Es sei "vollkommen falsch", den Klimawandel dem Bevölkerungswachstum anzulasten, sagte Schellnhuber am Donnerstag in Rom.
Der Papst für den Ausstieg aus fossilen Energien
Was die Ökologen der Welt in helle Begeisterung versetzt, ist ein Satz in der Enzyklika, der als Handlungsanweisung für die Klimaverhandlungen verstanden werden kann: "Darum ist es dringend geboten, politische Programme zu entwickeln, um in den kommenden Jahren den Ausstoß von Kohlendioxid und anderen stark verunreinigenden Gasen drastisch zu reduzieren, zum Beispiel indem man die Verbrennung von fossilem Kraftstoff ersetzt und Quellen erneuerbarer Energie entwickelt." Der Papst lässt keinen Zweifel daran, dass er sich nicht auf die Seite der Klimawandel-Skeptiker schlagen will: "Es besteht eine sehr starke wissenschaftliche Übereinstimmung darüber, dass wir uns in einer besorgniserregenden Erwärmung des Klimasystems befinden." Und weiter heißt es: "Die Menschheit ist aufgerufen, sich der Notwendigkeit bewusst zu werden, Änderungen im Leben, in der Produktion und im Konsum vorzunehmen, um diese Erwärmung oder zumindest die menschlichen Ursachen, die sie hervorrufen und verschärfen, zu bekämpfen."
Auf der Flucht vor dem Klimawandel
Der Papst nutzt die Umwelt-Enzyklika auch, um den Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung und Flucht zu thematisieren. "Tragisch ist die Zunahme der Migranten, die vor dem Elend flüchten, das durch die Umweltzerstörung immer schlimmer wird, und die in den internationalen Abkommen nicht als Flüchtlinge anerkannt werden; sie tragen die Last ihres Lebens in Verlassenheit und ohne jeden gesetzlichen Schutz." Doch "leider herrscht eine allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber diesen Tragödien", kritisiert der Papst. "Der Mangel an Reaktionen angesichts dieser Dramen unserer Brüder und Schwestern ist ein Zeichen für den Verlust jenes Verantwortungsgefühls für unsere Mitmenschen, auf das sich jede zivile Gesellschaft gründet."
Von der Macht der Moral
Der Papst hat mit seiner Umwelt-Enzyklika die Kirche und den Menschen zum Teil der Erde gemacht. Das ist eine völlig neue Interpretation des christlichen Glaubens. Umweltschützer und Entwicklungsorganisationen werden das Lehrschreiben lieben, weil sie sich darin nahezu voll bestätigt fühlen können. Wie wenig der Papst dagegen davon hält, die Kräfte der Märkte für den Erhalt des Klimas einzusetzen, hat er an mehreren Stellen deutlich gemacht. Zudem ist schon in wenigen Wochen die Globalisierungskritikerin Naomi Klein in den Vatikan geladen, um den Schulterschluss mit den Kritikern des Kapitalismus zu zeigen. Allerdings könnte der Papst da den Nutzen der Moral überschätzen. Denn wenn die Kräfte des Marktes weiterhin vor allem destruktiv auf das Klima wirken, ist dem Problem moralisch nicht mehr beizukommen.